144: Die Bright Sea

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Es dauerte Ewigkeiten, bis ich mich dazu entschloss, aufzustehen; jedenfalls kam es mir so vor. Ich hob meinen Kopf an. Mist! Nun war mein Blut auch schon aus der gerissenen Kruste auf den Platz getropft. Und ich wollte gar nicht wissen, wie ich aussah. Denn mein Gesicht fühlte sich auch sehr feucht an. Doch das war mir egal. Auch meine blutende Hand war mir egal. Alles war mir egal. Nur - wie so oft - Jack nicht.

Ich erhob mich nun vollständig. Mit einem Schleier vor Augen sah ich, dass die Leute geschockt aussahen und an ihren aufgerissenen Mündern konnte ich erkennen, dass sie womöglich schrien. Aber... ich hörte nichts. Ein Gefühl von Taubheit war über mich gekommen. Wie nützlich... Ich schritt nun durch die Menschenmasse hindurch und konnte nun unter den Galgen gucken. Dort hatte sich mein Schwert doch tatsächlich in das Holz gerammt. Darauf stand ein Paar Stiefel und gab sich alle Mühe nicht abzurutschen. Oh, zum Glück! Ich lächelte und wurde von einer Welle der Erleichterung eingeholt. 

Dann rannte ich um den Galgen herum und sprintete die Treppenstufen hinauf. Doch leider Gottes hatte ich vergessen, dass ich nun unbewaffnet war. Nahezu unbewaffnet. Ich hatte nur noch das Messer. Ich sah zum Henker. Dieser hatte noch gar nicht richtig realisiert, was passiert war und starrte Jack an. Diesen Moment musste ich einfach ausnutzen!

"JACK!", kreischte ich schrill und stürmte auf ihn zu; ich schlang meine Arme um ihn und überfiel ihn mit einem innigen Kuss, doch Jack drückte mich von sich weg.

"Jessie... das ist gerade eine ZIEMLICH ungünstige Situation. Ich hänge am Galgen und versuche auf dem Schwert stehenzubleiben und du bist nass!", sagte er und beim Klang seiner wunderschönen Stimme, die ich viel zu lange nicht gehört hatte, liefen mir erneut die Tränen aus den Augen.

"Tut mir Leid", nuschelte ich und wischte mir mit den Hemdsärmeln das Gesicht trocken, wobei ich mir etwas Blut ins Gesicht schmierte. "Verdammt." Dann sah ich wieder zum Henker.

Er stand immer noch irritiert da. Sehr gut! Ich zückte das Messer aus meinem Waffengürtel, hielt es an Jacks Strick und bewegte die Klinge an dem Strick hin und her, sodass ich ihn durchschneiden konnte. Er war jedoch ziemlich hartnäckig. Zwar lösten sich schon einzelne Fäden aus dem Strick, aber es war verdammt anstrengend. Und das Blut rann meine Hand herunter und färbte den Ärmel meines Hemdes rot ein.

"Süße Zöpfchen", kommentierte Jack, nahm einen von ihnen in die Hand und grinste mich an.

Ich grinste zurück, murmelte aber: "Hast du nichts besseres zu tun, als rumzuhängen und mich anzumachen?"

Jack lachte in sich hinein; dann wurde er sentimental. "Ich bin so froh, dich zu sehen, Jessie, Liebes." Er lächelte, hob seine beiden Hände - die ja in Handschellen gelegt waren - und strich mir mit einer Hand sanft über die Wange. "Ich bin davon ausgegangen, sie hätten dich geholt und gehängt. Ich hatte geglaubt, du wärst-"

"Jack, bitte. Ich erzähle dir alles, wenn wir Zeit haben, ja? Bitte, ich muss mich beeilen", unterbrach ich ihn.

"Schon klar", grinste er. "Aber erwarte ja nicht von mir, dass ich noch einmal so sentimental werde."

"Nein, das kann ich wohl nicht von dir er-"

Mitten im Satz wurde ich unterbrochen, indem mir Jemand mit einem Schwert einen Schnitt in den linken Unterarm verpasste. Ich wirbelte sofort herum. Vor mir stand der Henker. Dreimal verfluchter Möwenschiss! Er hatte wohl mittlerweile auch mal geschnallt, was hier gerade passierte. Ich reagierte schnell und stieß mit meinem Messer auf den Henker ein, welchen ich auch irgendwo an der Brust traf. Dass er nun schreckliche Schmerzen haben musste, konnte ich mir sehr gut vorstellen. Schließlich war das Messer vom Schneiden am Tau etwas abgestumpft. Ich riss das Messer aus seiner Brust. Er war wahrscheinlich so sehr mit seinen Schmerzen beschäftigt, dass er nicht mal versuchte, mich mit seinem Schwert zu erstechen. Schon ein wenig gruselig, wie brutal man werden konnte, nur um jemanden zu retten. Ich überraschte mich auch immer wieder selbst...

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt