Sabrina verließ die Toilettenräume und sah erleichtert dass Lucas noch vor der Tür auf sie wartete.
„Gut dass du noch da bist. Auch wenn es noch nicht Mitternacht ist, irgendwie ist diese Burg unheimlich. Und warum warst du noch mal unterwegs,“ erkundigte sie sich.
„Wegen Mirko. Er ist abgehauen. Er will ins Dorf und dort ein Taxi rufen. Wegen der Statue die hier nachts durch die Burg schleicht. Er ist fest davon überzeugt dass sie ihn holen will. Ist ja auch kein Wunder, er hatte damals Probleme mit den Henkern von Engelmann. Und jetzt hat er eine Heidenangst vor den Dingern auch wenn sich mein Mitleid mit ihm in Grenzen hält!“, antwortete Lucas nachdenklich und begleitete Sabrina bis zu ihrem Schlafraum. Doch dann hörten sie plötzlich das Schließen einer Tür und Schritte.
Sabrina wurde blass. „Das war doch hoffentlich nicht....du weißt schon!“
„Ja, ich weiß was du meinst. Aber es ist noch nicht ganz Mitternacht, andererseits hat Jonas schon Statuen erledigt die sich auch nicht unbedingt an Termine hielten. Wer weiß was das war....aber die Schritte kommen nicht näher, es klingt eher als würde jemand in den Keller gehen,“ stellte Lucas fest.
„Sollen wir nachsehen,“ fragte Sabrina, all ihren Mut zusammen nehmend und Lucas sah sie entgeistert an. „Du willst was? Tatsächlich im Keller nachsehen?“
„Nein, natürlich nicht. Aber wir könnten uns wenigstens bis zur Tür schleichen und hören ob da unten jemand ist. Vielleicht war es ja Mirko und er sucht da nach einem Versteck weil das Burgtor zu ist oder so,“ antwortete Sabrina nachdenklich und schließlich stimmte Lucas zögernd zu.
„Gut, aber wir gehen nur bis zur Tür und dann machen wir dass wir in unser Bett kommen. Oder ich habe noch eine andere Idee. Wir wecken einfach Frau Igel und Herrn Tegemann und alle anderen. Wir sagen dass Mirko weg ist. Nicht um ihn zu verraten. Aber wenn alle wach sind, überall Licht brennt, dann wird diese Statue vielleicht nicht kommen. Vielleicht sind ihr das dann zu viele Zeugen und sie bleibt im Keller!“, schlug Lucas ohne große Überzeugungskraft vor.
Sabrina sah ihren Schulfreund fragend an. „Meinst du?“
Lucas zuckte die Achseln. „Es könnte natürlich sein. Oder aber die Statue schlachtet alle ab und es gibt das Massaker von dem Frau Igel sprach als sie uns die Handys abgenommen hat.“
Inzwischen waren sie in den Rittersaal geschlichen. Schritte waren mittlerweile keine mehr zu hören. Die alte Uhr schlug halb zwölf.
„Ein bisschen Zeit haben wir ja noch,“ murmelte Lucas und griff sich eines der Schwerter die neben dem Geschirrwagen hingen.
Nach kurzem Zögern griff sich auch Sabrina eins. „Die sind so schwer, murrte sie. „Und wie man damit umgeht weiß ich auch nicht. Aber besser als gar nichts. Und wir hängen sie ja zurück sobald wir an der Kellertür nachgesehen haben, nicht wahr?“
Lucas nickte. Natürlich würden sie die Waffen an Ort und Stelle zurück bringen. Allzu brauchbar waren sie sowieso nicht. Sie waren stumpf und schwer. Er hatte genau so wenig Ahnung vom Umgang mit ihnen wie Sabrina. Aber zumindestens würde es einem möglichen Gegner Schmerzen bereiten wenn er damit geschlagen wurde und sie fühlten sich nicht ganz so hilflos.
Mirko war dem Herbergsleiter Herr Bender zurück in die Burg gefolgt. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, wir gehen jetzt in meinen Aufenthaltsraum den ich mir hier eingerichtet habe und dann besprechen wir alles in Ruhe,“ sagte er und Mirko stutzte ein wenig als Herr Bender die Tür zum Keller öffnete.
„Was sollen wir denn da unten? Ist da Ihr Aufenthaltsraum? Da steht doch außerdem „Betreten verboten!“, fragte er ratlos.
„Aber das Verbot gilt natürlich nicht für mich. Ich habe dort unten einen Raum eingerichtet damit ich manchmal meine Ruhe habe wenn es hier zu unruhig wird. Komm ruhig mit hinunter,“ antwortete Herr Bender und Mirko folgte ihm, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, in den Keller.
Sie stiegen die Treppen hinunter und der Herbergsleiter schaltete das Licht ein. Unheimlich sahen die Steinwände die den Gang umgaben aus.
„Das ist gruselig hier,“ stellte Mirko zitternd fest und wäre am liebsten wieder umgekehrt aber Herr Bender schmunzelte lediglich.
„Natürlich ist es hier sehr unheimlich. Das war früher der Kerker. Hier wurden all die Leute gefangen gehalten die angeblich ein Verbrechen begangen hatten. Weißt du eigentlich dass die Burg früher einem sehr grausamen Burgherrn gehörte der seine Untertanen unterdrückte?“
Mirko schüttelte den Kopf. „Nein, ich hab in Geschichte eine Vier minus. Ich kenne mich mit so was gar nicht aus!“
„Das steht auch nicht in den Geschichtsbüchern, dazu ist es zu unbedeutend. Aber dieser Burgherr war schrecklich. Er lebte und herrschte in der Zeit von 1189 bis 1239. Eine lange Zeit für damals. Da starben die Leute, vor allem die Armen, nämlich sehr früh. Aber da gab es eine Frau, ihr Name war Elisa. Sie war etwas besonders!“, sagte Herr Bender lächelnd.
„Hä?“, erkundigte sich Mirko. Worauf wollte der Herbergsleiter eigentlich hinaus?
„Elisa war das was man heutzutage eine Dämonenjägerin nennen würde. Sie jagte Dämonen verschiedenster Art und lernte dabei auch sehr viel von ihnen und über sie. Unter anderem beschäftigte sie sich nicht nur mit dem Zerstören von Dämonen sondern auch mit dem Herbeirufen und Schaffen....“
„Wie, sie schaffte? Sie schaffte an? War sie eine Nutte?“, erkundigte sich Mirko und erschrak als der Herbergsleiter ihn fast schon zornig ansah.
„Nein, sie war eine Dämonenjägerin. Das ist etwas vollkommen anderes. Und sie verdiente Geld damit. Sie sah es nicht ein umsonst ihr Leben zu riskieren sondern sie tat es für Geld. Und mit schaffen meine ich sie wusste wie man Dämonen schafft. Neue. Denn eines Tages kämpfte sie gegen einen Dämon der viel zu mächtig für sie war und der sich einfach nicht zerstören ließ. Da sorgte sie durch einen Zauber dafür dass sie selbst zum Teil zu einem Dämon wurde. Sie war anschließend nicht durch einen besessen oder so. Sondern sie selbst veränderte sich und ihre Seele wurde zu einem Teil dämonisch.
So wurde sie stärker und besiegte ihren Feind. Aber die Leute wollten ihr ihre Bezahlung nicht geben. Und einer von ihnen wandte sich an den Burgherrn. Der ließ sie gefangen nehmen. Gegen viele bewaffnete Männer halfen ihr auch ihre Fähigkeiten als Dämonenjägerin und Teil-Dämonin nicht. Sie wurde in den Kerker geworfen, hier unten! Dort hinter der schweren Eichentür!“
Mirko schluckte schwert. „Aber das ist doch voll doof. Ich meine nur weil die zu geizig waren die Alte gleich umbringen?“
„Genau, das war wirklich....doof. Man behandelte Elisa sehr schlecht. Man bezichtigte sie außerdem, in dem Fall sogar gerechterweise, der Hexerei und eine Frau die Dämonen jagte? Man gestand Frauen zu der Zeit nicht einmal zu sich ihren Ehemann selber auszusuchen. Das war allen unheimlich zumal sie den Burgherrn bei ihrer Verhaftung wüst beschimpfte.
Dieser Kerkerraum war übrigens für die Verbrecher oder angeblichen Verbrecher gedacht die man zum Tode verurteilt hatte aber nicht öffentlich hinrichtete. Man sperrte sie ein und ließ sie einfach verhungern. Durch einige wenige Ritzen drang ein wenig Licht in den Raum und es fiel genau auf eine Statue die ein Skelett darstellte.
In der mittelalterlichen Kunst wurde ein Skelett häufig als der Tod dargestellt. Und so wussten die Verurteilten was ihnen blühte. Auch Elisa starb dort unten einen langsamen und schrecklichen Tod. Aber sie schwor Rache und es gelang ihr kurz vor ihrem Tod einen Dämon zu beschwören, einen von der Art die sie so sehr bekämpft hatte. Er fuhr in die Skelettstatue und tötete den Burgherrn und seine Leute als sie den Kerker öffneten.
Es war Mai als Elisa starb. Und immer im Mai wird die Statue lebendig und sucht nach Opfern. Sie nimmt nur diese die sich, wie einst der Burgherr, selbst in Gefahr begeben weil sei den Kerker betreten oder nachts durch die Burg schleichen! Mich wollte er auch einst töten aber ich versprach ihm künftig zu helfen. Gerne mache ich es ja wirklich nicht und es tut gut mal darüber reden zu können.....“
Herr Bender öffnete die Tür und gab Mirko einen Stoß. Er stolperte und stürzte in einem steinernen Raum zu Boden.
Sein Blick fiel auf die Skelett-Statue. „Ich werde mich jetzt um deinen Freund Lucas kümmern, der kann dir hier Gesellschaft leisten! So heißt dieser andere Bursche doch der Elisas Rächer gesehen hat, oder? Und morgen schaffe ich eure Leichen in den Wald, man wird nur sehen dass ihr eines natürlichen Todes gestorben seid als ihr weggelaufen seid!“, reif der Herbergsleiter durch die Tür. „Tut mir leid, aber ich muss das machen. Sonst holt der Rächer mich am Ende noch irgendwann.....“
Mirko sah auf das gespenstisch vor ihm stehende Skelett das halb in die Wand eingearbeitet war. Würde es bald zum Leben erwachen so wie die Statuen des Direktors?