119: Glücksgefühl

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"Oh", meinte ich und war total überwältigt. "Es pulsiert nicht? Ich bin also wirklich tot, oder?" 

Und ich fragte mich selbst, warum ich einfach so davon ausging, dass es wirklich mein Herz war. Diese Geschichte war so absurd, so unglaubwürdig absurd! Aber vielleicht spürte ich es ja irgendwie. Vielleicht wusste ich tief in mir drin, dass es mir gehörte. 

"Bist du", bestätigte mir Troy. "Nimm es. Immerhin gehört es dir."

Ich nahm mein Herz aus Troys Händen und stopfte es in den Ausschnitt meines Hemdes. Troy starrte mich mit einem Blick an, der nur eines sagte: bei dir hackt's wohl. Ich grinste kurz.

Dann setzte Troy einen ernsten Blick auf und kam mir näher. "Und... da ist noch etwas anderes, Jessie."

Ich hörte auf zu grinsen und hob gespannt die Augenbrauen. "Aye?"

Troy trat noch einen Schritt auf mich zu und sah mir in die Augen. "Ich kenne dich schon etwas länger, das weißt du zwar nicht, aber... wir haben uns auf der Flying Dutchman kennengelernt. Du warst mein Captain. Und es so, seit ich das erste Mal mit dir gesprochen habe und... es muss einfach sein, dass du es weißt: ich liebe dich."

Dann drückte er mir einen Kuss auf die Lippen. Zärtlich. Leidenschaftlich. Erst überlegte ich, ob ich seinen Kuss erwidern sollte - warum auch immer, denn ich kannte ihn kaum -, doch dann fiel mir ein, dass auch Sparrow mich schon zwei Mal geküsst hatte und ich eigentlich nicht mit jedem Kerl auf diesem Schiff knutschen wollte. Doch bevor ich irgendwie handeln konnte, ließ Troy auch schon von mir ab.

"Du gehörst zu ihm", sagte er kleinlaut, drehte sich um und latschte davon.

Ungläubig saß ich auf der Reling und starrte ihm verwirrt hinterher. Wollten mich eigentlich alle komplett auf den Arm nehmen?! Alle paar Minuten kam jemand an, knutschte mit mir rum und ging eiskalt wieder davon, oder was? Wenn den Männern nach knutschen war, kamen sie zu mir, verstand ich das gerade richtig? Ich war doch kein Spielzeug! Ich hatte auch Gefühle! Diese Männer machten mich echt fertig... wirklich. Ich seufzte, strich meine Haare nach hinten, steckte meine rechte Hand in meinen Ausschnitt unter mein Hemd und suchte nach dem Herz. Wo war es denn, verdammt nochmal? So groß war mein Hemd nun auch wieder nicht.

"Kann man dir behilflich sein, Jess-Jess?", fragte Henry, den ich an der Stimme erkannte.

Ich sah auf und sah, dass er grinsend ein paar Meter von mir entfernt stand.

"Ähm... hallo!", sagte ich, grinste schräg und tastete weiter. "Neinnein, das geht schon. Weitermachen!" Ich nickte breit grinsend.

Belustigt hob Henry die Augenbrauen und ging dann weiter. Mein Grinsen verblasste. Das war jetzt schon etwas peinlich... Aber mittlerweile musste ja allen an Bord bewusst sein, dass ich einen kleinen Knacks hatte - anscheinend wohl auch vor allem seitdem ich tot war. Und dann fand ich mein Herz, holte es hervor und betrachtete es. Das war wohl wirklich meins. Ich beschloss, von nun an gut darauf aufzupassen, bis ich es mir wieder 'einpflanzen' konnte. Wenn ich nur wüsste, wie das funktionieren würde. Aber vielleicht würde sich das auch von allein erledigen, sobald ich wieder lebte.

~FLASHBACK ENDE~

Lag es an ihm? Lag es an Sparrow, dass ich auf einmal und nur durch seinen Blick so aufgeregt war? Hatte ich mich etwa verliebt? Es schien fast so. Aber warum fühlte ich mich so sehr zu ihm hingezogen? Ich hatte das Gefühl ihn schon Ewigkeiten zu kennen. Dabei kannte ich ihn kaum. Oder war an seinen Erzählungen vielleicht doch was dran? War ich vielleicht wirklich mit ihm verlobt? Ich hatte keine Ahnung. Es war alles so seltsam. Und dann hatte sich auch noch dieser Troy Taylor eingemischt, der mich angeblich liebte. Das machte das ganze Chaos nicht gerade einfacher. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Was hatte ich denn bitte für ein Leben geführt, dass ich wohl verlobt war, aber gleichzeitig noch einen - oder wer weiß, vielleicht gab es ja noch mehr - anderen Verehrer hatte? Das war mir alles viel zu kompliziert.

"Ist alles in Ordnung bei dir?", fragte Jack Jessie, die ihn einfach nur anstarrte.

Jack mochte es, wenn sie ihn ansah. Er war immer noch fasziniert von ihren Augen. Sie waren so blau. Blau wie der Himmel. Blau wie das Meer. Blau wie die Freiheit. Das hatte er schon immer so sehr an ihrem Aussehen gemocht.

Und jetzt nickte Jessie abwesend, strich sich ihre lange, braune Lockenmähne nach hinten, drehte sich auf den Rücken, zog die Decke noch höher und starrte an die Decke über sich. Jack sah sie noch kurz an und wandte sich dann wieder seiner Karte zu. Doch er konnte sich nicht mehr auf die Karte konzentrieren, was natürlich Jessies Schuld war. Was hatte sie eigentlich mit ihm angestellt? Sie hatte ihn verändert. Schließlich gab er zu, dass er sie liebte. Er gab sogar zu, dass sie verlobt waren. Das hätte er früher nicht getan. Jetzt wollte er sie sogar von ihrer Beziehung zu ihm überzeugen. Das war schon irgendwie verrückt.

Aber er spürte, dass zwischen ihm und Jessie wieder etwas lief, was ihn den Umständen entsprechend glücklich stimmte. Er merkte doch, wie sie ihn ansah und wie sie ihn küsste. Er war sich sicher, dass sie wieder in ihn verliebt war - oder wohl eher ihre Gefühle für ihn wiederentdeckte. Ziemlich sicher.

Das Anstarren der Decke über mir langweilte mich. Ich verarbeitete meine Gedanken, die mittlerweile ausschließlich Jack Sparrow waren. Aber am besten konnte ich so etwas, wenn ich sang. Ich wollte nur nicht zu laut singen. Sparrow durfte es hören. Aber sonst niemand.

Also begann ich leise: "I don't know you, but I want you all the more for that..."

Ich warf Sparrow einen Blick zu. Er sah mich ebenfalls an. Eine Weile starrten wir uns gegenseitig an.

Dann beschloss ich, unser Blicke Hin und Her zu beenden und sang weiter: "Words fall through me and always fool me and I can't react. And games that never amount to more than they're meant will play themselves out."

Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, dass Sparrow mich beobachtete. Und ich meinte sogar ein Lächeln auf seinen Lippen zu sehen. Das freute mich irgendwie.

"Falling slowly, eyes that know me and I can't go back. Moods that take me and erase me and I'm painted black. But you have suffered enough and warred with yourself, it's time that you won", sang ich. "Take this sinking boat and point it home, we've still got time. Raise your hopeful voice, you have a choice, you've made it now. Falling slowly, sing your melody, I'll sing it loud."

Und als ich aufgehört hatte zu singen, sah ich wieder zu Sparrow. Er hatte sich auf die Seite in meine Richtung gedreht und erwiderte meinen Blick.

"Du Süße", wisperte er leise und rau und grinste.

Ich konnte nicht anders und grinste ebenfalls. Ich war offenbar wirklich in ihn verliebt. Denn die Tatsache, dass er mich 'Süße' genannt hatte, löste in mir ein unbeschreibliches Glücksgefühl aus.

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Lied: Glen Hansard - Falling Slowly

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt