20: Nebel

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Nach einer Weile, in der wir bloß stumm geschwommen waren, taten meine Arme und Beine weh. Während der Reise hatte Jack mich schon das ein oder andere Mal tragen, beziehungsweise festhalten müssen, da ich einen Krampf bekommen hatte. Und nun stand ich wieder kurz davor. Das ein oder andere mal hatte ich sogar schon ernsthaft überlegt, einfach wegzutauchen und gar nichts mehr zu machen... Aber dann hatte ich immer noch einmal gründlich darüber nachgedacht und war jedes mal zu dem Schluss gekommen, dass das absoluter Quatsch war. Ich konnte doch nicht einfach so aufgeben, nur, weil es gerade mal nicht nach Plan verlief. Aber ich konnte nicht mehr. Mir tat einfach jedes Glied weh. Und nun fing es zu allem Überfluss auch noch an zu nebeln.

"Jack? Können wir eine Pause machen. Ich habe wieder einen Krampf."

"Aber nur ganz kurz... Du weißt, der Nebel, Liebes."

"Aye", sagte ich, während Jack auf mich zu schwamm und seinen Arm unter meine Beine legte.

Ich legte ihm meine Arme um die Schultern. "Meinst du, wir überleben?"

"Natürlich, Liebes. Es gibt garantiert eine Möglichkeit."

Ich nickte, lächelte gequält und wischte mir eine Träne weg. Und auf einmal war mir so sehr nach singen zu Mute. Wenn ich sang, hatte ich immer das Gefühl nicht allein zu sein. Außerdem liebte ich es zu singen. Ich hatte das erste mal zusammen mit Hendric gesungen und seitdem hatte ich meine Leidenschaft dafür entdeckt. Ich war den Leuten aus der Crew ab und zu sogar auf die Nerven gegangen mit meinem ewigen Gesinge. Aber davon abgesehen hatte ich immer positive Kommentare dazu bekommen, vor allem von Hendric.

Also begann ich nun, so wie ich mich gerade fühlte: "Mein Herz durchbohrt von Amor, ich verschmäh das Glitzergold. Und rein gar nichts kann mich trösten, bloß mein tapferer Seemann hold."

Während ich sang, legte ich meinen Kopf aif Jacks Schulter und ließ meinen Blick über das einsame Meer schweifen. Jack legte seine Arme um meine Hüfte und strich beruhigend darüber. Wer weiß, vielleicht lockte mein Gesang ja irgendwen an, der uns helfen konnte.

Und meine Stimme drang über das Meer und durch den dichten Nebel. "Kommt all ihr hübschen Mädchen, ganz gleich wer ihr auch seid, die ihr liebt 'nen tapferen Seemann, der auf den Meeren weilt. Mein Herz durchbohrt von Amor, ich verschmäh das Glitzergold. Und rein gar nichts kann mich trösten, bloß mein tapferer Seemann hold."

Als ich endete hob ich meinen Kopf von Jacks Schulter, stützte mich stattdessen mit den Händen auf diese und zog mich hoch und ihm entgegen. Dabei sahen wir uns einfach nur an. Dann schloss ich die Augen, drückte meine Lippen sanft auf Jacks und küsste ihn. Er erwiderte meinen Kuss und strich über meinen Rücken, während ich mal wieder an seinen Dreadlocks herumspielte.

Als wir uns dann voneinander lösten, sagte er: "Es wird alles gut, Schätzchen. Das verspreche ich dir."

Ich lächelte und setzte gerade zu einem weiteren Kuss an, als Jack seine Augen weitete und an mir vorbei sah.

"Was?", fragte ich. "Was ist?"

"Pssst!", machte er. "Leise."

Und ich schwieg.

"Hörst du das? Da paddelt wer. Und da drüben ist ein Licht. Siehst du?"

Ich drehte mich um - tatsächlich drang durch den immer dichter werdenden Neben ein Licht. "Ja", flüsterte ich. "Wir sind gerettet!"

Wir machten uns klein, soweit das im Wasser eben möglich war. Da sahen wir auch schon ein Boot, an dem zwei Lampen befestigt waren. Vier Kannibalen saßen darin. Was wollten die denn schon wieder von uns? Zwei von ihnen ruderten und die beiden anderen hielten Ausschau. Das brachte ja wirklich verflixt viel, was? Ausschau halten im Nebel. Das war verdammt nötig.

"Die machen wir fertig", wisperte Jack.

Langsam, leise und vorsichtig hob er seine Pistole. Ich beobachtete ihn und hielt den Atem an. Jack zielte auf einen der Kannibalen, drückte ab und ein Klacken erklang, doch es geschah nichts. Ich sah ihn verwirrt an. Jack allerdings verdrehte die Augen, murmelte etwas, von wegen 'feuchtes Pulver' und holte eine kleine, fest verschlossene Dose aus seinem Waffengürtel.

"Ich hoffe, meine Reserve ist trocken geblieben", murmelte er und lud dann seine Pistole blitzschnell mit tatsächlich trocken gebliebenem Pulver. 

Dann ertönten vier Knalle und ein Kannibale nach dem anderen kippte tot vom Boot ins Wasser. Jack konnte wahrlich gut zielen, denn das kleine Segel und die Lampen waren heil geblieben.

"Los, auf das Boot!", sagte er und wir schwammen auf das Boot zu und übernahmen es.

Kaum saßen wir im Boot, befreiten wir uns von unseren nassen Hemden und Hosen. Schließlich war es nicht gerade gesund die Nacht in nassen Kleidern zu verbringen. Und ich hatte eine Decke entdeckt, mit welcher wir uns wärmen konnten. Eine Decke im Kannibalenboot hatte schon seine Vorteile. Vor allem, wenn die Luft mittlerweile kälter war, als das Wasser. Ich griff nach ihr und warf sie Jack über den nackten Oberkörper. Ich frierte zwar, da ich nass war, aber auch Jack frierte. Auch wenn er es nicht zugab, wusste ich, dass es so war.

"Nein, nimm du sie zuerst", sagte Jack.

"Nein. Ich möchte keinen kranken Piraten pflegen."

"Denkst du denn etwa, dass ich eine kranke Piratin pflegen möchte, Schätzchen?"

"Hmm...", grummelte ich. "Wobei... Schau mal, sie müsste eigentlich für uns beide reichen", stellte ich fest und krabbelte hinüber zu Jack.

Er hob die Decke, die tatsächlich relativ groß war, an und ich kroch zu ihm.

"Warte einen Moment", meinte er dann, erhob sich und löschte die Lampen.

"Was soll das? Jetzt ist es dunkel, du Schlaukopf."

"Der Mond reicht als Licht. Außerdem würden andere Schiffe, Boote und im Meer treibende Piraten, wie wir es zuvor gewesen sind, die Lichter sehen und uns wahrscheinlich überfallen. Die Chance, dass das zutrifft ist jetzt geringer als zuvor, klar soweit?!", erklärte er.

Ich nickte. Das war doch eigentlich logisch.

Dann kroch Jack wieder zu mir. Die Decke reichte wirklich für uns beide. Und natürlich waren wir beide hundemüde und schliefen bald darauf eng aneinandergekuschelt ein. 

Es war ein schönes Gefühl, wenn man wusste, dass man jemanden hatte, der für einen da war. Und dieses Gefühl, da war ich mir sicher, hatten wir beide. Ja wohl, auch Jack, selbst wenn er sich etwas schwer darin tat. 

Und insgesamt war es eine schöne Nacht. Zwar war ich zwischendurch ein- oder zweimal aufgewacht, aber sofort wieder mit einem Blick auf einen ruhig schlafenden Jack eingeschlafen. Wenn Jack schlief sah er sogar noch süßer aus, als er es sonst schon tat - hatte ich das schon mal erwähnt? Und ich war froh, dass er bei mir war. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich mich nämlich schon längst selbst aufgegeben und mich meinem Schicksal und dem Meer überlassen. Ach nein! Dazu hätte es ja gar nicht kommen können. Denn ich war ja intelligenterweise ins Meer gesprungen. Aber das hätte auch nicht passieren können, wenn Jack mich nicht vor den Kannibalen gerettet hätte. Naja, dann wäre ich halt in einem dreckigen Kannibalenmagen gelandet. Obwohl... auch dies wäre ohne Jack nicht möglich gewesen, denn er hatte mich vor Davy Jones, oder auch der Fischfresse, wie er immer so schön zu sagen pflegte, gerettet. Dann wäre ich halt in Jones' Crew gelandet ider gestorben. Aber auch das wäre ohne Jack nicht möglich gewesen, denn er hatte mich mit auf die Black Pearl genommen. Wenn er das nicht getan hätte, läge ich immer noch auf der Insel am Strand oder in einer Zelle, bei diesen komischen Menschen. Obwohl... ich wäre schon längst tot, wenn Jack nicht gewesen wäre und mir in erster Linie das Leben gerettet hätte! 

Denn als ich angeschwemmt worden war, hatte er mir ja das Leben gerettet! Wenn er also nicht gewesen wäre... würde ich jetzt nicht mehr da sein. Das hieß, dass Vater ihm verzeihen musste. Er musste einfach! ER MUSSTE! Und wenn er es nicht täte, würde ich nicht mehr länger seine Tochter sein wollen, das schwor ich mir selbst. Aber gleichzeitig zweifelte ich sehr daran, denn ich liebte meinen Vater sehr. Ich könnte ihn nie für immer allein lassen. Ich würde nicht dazu in der Lage sein, nicht mehr seine Tochter zu sein. Das ging einfach nicht. 

Und ich wurde müde vom Denken und merkte somit gar nicht, dass ich schon bald wieder einschlief.

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt