35: Ausgesetzt

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Ich schniefte ein letztes Mal, bevor ich wieder aufsah und über den Rand des Krähennestes herüberlugte. Die Sonne stand schon - bereit zum Untergehen - im Westen, tat aber noch kräftig ihre Arbeit. Ich sah, dass wir genau vor einer Insel standen und bemerkte, dass sich das Schiff nicht weiter fortbewegte. Hatten wir etwa den Anker geworfen? Ja, hatten wir, denn jetzt sah ich, dass gerade ein kleines Beiboot auf die Insel zusteuerte. Ich entdeckte neben mir ein altes, wohl vergessenes Fernrohr und hielt es mir ans Auge. War ja klar. Angelica saß in dem Bötchen und ließ sich von Jack rüber kutschieren. Garantiert wollten die beiden eine Nacht am Strand verbringen. Davon war ich fest überzeugt. Was für ein verdammter, dreimal verfluchter Arsch Jack doch war! Und wieder begann ich leise zu weinen. Wobei ich nicht genau sagen konnte, ob es Trauer oder Wut war, die mich da überfallen hatte. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Ich liebte Jack schließlich immer noch. So verdammt doll. Nie hatte ich einen Menschen mehr geliebt - also mit dieser Art von Liebe. Nicht einmal meine gefühlt tausendundeins Ex-Geliebten. Allerdings, ich hatte viele Beziehungen gehabt, aber wenn ich ehrlich war - aye, auch als Piratin konnte man ehrlich sein - war mir keiner dieser Kerle auch nur ansatzweise so viel wert gewesen, wie Jack und meine Beziehung zu ihm. Also hatte ich sehr wohl das Recht, ihm hinterher zu trauern, obwohl ich selbst den Schlussstrich gezogen hatte und obwohl nur eine kurze Zeit vergangen war, seit ich ihm gesagt hatte, dass unsere Beziehung beendet war.




"Jack... wie oft willst du mich noch mit irgendetwas überraschen? Du weißt genau, dass ich so etwas nicht ausstehen kann", meckerte Angelica, lächelte dabei aber ein wenig.

"Natürlich. Ich finde es bloß so anziehend, wenn du dich aufregst", erwiderte Jack und zwinkerte. "Und ich habe alles genau geplant." Er grinste ihr verführerisch entgegen.

Und nur wenige Minuten später hatte das Boot die Insel erreicht. Jack stieg aus dem Boot und reichte Angelica seine Hand, um ihr beim aussteigen zu helfen. Sie ergriff seine Hand und stieg ebenfalls aus dem Boot. Nun standen sie sich gegenüber und blickten einander an. Angelica sah ihn fragend an und grinste dann leicht.

"Dreh dich um", meinte Jack und auf seine Lippen stahl sich ebenfalls ein Grinsen - ein falsches Grinsen.

Sie gehorchte und drehte Jack den Rücken zu. Er holte blitzschnell ein Seil hervor und knotete ihr die Handgelenke zusammen - Angelica schrie auf und begann zu zappeln. Sie trat nach ihm und traf ihn hart am Schienbein, woraufhin er sie in den Sand stieß.

"Ich hätte dir nie trauen dürfen, Sparrow", zischte Angelica wütend und drehte sich halb um, sodass sie Jack ansehen konnte; in ihren Haaren hatte sich Sand verfangen.

"Das ist dein Problem", erwiderte Jack. "Ich werde dich hier lassen. Sieh zu, wie du damit klar kommst. Hier ist eine Pistole. Mit einer Kugel. Für einen Schuss." Er warf ihr eine Pistole in den Sand, während sie sich nun vollständig auf den Rücken und somit zu ihm umdrehte. "Gebrauche ihn klug!" Dann drehte er ihr den Rücken zu und machte sich auf den Weg zum Beiboot.

"Jack!", rief Angelica und fummelte an dem Seil herum. "Sparrow!"

"Das tut mir jetzt außerordentlich Leid, meine Liebe!", rief Jack ihr beiläufig über die Schulter zu.

Angelica hatte nun gerade den Knoten ihrer Fesseln gelöst; sie rappelte sich auf und ging ihm strammen Schrittes hinterher. "Jack! Das kannst du mir nicht antun! Warte! Jack!" Als sie ihn einholte, ergriff sie seinen Arm, wirbelte ihn zu sich herum und hielt ihn fest.

Jack gab nach und sah sie erwartungsvoll an. "Sprich, Herzblatt."

"Ich liebe dich immer noch", sagte sie. "Und ich weiß, dass du es ebenfalls tust. Du liebst mich noch."

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt