72: Liebe und Zusammenhalt

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Wir hatten keine Chance. Okay, vielleicht ja schon, aber dazu müsste ich die Wahrscheinlichkeit eines Sieges korrekt abwiegen und dazu hatte ich momentan echt keinen Nerv übrig! Ich zückte mein Schwert und hielt es den näher kommenden Skeletten entgegen. Und schon ging der Kampf los. Ich musste mich gleich gegen drei Skelette auf einmal beweisen, ebenso, wie Angelica.

"Hey, Jack, ein Gentleman kommt einer Lady zu Hilfe, wenn Feinde in der Überzahl sind", erklärte ich kopfschüttelnd, grinste aber ein wenig, denn mein lieber Piratencaptain hatte es nur mit zwei von diesen Dingern zu tun.

"Du willst mir doch immer beweisen, wie gut du kämpfen kannst, Liebes", neckte er mich und wich einem Schwerthieb aus.

"Ach, fahr zur Hölle, Jack", brummte ich angestrengt.

Jack kicherte leise. "Ein Moment."

"Ich wette", keuchte Angelica, "dass Ramiro, oder wer auch immer etwas mit dem ganzen hier zu tun hat, noch irgendeinen Zauber auf die Skelette gelegt hat."

"Was überzeugt dich?", fragte Jack.

"Man muss diese Skelette doch irgendwie erledigen können, oder?" Sie schlug einem Skelett den Oberkörper vom Unterkörper, welcher sich daraufhin wieder zusammensetzte. "Hast du's gesehen? Das muss also irgendwie anders gehen!"

"Was stand noch gleich auf der Schatzkarte, Jessie?", fragte Jack.

"El amor", keuchte ich und stieß ein Skelett von mir weg, "y la... unión!"

"Liebe", sagte Angelica und stieß ebenfalls ein Skelett von sich weg, "...und Zusammenhalt!"

"Wir werden sehen", meinte Jack und schlug einem Skelett den Arm von der Schulter. "Vielleicht wird es uns noch nützen."

So kämpften wir also gegen die Skelette. Vier gegen zehn. Das war schon etwas unfair! Aber wir hielten es ganz gut durch. Es überraschte mich, wie gut ich mit den Viechern hier zurecht kam. Jack hatte mir obendrein noch ein Skelett abgenommen, sodass ich mich nur noch um zwei kümmern musste.

Als ich dann aus Versehen auf einem der Skelette landete und ihm auf die knochige Stirn starrte, erkannte ich darin ein Zeichen. Es sah aus wie eine Sonne... und darunter waren Buchstaben eingraviert. 'El sol'. Das hieß doch 'Sonne'. Das war's doch! Die Lösung lautete Sonne! Sonnenlicht brachte sie um - oder... machte sie toter, als tot, schließlich waren sie schon tot. Wir brauchten nur Sonnenlicht. Aber Momentchen mal... Das ging doch gar nicht! Verwirrt erhob ich mich von dem Skelett und kämpfte weiter. Ich meine, wie konnte man Skelette, die nur bei Vollmondlicht zu sehen waren, mit Sonnenlicht umbringen? Sie existierten doch nur bei Vollmond. Und wenn Vollmond war, konnte man doch unmöglich die Sonne herholen; das verstand ich nicht - wow, was für eine intelligente und aufschlussreiche Schlussfolgerung, Jessie Bones.

Aber jetzt war es zunächst einmal wichtig, weiterzukämpfen und zu überleben. Ganz Gentleman-mäßig, hatte Gibbs Angelica auch das dritte Skelett abgenommen. Sehr vorbildlich. Überall in dem Raum waren Schreie und aufeinandertreffende Schwertklingen zu hören. Ich keuchte schon und war völlig fertig! Aber ich musste durchhalten. Ich hatte schließlich eine Piratenehre zu verteidigen. Und Jack hatte meinem Vater noch versprochen, mir würde nichts geschehen... Tja, ich hatte jetzt schon eine Schnittwunde am Arm und bestimmt mehrere Blutergüsse an der Hüfte. Ja, ich war gegen die Wand geknallt - mehrfach - und auch zu Boden. Und irgendwie begann ich, alles verschwommen zu sehen. Ich dachte nämlich nun, es würden sechs anstatt zwei Skelette auf mich zu kommen. Himmel! Ich glaube, mir wird schwindelig...

Dann hörte ich auf einmal ein Klirren. Es klang, als würde ein Schwert auf den Boden fallen. Dann ein dumpfer Aufschlag. Ich wirbelte herum und bekam dabei ein Schwert in den Bauch gerammt. Also nicht komplett. Es war die ganze Länge einer Schwertklinge, die ungefähr bis zu einem Drittel ihrer Breite in meinen Bauch, schräg über meinem Bauchnabel geschnitten hatte. Und es tat verflucht doll weh! Ich spürte, wie das Blut heraussickerte und mein Hemd rot einfärbte. Mir wurde noch schwindeliger. Und übel.

Doch jetzt musste ich erst einmal sehen, was dort hinten geschehen war. Ich sah Jack auf dem Boden liegen. Drei Skelette hatten ihre Schwerter auf ihn gerichtet. Sein Schwert lag nutzlos und weiter abseits am Boden. Und auch wenn meine Schmerzen noch so weh taten, musste ich jetzt Jack helfen - unbedingt! Ich stürzte also mit einem Kampfschrei auf die drei Skelette los, welche Jack bedrohten. Ich stieß einem mein Schwert in die Rippen. Er drehte sich zu mir um und verpasste mir gleich noch eine Schramme am Oberschenkel. Dann sah ich, dass ein Skelett seine Klinge an Jacks Kehle hielt. Verflucht! Ich schrie, ließ mein Schwert fallen und stürzte mich vollkommen unbewaffnet auf das Skelett, welches Jack gerade umbringen wollte. Ich hämmerte gegen seine Rippen, als es gerade die Klinge leicht in Jacks Kehle drückte. Etwas Blut rann aus der Schnittwunde. Ich hämmerte mit meinen Fäusten gegen die Knochen des Skeletts und schrie.

"Lass ihn! Finger weg! Du wirst ihn nicht umbringen!" Meine Stimme hallte durch den Raum.

Ich stieß das Skelett beiseite und es landete in der nächsten Ecke. Dann stürzte ich mich auf Jack und packte mit meinen Händen sein Gesicht. Ich übersäte seine Wange mit Küssen, während meine Sicht immer undeutlicher wurde und sich schwarze Punkte in mein Blickfeld schlichen...

"Alles in Ordnung", behauptete Jack.

"Nein! Diese Viecher hätten dich beinahe getötet!", stieß ich hervor und starrte Jack fassungslos an.

Doch es starrten nicht nur zwei braune Augen zu mir auf, sondern gleich sechs. Doch es war mir egal. Meine Schnittwunden waren mir egal. Mein Schwindelgefühl war mir egal. Meine Schmerzen waren mir egal. Alles um mich herum war mir egal. Nur Jack nicht. Ich nahm nun wieder sein Gesicht in meine Hände und übersäte ihn erneut mit Küssen.

"Dios mío!", hörte ich Angelica aus der Ferne sagen. "Das glaube ich nicht."

Gibbs' Stimme ertönte ebenfalls. "Da brat mir doch einer 'nen Storch, ich glaube nicht, was hier passiert. Die Skelette lösen sich auf. Und die silberne Haut fällt von uns ab."

"Master Gibbs", sagte Angelica. "Ich weiß, warum das so ist! Liebe und Zusammenhalt. Jessie hat es gerade eben bewiesen. Sie hat Liebe und Zusammenhalt gezeigt, als sie Jack vor den Skeletten gerettet hat!"

"Natürlich!", sagte Gibbs, der wohl gerade eine Erkenntnis hatte.

Doch um die Stimmen in der Ferne kümmerte ich mich nicht. Ich war mit Jack beschäftigt. Tränen kullerten über meine Wangen und sorgten dafür, dass ich die Welt noch verschwommener sah. Dann strich ich vorsichtig über seine frische Schnittwunde am Hals und wischte das Blut weg.

"Jack!", ertönte aus der Ferne Gibbs' Stimme. "Wir haben es geschafft! Steht auf."

Jack packte meine Schultern und drückte mich vorsichtig hoch. Gleich dreifach sah ich, wie er meinen Bauch musterte.

"Jessie, verdammt! Das sieht gefährlich aus", stellte er mit Sorge fest.

"Aber du bist wohlauf", brachte ich hervor und brach wieder auf dem Boden zusammen.

"Jessie!", rief Angelica leicht entsetzt.

"Es ist okay, mir geht's gut...", nuschelte ich.

"Nein, verflucht, geht's dir nicht!", entgegnete Jack leicht aufgebracht und hob mich auf seine Arme. "Gibbs, Angelica? Könnt ihr die Schatzruhe tragen?"

Die beiden nickten kurz, klappten den Deckel der Truhe zu und hoben sie an.

Ich legte meine Arme um Jacks Hals und meinen Kopf auf seine Schulter. Meine Schmerzen brachten mich fast um den Verstand. Dann übernahmen die schwarzen Punkte meine Sicht und mir wurde komplett schwarz vor Augen. Das sanfte Schaukeln beruhigte mich. Ich atmete tief ein und aus. Wir hatten es geschafft! Mir ging es zwar übelst dreckig, aber Jack war ja da. Ich hatte jemanden, der mich beschützte, dem ich vertrauen konnte, den ich liebte, der mich liebte, der mich um alles in der Welt nicht verlieren wollte. Und das gab mir echt Hoffnung, bald wieder wohlauf zu sein.

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon