132: Überraschende Begegnung

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Ich wagte es nicht zu atmen. Mit weit aufgerissenen Augen stand ich regungslos da und starrte in die Dunkelheit. Ich hatte das Gefühl, dass der Druck des Griffes um meinen Oberarm alles weitere darunter lähmte. Ich wusste nicht, ob ich es mir nur einbildete, aber ich spürte, dass mein Arm langsam taub wurde. Dann spürte ich, dass meine Lunge noch voller Luft war. Ich musste atmen. Also öffnete ich den Mund und atmete langsam, leise und stockend aus.

Als ich dann schluckte, drückte ich mir selbst eine kühle Klinge - ich hatte doch Recht gehabt - leicht in die Kehle. Ich hatte Angst. Unglaubliche Angst. Kurz dachte ich daran nach Jack zu rufen. Jedoch entschied ich mich dagegen. Außerdem kam mir gerade der Gedanke, dem Kerlchen hinter mir - ich ging davon aus, dass es ein Mann war, da seine Stimme so geklungen hatte - schön doll zwischen die Beine zu treten. Nur dummerweise war es dunkel und ich konnte nicht sehen, wo ich eigentlich hintreten würde. Außerdem würde ich es sicherlich schaffen mich dabei schön hinzulöffeln. Sollte ich dann also doch eher wagen, etwas zu sagen? Doch glücklicherweise wurde mir diese Entscheidung abgenommen.

"Wer seid Ihr und was wollt Ihr hier?", fragte die Stimme hinter mir so leise, dass ich sie nicht einmal richtig identifizieren konnte.

"Das geht Euch gar nichts an", antwortete ich leise und hatte versucht, gelassen und bedrohlich zu klingen, was mir natürlich ordentlich misslang - ganz im Gegenteil: meine Stimme klang schrill und verängstigt.

Grob drückte der unbekannte Kerl mich gegen die Wand und die Messerspitze leicht unter mein Kinn. Er bückte sich. Ich konnte es zwar nicht sehen, aber ich spürte es und spielte mit dem Gedanken, ihn k.o. zu schlagen, ließ es aber doch bleiben. Außerdem hätte ich es auch wohl kaum von der Zeit her geschafft. Denn eine Sekunde später stand er wieder gerade vor mir.

"Die Kerze", wisperte er. "Wie funktioniert sie? Sagt es mir, Missy! Und keine Lügen!"

"Manmusssieanpusten", nuschelte ich leise und eingeschüchtert.

"Wie bitte?", fragte der Kerl lauter.

"Man muss sie anpusten", wiederholte ich klar und deutlich.

Und auch nur kurz darauf, hörte ich, wie dieser Jemand pustete und die Kerze aufflackerte. Im Licht konnte ich nun direkt vor mir ein Paar strahlend grüner Augen erkennen. Außerdem war sein Gesicht sommersprossenüberwuchert und von roten, verwuschelten Haaren umgeben. Das konnte doch wohl nicht wahr sein? War das etwa... Hendric? Mein Hendric?

Der Mann senkte nun das Messer. "Ich kenne diese Augen. Jessie, du bist es. Du musst es sein!", sagte er fest überzeugt und ich sah, wie seine Augen von einem meiner Augen zum anderen huschten - hin und her. Ein paar mal.

"Hendric?", flüsterte ich.

"Jessie", stellte er erneut fest.

"Natürlich bin ich es! Oh mein Gott, wie... wie kommst du denn hier her?", stieß ich hervor, überschüttete ihn mit meinen freudigen Worten und merkte, dass er mir echt gefehlt hatte.

Ohne eine Antwort abzuwarten, schlang ich meine Arme um seinen Hals, drückte mich fest an ihn und vergrub mein Gesicht an seiner Halsbeuge. Ich spürte, wie er die Kerze in einen an der Wand hängenden Fackelhalter stellte und seine Arme um mich legte. Unterhalb meines Schulterblattes merkte ich, dass er mir sanft über den Rücken streichelte. Ich drückte meine Nase gegen sein Hemd und atmete tief ein. Er roch nach Pirat und Meer und irgendeinen Geruch, den ich nicht zuordnen konnte. Es roch aber irgendwie angenehm und ich vermutete prompt, dass er sich irgendein Geruchszeug auf Barbados gekauft hatte. Da war ich sicher.

"Henry hat uns auf dieser Insel abgesetzt, nachdem wir euch zu Tia Dalma gebracht haben. Ashton und ich haben uns auf das Schiff geschlichen", erklärte Hendric leise ohne mich loszulassen; er sprach direkt in mein Ohr und ich mochte es so sehr, seine Stimme zu hören. "Als wir gestern am Hafen gesessen haben, haben wir gehört, dass dieses Schiff nach dieser Nacht los segeln würde. Also haben wir beschlossen, uns mit zu schmuggeln. Und dann kamst du. Wo ist Jack?"

"Er ist oben", antwortete ich und ließ ihn dann los. "Wir haben das Schiff gekapert. Aber wenn du hier bist, wo ist dann Ashton?"

"Er schläft", sagte Hendric und lächelte, wobei ich sein Lächeln nahezu als verliebt bezeichnen würde.

"Nun ähm... ich würde vorschlagen wir segeln jetzt einfach zusammen. Wir wollten zu Vater. Schließlich musste Jack ihm ja versprechen, dass mir auf unserem Abenteuer nichts passiert..."

Ich räusperte mich. Von wegen 'nichts passiert'. Ich bin nur gestorben, aber nein, ansonsten ist nichts passiert. Ich musste auflachen.

"Nur nicht", meinte Hendric sarkastisch. "Du bist ja nur gestorben, Kleines", sprach er meine Gedanken aus.

"Allerdings", sagte ich und grinste. "Nun denn, ich schlage vor, wir gehen mal nach oben. Schließlich sehe ich dir an, dass du es kaum erwarten kannst, Jack zu sehen."

"Ich muss zugeben, er ist ziemlich schnuckelig", sagte Hendric, grinste und nahm die Kerze aus dem Fackelhalter.

"Ich weiß", sagte ich belustigt, hakte mich bei ihm unter und spazierte mit ihm den Gang entlang zurück zur Tür.

Ich war so verdammt froh, dass Hendric da war. Schließlich war er mein bester Freund. Und ich konnte nicht anders als glücklich zu lächeln.

"Ich hab dich verdammt doll lieb, Hendric", meinte ich dann.

"Das ist mir klar. Und du bist die wichtigste Frau in meinem Leben." Hendric zwinkerte mir zu.

"Süß von dir", kommentierte ich das Ganze und drückte Hendric einen Kuss auf die Wange. "Ich bin froh, dass du da bist."

Und so verließen wir gemeinsam den Gang.

Als wir wenig später auf dem Hauptdeck ankamen - draußen wehte ein angenehmer Wind und die Sterne funkelten nur so um die Wette - hatten wir Barbados hinter uns gelassen. Zwar nicht sehr weit, aber schon ein ganzes Stück. Jack stand stolz am Steuerrad und lenkte das Schiff, dessen Namen ich noch nicht einmal wusste, über das ruhige Meer. Ab und an warf er einen Blick auf seinen Kompass. Anscheinend hatten wir einen Kurs.

"Hey, Jack!", rief ich, woraufhin er sich zu mir umdrehte und ich gut gelaunt winkte. "Schau mal, wen ich gefunden habe, Liebling!"

"Hendric, altes Haus!", sagte Jack erfreut und machte einen Piratengruß.

"Jack", sagte Hendric grinsend und er und ich kamen bei Jack an. "Wie geht's dir?"

"Ich kann nicht klagen", antwortete Jack und erwiderte Hendrics Grinsen. "Und selbst?"

"Könnte nicht besser sein."

"Ich unterbreche euch nur ungern, ihr Süßen, aaaber", unterbrach ich die beiden, "ich müsste dir mal Hendric entführen, Jack. Hendric, wir müssen reden."

"Oh lala", meinte Jack scherzend. "Das klingt ernst, mein Freund. Lass dich von ihr nicht unterkriegen." Er zwinkerte Hendric zu.

"Hey", sagte ich empört.

"Tu ich schon nicht, keine Sorge", meinte Hendric lachend. "Aber wieso hast du mich dann überhaupt erst zu Jack gebracht, wenn du mich direkt wieder mitnehmen willst?", sagte er dann an mich gewandt.

"Damit ihr euch begrüßen könnt natürlich", antwortete ich. "Aber jetzt komm mit. Wir müssen reden." Meinem Sing-Sang fügte ich ein liebes, süßes Lächeln hinzu. Dann ergriff ich Hendrics Handgelenk und zog ihn mit mir über das Schiffsdeck.

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt