35: Ausgesetzt

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"Ganz sicher nicht", antwortete Jack prompt. "Aber ein Abschiedskuss könnte nicht schaden, aye?!" Er grinste.

Dann kehrte er ihr den Rücken zu und eilte weiter. Er erreichte das Boot, schob es ins Meer und stieg ein. Schnell stieß er die Ruder ins Wasser und begann zu rudern, ehe Angelica ihn erreichen konnte.

"Sparrow!", rief Angelica und watete ins Meer. Sie begann, Jack auf Spanisch zu beschimpfen. "Bastardo insidioso! Queda aquí! Seductor! Canalla! Borracho! Casanova! Delatador! Jugador!" Dann griff sie nach der Pistole im Sand und zielte auf ihn - Schuss! - daneben.

"Das üben wir noch mal!", rief Jack und ruderte seelenruhig davon, zurück auf die Pearl zu.




Das, was ich da gesehen hatte, konnte ich nicht glauben. Jack hatte Angelica doch nicht ernsthaft auf dieser Insel ausgesetzt? Naja, umso besser. Von mir aus konnte sie bleiben, wo der Pfeffer wächst! Aber warum tat Jack das? Mochte er sie nicht? Ich hoffte nicht! Denn dann hätte ich ja vielleicht eine Chance. Und ich war wirklich blind vor Liebe. Aber momentan wollte ich mich auf keine Beziehung mehr einlassen. Das war klar! Ich hatte genug von Männern - fürs Erste jedenfalls - egal, was Jack jetzt anstellen würde. Ich brauchte erstmal nötigen Abstand, um in Ruhe über alles nachzudenken...

Doch ich blieb nicht lang allein mit meinen Gedanken, denn kaum war die Sonne untergegangen und das Schiff weitergefahren, hatte ich das dringende Bedürfnis mir einmal die Beine zu vertreten und zur Reling am Bug zu gehen. Ich zögerte noch; dann quälte ich mich aus meinem 'Nest' und fand mich wenig später auf dem Deck wieder. Ich ging zum Bug und stellte mich an die Reling. Ich hoffte, dass ich Jack hier vorne nicht über den Weg lief. Ich brauchte Abstand. Vor allem von ihm.

Ich kletterte auf die Reling und setzte mich so darauf, dass meine Beine über der Galionsfigur baumelten. Leise begann ich zu singen: "I know I can't take one more step towards you 'cause all that's waiting is regret. And don't you know I'm not your ghost anymore? You lost the love I loved the most."

Ich senkte den Kopf und betrachtete meine linke Hand, an der Jacks Ring glitzerte. Ich zog ihn von meinem Finger und spielte mit dem Gedanken, ihn ins Meer zu werfen. Aber dieser Gedanke löste ein verdammt beklemmendes Gefühl in mir aus. Er hatte ihn mir geschenkt. Und er weckte schöne Erinnerungen in mir. Ich konnte ihn nicht einfach so weg werfen! Ich entschied mich also dagegen und steckte ihn mir wieder an.

"I hear you're asking all around if I am anywhere to be found, but I have grown too strong to ever fall back in your arms. And I learned to live half alive and now you want me one more time. And who do you think you are? Running 'round leaving scars. Collecting your jar of hearts, tearing love apart."

Mit den Händen umschloss ich die Reling und ließ die Beine baumeln. Ich könnte herunter zur Galionsfigur klettern und dort übernachten. Wobei das ziemlich kompliziert werden könnte. Und es würde mit Sicherheit zu kalt werden. Vielleicht würde Jack mir seine Kajüte überlassen, wenn ich ihn darum bat. Aber ich wollte ihn um nichts bitten. Er war ein doofer Idiot.

"You're gonna catch a cold from the ice inside your soul, so don't come back for me. Who do you think you are?" Ich beendete mein Liedchen und starrte hinaus auf die weite See.

"Miss Bones?"

Ich erschrak, zuckte zusammen und wäre dabei fast von der Reling gefallen. Ich drehte mich um. Da stand Jack und sah mich vorsichtig lächelnd an. Aye, es war ein Lächeln. Nicht sein typisches, selbstbewusstes, freches Grinsen, nein. Es war ein ganz normales, aber sehr gezwungen wirkendes Lächeln.

"Ich wollte nur noch einmal sagen, dass es mir Leid tut."

Ich wusste, wie schwer es ihm fiel, jemandem zu sagen, dass ihm etwas Leid tat. Aber die Tatsache, dass er es sagte und der Ausdruck auf seinem Gesicht sorgten dafür, dass es glaubhaft rüber kam. Ich wusste, wie viel Überwindung ihn das wohl gekostet haben musste. Ich seufzte, schwang die Beine elegant zurück über die Reling, hoppste von dort aus auf den Boden und stand ihm nun gegenüber. In meinen immer noch verschwollenen Augen bildeten sich erneut Tränen.

"Tut mir Leid, ich brauche erstmal Abstand", sagte ich; mir rannten nun in kleinen Strömen die Tränen über die Wangen.

"Miss Bones- "

"Nein, Sparrow." Ich sah ihn an. Er musterte meine Tränen und merkte offensichtlich, dass es mir sehr schwer fiel, jetzt etwas zu sagen. "Kommt erstmal mit Euren eigenen Gefühlen klar, bevor Ihr Euch in meine einmischt, was Ihr sowie so schon getan habt." Meine Stimme versagte, dann sprach ich schrill weiter. "Überlegt Euch gut, was Ihr wollt. Seid Ihr tatsächlich so gefühlskalt, dass Ihr Euch nicht in andere Menschen versetzen könnt?" Meine Stimme versagte wieder, dann sprach ich, nun heiser, weiter. "Ganz ehrlich: wer, denkst du, bist du, dass du dir alles erlauben kannst? Vergnügst dich mit einer anderen Frau und kehrst dann nach dem Motto 'Da-bin-ich-wieder,-jetzt-ist-die-andere-dran' zu mir zurück." Und ich vergaß ganz dieses blödsinnige Ihr-Euch-Gefasel. "Aber nicht mit mir, Sparrow! Du musst dir mein Vertrauen erst wieder zurückgewinnen. Dein Hin und Her geht mir bis zum Haaransatz. Und du weißt, nicht nur physische Verletzungen hinterlassen Narben." Meine Stimme zitterte nun vor leisem Wimmern. "Auch Gefühle. Sie hinterlassen Stiche in der Seele, Sparrow! Narben. Also... bitte lass mich für's Erste in Frieden. Ich brauche Abstand." Mit diesen Worten und tränenüberströmten Gesicht rauschte ich - ihn anrempelnd - an Jack vorbei.

Ich ging geradewegs auf seine Kajüte zu, ging herein, knallte die Tür hinter mir zu und lehnte mich dagegen. Langsam glitt ich am Holz der Tür herab. Bis ich schließlich auf dem ebenso hölzernen Boden aufkam. Ich fing an bitterlich zu schluchzen. Liebe tat weh. Liebeskummer tat weh! Ich fühlte mich wie ein Haufen Elend. Das war das Ende des Paradieses. Jedenfalls für mich. Ich hatte es mir geschworen. Doch wie lange konnte ich dem standhalten? Ich vermisste ihn. Doch verzeihen konnte ich ihm noch lange nicht.

Ich erhob mich und ging auf die Koje zu, legte mich hinein und zog die Decke bis ans Kinn. Dass ich lieber nackt und bei Wind und Wetter im Krähennest schlafen wollte, als mit Jack in einer Koje, hatte ich, wenn ich es mir recht überlegte, nicht ernst gemeint. Und ich hoffte, er hatte nichts dagegen. Jetzt, nachdem ich ihn förmlich so zusammen gefaltet hatte. Aber jetzt ging es mir trotzdem außerordentlich schlecht. Kaum zu glauben, aber mein Liebesglück war schon wieder dahin. In den Wind gelegt, unwissend, ob es jemals zu mir zurückkehren würde... Vielleicht sollte ich wirklich einfach Hendric heiraten. Oder meine geliebte Nacht. Die beiden bereiteten mir nämlich so gut wie GAR KEINE Probleme.

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Lied: Christina Perry - Jar Of Hearts

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt