125: Der sechsundzwanzigste November

874 49 14
                                    

Nachdem ich Henry also geholt hatte, hatte er Ashton - ja, so hieß er, wenn ich mich recht erinnerte - gemeinsam mit Hendric, dem Rothaarigen, unter Deck in eine Kammer getragen. Dort lag der Arme jetzt nun auf der Koje. Henry hatte ihn soweit versorgt. Und der arme Hendric war richtig fertig. Ich vermutete, dass er und Ashton vielleicht sogar ein Paar waren. Aber vielleicht würde ich das noch genauer herausfinden.

Jedenfalls saß ich nun mit Jack und Hendric auf den Treppenstufen zum Achterdeck. Ich hielt die Gitarre im Arm und schwieg. Jack und Hendric sprachen ab und an mal miteinander. Ich fühlte mich irgendwie überflüssig. Und dann immer dieses unangenehme Schweigen, wenn die beiden auch mal ihre Klappe hielten. Momentan waren wir wieder in einer solchen Situation. Stille. Nichts als Stille. Also beschloss ich, ein wenig Musik zu machen. Ich setzte meinen Finger also auf eine Saite der Gitarre und begann zu spielen. Ein Lied. Es klang irgendwie traurig, aber schön. Sofort hatte ich die Aufmerksamkeit von Jack und Hendric.

"Das... hab ich dir beigebracht, Jessie. Damals", stellte Hendric fest und sah meinen Fingern zu.

Ich hob die Augenbrauen. Fing er jetzt etwa auch so an wie Jack? War er auch mit mir verlobt? Hatte er mich etwa auch vor Kannibalen gerettet? Er erzählte mir auch Dinge, von denen ich nichts wusste. Ich spielte einfach weiter, dachte aber intensiv über alles nach. Ich konnte einfach nicht verstehen, dass Jack und anscheinend auch Hendric mehr über mich wussten, als ich. Ich konnte nicht verstehen, wie das möglich war. Die einzige Erklärung war, dass ich wirklich mein Gedächtnis verloren hatte. Aber es war seltsam, auf das, was andere sagten zu vertrauen. Ich konnte es kaum erwarten diesen Tee von Tia Dalma zu trinken.

Ich spielte das Lied ein weiteres mal und sang nun dazu: "You are just too young to find the senses in your life." 

"Looking for something else like the dream that you have", sang dann auf einmal Hendric.

Ich starrte ihn an. Woher wusste er...? Und ich begann immer mehr zu glauben, dass das alles vielleicht doch Sinn ergab.

Er lächelte mich an. "Mach weiter, Kleines. Wir singen zusammen", schlug er vor.

"Filled your life with something else like teardrops in your eyes", sang ich also weiter.

"Who does care what you are when the river flows in you", sang Hendric weiter.

Und ich mochte seine Stimme. Ich mochte sie sehr. Sie war wunderschön. Nahezu unbeschreiblich. Er konnte verdammt gut singen, ich hätte schmelzen können, wie Eis in der Sonne. Und jetzt hatte ich Lust auf Eis... Allerdings bezweifelte ich, dass wir uns einen Abstecher nach Frankreich, China oder Italien leisten konnten. Also wurde daraus schonmal nichts. 

Ich spielte das Lied noch zu Ende, dann legte ich die Gitarre beiseite und erhob mich. "Ich bin gleich wieder da..."

"Was hast du vor, Liebes?", fragte Jack.

"Ich geh nur kurz mal runter, weil ich nach unserem Patienten sehen will. Bin gleich wieder da", sagte ich und lief davon und über das Deck auf die Tür zu.

Doch als ich näher kam, hörte ich schnelle Schritte. Ob das wohl wieder so ein amoklaufender blinder Passagier war? Vorsichtshalber blieb ich also stehen, ergriff den Griff meines Schwertes und zog es aus der Schwertscheide. Ich warf einen Blick über die Schulter. Jack und Hendric hatten jeweils eine Augenbraue erhoben. Ich warf ihnen einen kurzen, erwartungsvollen Blick zu und sah wieder zur Tür. Diese wurde nun geöffnet und herausgeprescht kam ein Mann mit erhobener Pistole. Wie kam es, dass Menschen an Bord waren, von denen wir nichts wussten? War in unserer Nähe etwa ein Schiff versunken und diese Leute kamen jetzt nach und nach zu uns? Anders konnte ich mir das nicht erklären.

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt