"Morgen!", sang ich fröhlich, als ich neben Jack stand und ihm einen Kuss auf die Wange gab.
"Oh, du bist auch mal wach?", neckte mich Jack.
"Sieht so aus, nicht wahr?", antwortete ich grinsend.
"Wer sagt mir, dass du nicht schlafwandelst, hm?", meinte Jack.
Ich starrte ihn mit großen Augen an und sagte nichts.
Jacks Mund verzog sich zu einem Grinsen. "Nur zu deiner Information, Liebes", sagte er dann, "wir werden noch heute in Tortuga ankommen und anheuern."
"Gut, ich freu mich", sagte ich und lächelte.
Jack nickte und warf einen Blick auf seinen Kompass. Dann drehte er das Steuerrad herum. Ich für meinen Teil freute mich wahnsinnig auf Tortuga. Tortuga war so schön und so piratig. Ich mochte es sehr, da zu sein. Es stank zwar hier und da bis zum Himmel, aber es gab auch ein paar nette Plätzchen. Ich konnte mir schon vorstellen, wie ich mit Jack in einem kleinen Pub an einem Tisch saß und wir anheuerten und irgendwelche verrückten Piraten vorsprechen ließen. Bei einem guten Krug Rum oder Bier.
Lächelnd ließ ich mich auf dem Holz des Decks an der Reling nieder und setzte mich in den Schneidersitz. Der Wind wehte mir ins Gesicht und da die Wellen relativ hoch waren, sprühte mir ab und an die Gischt ins Gesicht. Dieses Gefühl liebte ich. Das Gefühl der Gischt und des Windes auf meinem Gesicht. Ich schloss die Augen. Schon früher hatte ich es so sehr geliebt. Immer hatte ich an Stellen gesessen, an denen man die Gischt gut ab bekam. Hendric hatte mich das ein oder andere Mal für verrückt erklärt - wann tat er das nicht? -, aber ich fand das einfach nur erfrischend und abenteuerlich und unheimlich schön. Ich war der Auffassung, dass das zum Leben einer Piratin auf jeden Fall dazugehörte.
Und Jack behielt Recht. Noch an diesem Abend - es war so gegen neun - fuhren wir auf unserer Bright Sea in den Hafen von Tortuga ein. Wir gingen von Bord und begaben uns auf die Suche nach ein für unser Vorhaben angemessenes Pub.
Wir schlenderten nun also durch die spärlich beleuchteten Gassen von Tortuga. Meine Stiefel hinterließen mit jedem Schritt einen merkwürdig hohlen Klang auf den feuchten Pflastersteinen. Hier und da huschte eine Ratte an einem Haus entlang und um die nächste Ecke. In den Fenstern sah man Öllampen brennen. Und an manchen Ecken roch es entsetzlich! Ganz so als ob jeder zweite Besucher oder Einwohner Tortugas an die nächstbeste Hauswand urinierte. Urrrgh... allein bei der Vorstellung musste ich das Gesicht verziehen.
Jack legte mir seinen Arm um die Schultern. Ich vermutete, dass das daran lag, dass wir hier dem ein oder anderen zwielichtig aussehenden Kerl über den Weg liefen. Und wirklich: mit diesen Leutchen konnte man echt nicht gut Kirschen essen. Als ich sechzehn gewesen war und wir auf Tortuga mal wieder unsere Rum-, Wasser- und Nahrungsvorräte hatten auffrischen müssen, hatte ich mich in Tortuga verlaufen. Denn plötzlich waren alle weg gewesen. Damals war ich dann einem von diesen zwielichtigen Kerlen begegnet. Besagter Kerl hatte mich damals verschleppt und in eine unbeleuchtete Gasse gezerrt. Ich hatte eine höllische Angst gehabt, was daran gelegen hat, dass der Mann mich wohl hatte vergewaltigen wollen, was ihm auch gelungen wäre, wenn nicht Hendric im letzten Moment aufgetaucht wäre und ihn von mir weggedrängt hatte. Bei dem Gedanken daran erschauderte ich und Jack warf mir einen Blick zu. Als ich bloß nickte, drückte er mich beschützend fester an sich und lief einen Schritt schneller.
Schließlich erreichten wir ein Pub, welches Jack anscheinend für gut befand. Wir traten ein. Eine stickige Luft kam uns entgegen und ich verdrehte die Augen. Oh Mann! Die waren bestimmt auch zu blöd zum Lüften, oder?
Mal abgesehen von dem miserablen Sauerstoffgehalt in der Luft, war der Rest des Pubs eigentlich ganz hübsch, um nicht zu sagen: nahezu perfekt zum Anheuern! Es standen ein paar kleine Tische herum und überall erhellten Kerzen und Öllampen spärlich, aber ausreichend den Raum. An den Tischen saßen Piraten und tranken Rum und Bier aus ihren Krügen. Irgendwo spielte eine fröhlich-feierliche Melodie, was das Pub noch etwas gemütlicher machte. Und noch dazu war es hier herrlich warm. Sogar fast zu warm, aber es war noch ganz angemessen.
"Da wären wir!" Jack ließ den Arm von meinen Schultern sinken und nahm stattdessen meine Hand.
Er führte mich eine Treppe hinunter in einen weiteren Raum mit Tischen, Kerzen, Öllampen, Rum- und Bierkrügen, Musik und Piraten. Ich warf einen Blick auf die Piraten. Tatsächlich konnte ich mir durchaus vorstellen, dass hier der ein oder andere verrückte Seebär dabei war, der Lust hatte, mit uns zu segeln.
Jack führte mich an einen freien Tisch. Auf ihm brannte eine Kerze. Wir setzten uns.
"Und wie gehen wir jetzt vor?", fragte ich Jack.
"Nun, Liebes. Erst einmal werden wir uns Rum bestellen. Das ist die Hauptsache!", antwortete er.
"Schon klar...", sagte ich, verdrehte die Augen und grinste.
"Ich werde dem Wirt sagen, dass wir hier anheuern werden. Und dann verläuft alles wie am Schnürchen", erklärte Jack überzeugt von sich und seinem Plan und nickte.
"Was lässt dich so sicher glauben, dass der Wirt unser Anheuern erlauben wird?", fragte ich.
Jack lächelte eine Spur amüsiert. "Ich kenne ihn und er kennt mich. Ich habe hier schon einmal angeheuert, musst du wissen." Er zwinkerte mir zu.
"Verstehe...", meinte ich.
"Hey, Anthony!", rief Jack dann auf einmal.
Ich sah mich um. Ein Mann, der gerade auf dem Weg zur Treppe nach oben war, war stehen geblieben und schaute sich suchend um. Dann entdeckte er uns und kam grinsend auf uns zu.
"Jack Sparrow!", stellte er grinsend fest. "Was treibt dich denn hierher?"
"Der Wind, die Gezeiten... klar soweit?!", antwortete Jack ebenfalls grinsend und verzichtete tatsächlich darauf, ihn auf das fehlende 'Captain' hinzuweisen.
"Verstehe!", sagte Anthony nickend und zeigte mit einem breiteren Grinsen seine braunen Zähne. "Was darf's sein? Wie immer ein Krug Rum? Für die Dame auch?" Anthonys blassblaue Augen musterten mich.
Ich nickte.
"Aye", sagte Jack. "Und da wäre noch etwas..." Jack senkte die Stimme etwas. "Ich möchte gerne anheuern."
"Gut, dann wirst du das auch tun", sagte Anthony und zwinkerte.
Jack zwinkerte zurück und Anthony ging davon, vermutlich, um den Rum zu holen.
Und schon eine halbe Stunde später hatte Anthony uns mit Rum, Pergament und Tinte ausgestattet und vor unserem Tisch war eine lange Schlange von Piraten. Ich war überrascht, wie viele tatsächlich Interesse daran hatten, mit uns zu segeln. Aber gut, wer hatte schon einfach mal so die Chance mit Captain Jack Sparrow zu segeln? Mit dem GROßEN Captain Jack Sparrow. Das war doch eine Ehre für jeden Piraten - jedenfalls für die meisten.
"Nächster!", rief Jack gelangweilt und nahm einen Schluck von seinem Rum.
Ich warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. "Ein bisschen mehr Elan, Captain!"
Also wirklich. Lag es daran, dass er schon so oft angeheuert hatte, dass er es schon langweilig fand? Anscheinend. Denn ich für meinen Teil fand das Ganze hochinteressant.
Der nächste trat vor und räusperte sich. "Ich bin Franck Bridson und mir ist es egal, ob ich sterbe oder tot bin...", lallte er.
Ich hob eine Augenbraue. Also der hatte bestimmt schon ein paar Krüge Rum intus.
"Meine Frau ist mit meinem Hund durchgebrannt und ich bin seit Monaten betrunken-"
"Perfekt, er ist dabei", warf Jack ein.
Ich sah ihn an, als ob er nicht mehr alle Segel an der Pearl hatte, nickte dann aber doch und sagte: "Du bist dabei, trag dich auf der Liste ein."
Warum auch immer Jack ihn dabei haben wollte...
"Nächster!", rief Jack erneut.
"I-ich b-b-bin R-r-"
"Komm, lass gut sein, du bist dabei!", sagte Jack schon, ehe der Mann zu Ende sprechen konnte und verdrehte die Augen.
Ich zog die Augenbrauen erneut hoch und sah Jack mit einem 'Im-Ernst?!'-Blick an.
"Was denn?", meinte er gelassen. "Wir brauchen solche Leute in der Crew."
"Schön, trag dich ein", sagte ich zu dem Mann.
Er nahm die Feder und trug seinen Namen zitternd und krakelig auf dem Pergament ein. 'Raynald Matts' konnte ich auf dem Kopf lesen.
"Der nächste, bitte", sagte Jack und legte rücksichtslos die Beine auf den Tisch.
Ich hob aufgrund des Verhaltens, welches Jack hier an den Tag legte, erneut eine Augenbraue und nahm einen Schluck Rum. Vielleicht sollte ich ein bisschen Verzweiflungstrinken in Betracht ziehen...
"Mein Name ist John Nicholas Firehead und ich habe schon immer davon geträumt die Meere zu besegeln. Es wäre mir eine Ehre mit Euch zu segeln!", erzählte der nächste euphorisch.
Also den hielt ich wirklich für gut. "Alles klar, dich find ich gut. Du bist dabei. Trag dich ein, Johnny!", sagte ich strahlend.
Jack sah mich von der Seite her an.
"Was denn?", fragte diesmal ich. "Komm schon, gib's zu: DER ist wirklich gut! Und um Welten besser, als die Lappen, die du da ausgesucht hast, zusammen."
"Darum geht es nicht, ich hätte ihn auch genommen. Aber du gibst ihm direkt einen Spitznamen? Muss das sein?"
"Bist du etwa eifersüchtig?" Ich grinste.
"Ich doch nicht!", rechtfertigte sich Jack sofort und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich kicherte. "Der nächste!"
"Endlich habe ich es zu euch geschafft!"
Die vertraute Stimme ließ mich von unseren Unterlagen aufsehen. Ich blickte direkt in das Augenpaar eines Mannes, der zwei Koteletten im Gesicht und einen grauen Zopf hatte. Ein Rumgeruch wehte mir entgegen.
"GIBBS!", stieß Jack aus. "Was zum Henker treibt dich denn hier her, mein Freund?"
Auch ich war erfreut. "Schön, Euch zu sehen, Master Gibbs", sagte ich lächelnd.
"Hallo, Jack. Hallo, Jessie", sagte er. "Nun, es ist eine lange Geschichte..." Gibbs seufzte. "Wir haben die Pearl verloren, Jack. Barbossa hat sie sich wieder zurück erobert."
"Was zum- HECTOR?! Dieser erbärmliche Lauseaffe! Dass der es schon wieder gewagt hat! Hat er eigentlich nicht den Mumm dazu, sich selbst ein Schiff zu besorgen? Warum immer MEIN Schiff?" Jack sprang ruckartig von seinem Stuhl auf und beugte sich über den Schreibtisch zu Gibbs. "Und ihr? Was habt ihr getan, hm? Wie konntet ihr die Pearl verlieren, Gibbs?!"
"Jack, wir-"
"Ihr könnt sie nicht einfach so verlieren! Das KÖNNT ihr einfach nicht! Seid ihr wirklich so unfähig?!"
"Captain-"
"Ich habe euch MEIN Schiff anvertraut! Und IHR verliert es! Wieso habt ihr nicht gut auf die Pearl Acht gegeben?"
"Wir haben unser Bestes versucht, Captain, aber-", begann Gibbs besänftigend.
"Anscheinend war euer Bestes aber nicht gut genug!", fuhr Jack ihn ein weiteres Mal an und ich sah ein wütendes Funkeln in seinen Augen, sodass ich einfach eingreifen musste.
"Hey, Jack!", mischte ich mich ein. "Jetzt komm mal wieder runter!"
"Die haben die Pearl verloren! Und ich soll wieder runter kommen?!", fuhr er nun auch mich an und ich weitete erschrocken die Augen.
"Jack!", sagte ich dann aber bestimmt, als ich mich wieder gefasst hatte. "Du musst Gibbs deswegen aber noch lange nicht so anmeckern. Was kann er schon dafür, hm? Das ist ziemlich unfair von dir, weißt du das? Und die Pearl können wir und auch wieder zurück holen!"
Jack sah mich an. Erst war sein Blick immer noch ein böses Funkeln. Doch dann wurde seine Miene wieder etwas sanfter. Er seufzte.
"Du hast ja Recht, Liebes...", gab er zu. "Aber trotzdem ärgere ich mich. Das ist ein Fehler, der einfach nicht geschehen darf!" Dann setzte er sich wieder, wohlbemerkt recht murrend. "Und wo ist der Rest der Crew?"
"Außer Will, der gerade oben darüber grübelt, wie wir die anderen retten können, und ich, sitzen alle in den Zellen der Black Pearl fest", erklärte Gibbs, der mir nun kurz einen dankbaren Blick zu warf.
"Erbärmlich", kommentierte Jack. "Erbärmlich. Da lässt man euch mal für zwei Minuten allein und was passiert? Alles geht den Bach runter!"
Ich unterdrückte ein Kichern, was ein ziemlich seltsames Geräusch in meinem Nase-Mund-Bereich verursachte. Hoppla. Ich hielt mir die Hand vor den Mund.
"Das ist nicht lustig, Jessie", sagte Jack und sah mich mit ernster Miene missbilligend an.
"Ich weiß", nuschelte ich hinter meiner Hand und nickte.
"In Ordnung, Freunde", sagte Jack dann. "Wir machen Folgendes: Gibbs, du hilfst uns beim Anheuern. Wenn wir genug Leute für eine annehmbare Crew zusammen haben, sammeln wir William ein, gehen alle zusammen auf die Bright Sea und segeln Richtung Black Pearl. Mein Kompass wird uns da weiterhelfen. Wir werden das Schiff übernehmen."
"Bei Gott, Jack!", entfuhr es Gibbs. "Wie stellst du dir das vor? Wir können uns doch wohl kaum unauffällig auf die Black Pearl schmuggeln, während sie unter Barbossas Leitung steht und rund um die Uhr bewacht wird."
"Gibbs...", seufzte Jack und schüttelte tadelnd, aber lächelnd den Kopf. "Ich bin Captain Jack Sparrow, klar soweit?!"
"Oh, wow!", mischte ich mit. "Du bist Captain Jack Sparrow, schön und gut, aber WAS zum Henker bringt uns das? Wir werden trotzdem eine geringe, wenn nicht, sogar GAR KEINE Chance haben, an Bord zu gelangen. Naja, das vielleicht schon eher, aber doch nicht das Schiff zu ÜBERNEHMEN. Jack, im Ernst: wie stellst du dir das vor?"
"Siehst du? An Bord zu gelangen ist nicht weiter schwer. Aber wie es DANN weitergeht, nun ja... habt ihr da wirklich keine Idee?", fragte Jack uns mit erhobenen Augenbrauen.
Gibbs und ich schüttelten gleichzeitig und super-synchron die Köpfe.
Jack seufzte. "Also, ihr Lieben. Während der Großteil der Crew mit der von Barbossa kämpft, kann einer, oder vielleicht zwei von uns, runter zu den Zellen gehen und meine richtige Crew befreien. Die werden uns dann helfen, das Schiff zurück zu erobern. Wir sind dann schließlich eine doppelte Crew. Das wird funktionieren, verlasst euch darauf!"
Gibbs und ich tauschten einen Blick. Dann sahen wir beide Jack an und grinsten. Aye, er hatte Recht. Das konnte nämlich wirklich funktionieren. Jack war schon ziemlich intelligent und einfallsreich - manchmal. Beeindruckend.
Jedenfalls setzte Gibbs sich nun zu uns an den Tisch und gemeinsam entschieden wir, wer die Glücklichen waren, die wir mit in unsere Crew aufnehmen konnten. Und wenn wir die Black Pearl dann endlich wieder für uns haben würden, so hoffte ich, würden wir ENDLICH einmal Ruhe haben... Zwar gefiel es mir, von einem Abenteuer ins nächste zu stürzen, aber zugegebenermaßen war es doch irgendwo etwas stressig und anstrengend, wenn ihr mich fragt.