101: Das fehlende Etwas in seinem Gesicht

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Gegen Abend waren die toten Seelen dann auf die Insel gebracht worden und wir waren wieder zurück gesegelt. Wir waren gerade wieder in unserer Welt - also im Reich der Lebenden - aufgetaucht und ich war gerade auf dem Weg unter Deck, um Beckett, der in einer Zelle saß, einen Besuch abzustatten.

Ich schritt den Gang entlang und sah suchend in jede einzelne Zelle. Wo war denn dieser Mistkerl? Dann entdeckte ich ihn endlich. Er kauerte in einer Ecke und hatte die Augen geschlossen. Sein Schatten flackerte hin und her, aufgrund der Kerzen, die die Zellen erleuchteten. Ich stellte mich vor die Zellentür, verschränkte die Arme vor der Brust und räusperte mich.

Beckett sah sofort auf. "Leandra!", sagte er und kam auf den Knien zur Zellentür gekrochen.

"Cutler", erwiderte ich kühl. "Wie geht es dir?"

Er sah zu mir auf. "Du sorgst dich um mein Wohlergehen?"

Heiliges Kanonenrohr. Wie er da hockte. Früher war er ein richtig harter, kühler Kerl gewesen, wie ich es aus Erzählungen und auch teilweise aus eigener Erfahrung wusste, und jetzt glich er vielmehr einem erbärmlichen Häufchen Elend, das sich lächerlich machte. Was für eine witzige Welt.

"Nein", antwortete ich knapp und seufzte. "Also, wie geht es dir?"

"Bestens seit du da bist", schleimte er mich an. "Du bist übrigens noch genauso hübsch wie damals. Und genauso liebenswürdig. Aber dennoch hast du dich verändert, durch dieses Piratenleben. Aber ich würde dir, oder vielmehr uns noch eine Chance geben. Ich bereue, dass ich dich verlassen habe, ich hätte dir stattdessen einen Weg aus der Piraterie heraus verschaff-"

"Spar's dir, bitte! Unsere Beziehung ist vorbei, bitte begreif das endlich. Und ich werde garantiert nicht nochmal diesen Fehler machen." Ich hob eine Augenbraue. "So, weswegen ich eigentlich hier bin, Cutler: hättest du Lust in der Crew zu arbeiten? Die Kapitänskajüte ist mir immer noch zu vollgeschleimt. Ich wette, eine Putzschürze steht dir ganz gut." Ich konnte einfach nicht anders und musste grinsen.

Beckett funkelte mich erst böse an. Dann seufzte er und nickte. "Das ist immerhin besser, als in einer Zelle zu hocken."

"Gut, dann komm mit." Ich schloss die Zelle auf und die Tür sprang auf.

Sofort stürzte Beckett heraus, stand auf, legte beide Hände an meinen Hinterkopf, zog mich zu sich und küsste mich unverschämterweise. Ich murmelte etwas; es hätte eigentlich wie ein empörtes 'Cutler' klingen sollen, doch das hatten seine Lippen verhindert. Oh Mann, ich wollte diesen doofen Mistkerl doch gar nicht küssen! Wann würde er das endlich kapieren? Er sollte sich gefälligst von mir fernhalten und sich damit abgeben, dass unsere Beziehung schon längst vorbei war. Doch stattdessen stand ich hier und wurde von Cutler Beckett geküsst. Echt nicht angenehm. Naja gut, früher hätte ich es wahrscheinlich als recht angenehm empfunden. Früher wäre ich genauso über ihn hergefallen und hätte ihm höchstwahrscheinlich auch noch meine Zunge in den Hals gerammt. Igitt! 

Endlich ließ er von mir ab und sah mich triumphierend an. "Das war gut", sagte er.

Ich sah ihn unzufrieden an und zog die Augenbrauen zusammen. "Das war nicht gut! Das war gar nicht gut! Das war verboten, das ist verboten und das wird auch immer verboten sein, klar soweit?! Oder hast du noch nicht genug von meinem Schwert gehabt?" Ich musste ganz kurz grinsen. "Und jetzt benimm dich bitte normal! Komm mit!" Ich packte ihn grob am Ärmel und schleifte ihn hinter mir her, doch er riss sich stolz von mir los und folgte mir von selbst.

Als wir an Deck ankamen, drückte ich ihm einen Wischmopp und einen Eimer Putzwasser in die Arme. Dann ließ ich ihn verwirrt dreinblickend stehen und eilte zum Steuerrad. Dort stand Troy und steuerte.

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt