134: Ehrlichkeit

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Nachdem wir etwa fünf Tage lang unterwegs gewesen waren, hatten wir dann auch endlich mal etwas anderes entdeckt als immer nur Wasser. Oder sollte ich besser sagen: Ashton hatte was anderes entdeckt!

"Hey, Jessie!", rief er mir von der anderen Seite der Reling her zu.

"Ash?", rief ich fragend zurück, woraufhin Ashton mich zu sich herbei winkte und ich zu ihm hinüber ging. "Was gibt's?"

"Sieh mal!", sagte Ashton und hielt mir das Fernrohr unter die Nase.

Ich ergriff besagten Gegenstand und hielt ihn mir ans Auge. Ich blinzelte und blickte hindurch. Erst erkannte ich nichts, außer Meer und Himmel. Dann drehte ich das Fernrohr etwas und fuhr mit dem Blick den Horizont entlang. Und da sah ich es! Ein Schiff. Und wir steuerten genau darauf zu.

"Oh, wow", nuschelte ich.

"Ja, nicht wahr?", meinte Ashton.

Ich ließ vom Fernrohr ab und sah ihn an. "Ähm... und was hat das zu bedeuten?"

"Hast du nicht gesehen, WAS das für ein Schiff ist, Jessie?", fragte er mich.

"Ähm... nö?", antwortete ich zögerlich und setzte mir das Fernrohr schnell wieder ans Auge. "Sollte ich es denn kennen?", fragte ich, während ich den Horizont erneut nach dem Schiff absuchte und es letztendlich fand.

"Sicher!", antwortete Ashton und in seiner Stimme schwang ein ungläubiger Unterton mit.

Ich ließ das Fernrohr erneut sinken. "Nein, Ash, tut mir Leid, ich kenne dieses Schiff nicht."

"Es ist die Great Maid, Jessie Leandra Bones", erklärte mir Ashton in einem genervten Sing-Sang. "Dein Vater. Til."

"Oh", war mein Kommentar und im Bruchteil einer Sekunde fand sich das Fernrohr wieder an meinem Auge wider und mein Blick auf dem Schiff, welches ohne Zweifel die Great Maid war, wie ich jetzt feststellte; mein Vater lag also direkt vor uns.

Auf meine Lippen legte sich ein Lächeln. Ich hatte meinen Vater eine längere Zeit nicht mehr gesehen. Und das schlimmste war, dass ich in dieser Zeit Geburtstag gehabt hatte! Der erste ohne meinen Vater dabei zu haben... Und wenn ich ehrlich war, vermisste ich ihn. Doch was sollte ich ihm erzählen? 'Hey Daddy, ich war Kapitänin der Flying Dutchman und zwischenzeitig tot. Außerdem bin ich auch mal eben so schwanger geworden, aber sonst ist alles in Ordnung!'. NEIN, bloß nicht! Der würde mich umbringen, bevor ich 'Parley!' sagen könnte. Wenn ich mich in Gefahr bringen würde, würde er mich nämlich umbringen - was irgendwie sehr sinnlos war. Das konnte ich also nicht verantworten, neinnein, beim besten Willen nicht. Wobei... sollte ich es ihm überhaupt erzählen? Nun ja, eigentlich hatte er ein gutes Recht, alles zu erfahren und ich vermutete, dass er sich sowie so erkundigen würde, was ich so die ganze Zeit über getrieben hatte. Ich meine, schließlich war er mein Vater. Es kümmerte ihn sehr wohl, was seine Tochter alles anstellte. Vielleicht könnte ich die Wahrheit ja ein bisschen... sagen wir mal transformieren. Aber dann sollte ich mir so langsam echt mal was einfallen lassen. Schließlich näherten wir uns der Great Maid immer mehr.

Plötzlich legte sich ein Arm um meine Hüfte. Ich blickte nach rechts und sah, dass sich Hendric zu uns gesellt hatte.

"Ich hab schon Bescheid gegeben, dass wir den Kurs halten", erzählte er mir grinsend.

"Na sehr schön", meinte ich und lächelte. "Ich geh dann mal zu Jack", fügte ich mit einem Blick auf Hendrics Hand, die sanft über Ashtons Rücken streichelte, hinzu, nickte mit dem Kopf in Richtung Steuerrad, ging davon und ließ die beiden Turteltäubchen allein.

Mein Weg führte geradewegs zu Jack. Stolz wie immer stand er da und steuerte das Schiff. Ich kam neben ihm mit einem 'Hey, du.' zum Stehen.

"Na?", erkundigte er sich. "Freust du dich schon?"

"Ja sicher!", antwortete ich wahrheitsgetreu.

"Und... erzählst du ihm-"

"NEIN!", unterbrach ich ihn, da ich schon wusste, worauf er hinaus wollte.

"Vielleicht solltest du das aber, Jessie", sagte Jack. "Schließlich hast du dich heute morgen wieder übergeben. Er wird es bemerken. Er ist doch nicht doof!"

Ich seufzte. "Jack... ich weiß es nicht", gestand ich. "Ich habe Angst vor seiner Reaktion."

"Weißt du was, Liebes?", meinte Jack und legte seinen Arm um meine Schultern. "Ich werde dir beistehen. Egal, ob du es ihm sagst oder nicht."

"Heißt das, du...?", begann ich und fing an zu strahlen.

Ich hatte nämlich Hendrics Rat befolgt und mit Jack über mein Problem geredet. Ich hatte ihm gesagt, dass ich den Eindruck hatte, dass er sich überhaupt gar nicht darum scherte, wie es mir mit meinem kleinen, lebenden Problemchen ging, was eigentlich gar nicht mal so klein war. Und er wusste, dass mich sein Verhalten verletzt hatte. Er hatte mir gesagt, er würde versuchen, es zu ändern. Und anscheinend... versuchte er es gerade, was mich übrigens ziemlich freute!

"Ja, Jessie", bestätigte er. "Es fällt mir schwer, ehrlich zu sein", gab er zu, "aber ich muss dir sagen, dass es nicht leicht für mich ist damit klarzukommen, dich womöglich... geschwängert zu haben. Es ist einfach so eine unfassbare Vorstellung. Aber ich versuche es zu akzeptieren. Dir zuliebe."

Oh lala. Er wurde sentimental. Das war schon irgendwie knuffig.

Ich begann noch mehr zu strahlen. "Jack, das ist toll! Das ist schön! Das ist so großartig! Ich bin stolz auf dich!", meinte ich glücklich. "Und ich freue mich sehr, dass du es versuchen willst!"

"Hmm", machte Jack bloß, ließ seinen Arm von meinen Schultern auf meine Hüfte sinken und warf einen Blick auf seinen Kompass. "Wir werden ja sehen, wo das alles noch hin führen wird."

Ich nickte und warf ebenfalls einen Blick auf seinen Kompass. "Wir sind gleich da", sagte ich, woraufhin Jack nickte. "Ich freue mich sehr, ihn wiederzusehen!"

"Kann ich gut verstehen, Liebes", sagte Jack und schenkte mir ein Lächeln.

"Ja. Ich habe ihn echt vermisst", sagte ich. "Ich bin mir sicher, wir können zunächst bei ihm bleiben. Er kann uns zur Black Pearl bringen."

"Wenn ich dort einen Schlafplatz finde", sagte Jack und blickte grinsend zu mir hinab.

"Idiot", meinte ich lachend.

Denn natürlich sollte er mit mir in meiner Koje schlafen. Jack grinste stumm und wir fuhren weiter über das Meer direkt auf die Great Maid zu.

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt