102: Das Ritual

819 62 18
                                    

Noch bis spät am Abend saßen Hendric und ich auf der Treppenstufe. Der Himmel war sternenklar und der Mond schien silbern auf uns herab. Einige Kerzen schmückten flackernd das Deck der Flying Dutchman. Hendric hielt mich im Arm und strich sanft über meinen Oberarm. Ich lehnte an ihm und genoss dieses Gefühl, ihn bei mir zu haben. Es war tatsächlich so wie früher. Da haben wir auch schon immer gekuschelt, wenn es einem von uns nicht so gut ging.

"Jetzt erzähl aber mal, Kleines. Wie hast du es geschafft, hier zu landen? Du hast Davy Jones umgebracht. Aber wie und warum?", fragte Hendric dann leise.

Ich seufzte. "Es war ein Versehen."

"Du schaffst es, aus Versehen jemanden umzubringen?"

"Scheint so, nicht?"

Hendric lächelte mich mitleidig an und gab mir einen Kuss auf den Kopf. "Erzähl weiter."

"Naja... Jack und ich haben vom Strand aus die Pearl und die Dutchman gesehen. Krieg, weißt du?" Hendric nickte. "Wir sind hingeschwommen und haben Jacks Crew geholfen. Und dann, naja... war ich auf einmal so sauer auf Jones. Er hat Mum auf dem Gewissen und dann auch noch dieses arrogante Grinsen... Jedenfalls hab ich mal wieder nicht nachgedacht und einfach geschossen. Er hat sein Herz in der Hand gehalten. Nun ja, dann war er eben tot und ich Kapitänin. Jack hat mir versprochen, mich zu retten. Er segelt zu Tia Dalma. Ich hoffe, er beeilt sich..."

Als ich meine Geschichte kurz und knapp erzählt hatte, schwieg Hendric eine ganze Weile. Offensichtlich dachte er intensiv über meine Worte nach.

"Du musst ihn sehr vermissen, stimmt's?", fragte er dann.

"Natürlich tu ich das...", seufzte ich, umfasste mit meiner rechten Hand meinen linken Oberarm und drehte den Kopf weg, da ich merkte, dass mir Tränen in die Augen stiegen.

Hendric drückte mich näher an sich und erfasste vorsichtig mein Kinn. Er drehte meinen Kopf langsam zu sich. Ich senkte den Blick.

"Nicht... Ich will nicht, dass du mich so siehst", sagte ich mit erstickter Stimme und schüttelte mich.

"Es ist okay", beruhigte mich Hendric und umarmte mich sanft. "Ich habe dich doch schon so oft so gesehen, Kleines. Als ob du ernsthaft ein Problem damit hättest."

Hendric war so lieb! Und er hatte Recht. Er hatte mich schon verdammt oft weinen sehen. Öfter als jeder andere. Und wem konnte ich mehr vertrauen als ihm? Also hob ich den Kopf und sah Hendric direkt in die Augen.

"Ich komme mir so blöd vor, Hendric. Du hast dich mit Ashton gestritten, was wirklich schlimm ist, und ICH heule DIR die Ohren voll, weil Jack für ein paar Tage nicht bei mir ist..."

"Ist schon in Ordnung, Jessie", sagte Hendric, klang dabei unheimlich ehrlich, strich über meine Wange und gab mir einen weiteren Kuss auf den Kopf.

Ich lächelte leicht. "Tut mir Leid, ich brauch die Gitarre", meinte ich dann und löste mich von ihm.

"Klar, mach nur. Ich mag es, wenn du singst und Gitarre spielst", meinte Hendric lächelnd.

"Das ist lieb von dir, danke Hendric." Ich lächelte zurück, nahm die Gitarre und begann zu spielen.

"Es klingt wundervoll", lobte mich Hendric.

"Hab ich alles bei dem wundervollsten Menschen der Welt gelernt."

"Achja? Bei wem denn?"

"Meinem besten Freund", antwortete ich. "Du bist der Beste." Ich lächelte ihn an.

Er lächelte zurück.

"'Cause you're a sky, you're a sky full of stars", begann ich dann leise zu singen. "I'm gonna give you my heart. 'Cause you're a sky, you're a sky full of stars. Because you light up the path and I don't care, go on and tear me apart. And I don't care if you do. 'Cause in a sky, in a sky full of stars I think I saw you."

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt