Als ein paar weitere Tage vergangen waren, tauchte am Horizont schließlich Land auf. Jack stand vorne am Bug und sah durch sein Fernrohr hinüber. Tia Dalma stand neben ihm und nickte. Offenbar war das der Ort, wo sie hin mussten. Der Ort, an dem Tia Dalma wohnte.
Jack sah einen Fluss, der mitten in einen Wald, beziehungsweise Dschungel führte. Er wusste, dass wenn sie diesem Fluss folgen würden, sie zu Tia Dalmas Hütte gelangten. Endlich war es soweit! Sie brauchten nur noch ein Beiboot, denn erstens würde ein Schiff wie dieses niemals auf dem schmalen Fluss fahren können und zweitens würde Henry sicher nicht mitkommen, da es ja eigentlich schon fast zu viel verlangt war, dass er sie hierher gebracht hatte.
Jack nahm das Fernrohr vom Auge und schob es zusammen. "Wir sind fast da", sagte er zu Tia Dalma. "Kannst du Henry Bescheid sagen und nach einem Beiboot fragen. Ich gehe Jessie wecken."
Tia Dalma nickte und meinte. "Das ist das letzte Mal, dass ich dir helfe, Jack Sparrow. Das allerletzte Mal."
"Liebste Tia Dalma...", sagte Jack und versuchte sich einzuschleimen. "Du weißt, dass ich dir zutiefst danke und-
"Spar es dir", sagte Tia Dalma sofort und ging davon.
Jack grinste und machte sich dann ebenfalls auf den Weg. Er ging unter Deck und betrat den Schlafraum. In der Hängematte am Fenster lag Jessie. Wie immer. Sie schlief noch. Jack ging auf sie zu. Schlafend sah sie wirklich sehr friedlich aus.
Jack strich ihr vorsichtig durch die Haare. "Guten Morgen, du kleine Schlafmütze", sagte er grinsend.
Jessie regte sich, griff nach seiner Hand, zog sie mit unter die Decke und drückte sie gegen ihre Brust.
Jack weitete die Augen. "Jessie, du... sollst aufwachen?"
"Pustekuchen", murmelte sie und schmatzte.
Jack lachte auf. "Was sagst du?"
"Nichts", nuschelte sie, gähnte und öffnete die Augen.
Als ich Jack entdeckte, lächelte ich matt. "Morgen... Warum weckst du mich denn, hm?" Ich spürte seine Hand auf meinem Dekolleté und schob sie schleunigst weg.
"Wir kommen gleich bei Tia Dalma an, Liebes. Und was heißt das?"
"Tee", meinte ich und schob die Decke weg.
Jacks Blick galt sofort nicht mehr meinen Augen, sondern meinem Körper, da ich natürlich nicht allzu viel anhatte, wenn ich schlief. Ich kletterte aus der Hängematte und wollte gerade meine Kleidung holen, als Jack mich rechts und links an der Hüfte ergriff und zu sich zog.
Ich starrte in seine dunkelbraunen Augen und war etwas überrascht. Er streichelte über meine Hüfte und meinen Rücken, was bei mir eine Ganzkörpergänsehaut verursachte. Eine seiner Hände strich nun an meinem Arm herauf und legte sich unter mein Kinn. Ich schloss die Augen. Jack zog mich ein Stück näher an sich heran und küsste mich dann kurz. Aber wirklich nur kurz. Dann ließ er mich los und sah mich leicht lächelnd an. Ich lächelte zurück, ging zu meiner Kleidung und zog mich an.
Und nur wenig später standen Jack und ich gemeinsam an der Reling auf dem Hauptdeck. Mein Herz schlug schnell, da er mir gerade ziemlich nah war. Ich fühlte mich dadurch nur noch mehr zu ihm hingezogen. Und wenn ich es mir recht überlegte, konnte ich mir nicht vorstellen, irgendwann ohne ihn zu sein. Und vielleicht kamen jetzt gerade alle Gefühle für ihn in mir zum Vorschein. Weil er ja wahrscheinlich wirklich von Anfang an Recht mit allem gehabt hatte.
"Du... magst mich doch, Jack, nicht wahr?", fragte ich gerade.
Jack sah mich von der Seite her an. "Aye. Natürlich."
"Also so richtig?", hakte ich nach.
Jack nickte langsam und wirkte ein wenig verwirrt.
"Ich... ich bin immer ganz aufgeregt in deiner Nähe und... mein Herz schlägt so schnell, wenn du mich ansiehst...", versuchte ich mich zu erklären.
"Heißt das jetzt das, was ich denke?", fragte er und grinste.
Ich wusste natürlich, was er dachte. Dass ich mit ihm zusammen sein wollte. Dass ich bereit war. Aber war ich das wirklich? Irgendwie schon. Aber irgendwas in mir hielt mich noch zurück.
"Vielleicht", antwortete ich also.
"Du weißt nicht, was du willst, Liebes. Und du weißt auch nicht, was du fühlst und fühlen sollst, hm?"
"Kann sein", meinte ich und zuckte mit der Schulter.
Er hatte schon irgendwie Recht mit dem, was er sagte. Ich empfand etwas für ihn. Sehr viel. Aber da war eben diese Blockade in mir. Und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich brauchte vielleicht einfach doch noch ein wenig Zeit, bis ich mich vollständig auf alles einlassen konnte.
Ich stellte mich nun vor Jack, trat näher an ihn heran und ergriff seine Hände. Ich drückte mich gegen ihn und blickte hoch in seine Augen. Er erwiderte meinen Blick. Ich kam ihm näher und schloss die Augen. Unsere Lippen berührten sich fast. Ich konnte seinen Atem auf meinen Lippen spüren und seine Nase neben meiner.
"Ich glaube, ich brauche noch ein kleines bisschen Zeit. Bitte, gib mir diese Zeit", hauchte ich leise und kaum hörbar.
Ich spürte, wie Jack seine Hand auf meine Wange legte und kaum spürbar mit den Fingerkuppen darüber strich. Ich bekam eine Gänsehaut und mein Herz schlug sofort schneller. Er machte mich verrückt. Er machte mich wahnsinnig! Vor allem, weil ich nun ganz leicht seine Lippen auf meinen spürte. Wirklich nur ganz leicht. Ich vermutete, dass bloß die Hälfte der Breite eines Haares dazwischen gepasst hätte. Und es machte mich sowas von hibbelig. Er spielte mit meinen Gefühlen! Mistkerl.
"Was soll das?", nuschelte ich dann.
"Dich verrückt machen", antwortete er und seiner Stimme hörte man an, dass er grinste.
Ich öffnete ein Auge und kniff das andere zu. Sofort sah ich Jack. Er hatte die Augen geöffnet, vermutlich schon die ganze Zeit, und sah mich grinsend an. Ich öffnete nun auch mein anderes Auge. Er war mir wirklich unglaublich nah. Aber wie gesagt: ich brauchte noch ein bisschen Zeit. Also atmete ich einmal tief ein und aus, schloss die Augen und öffnete sie langsam wieder. Ich lächelte kurz.
Dann trat ich einen Schritt von ihm weg und musterte ihn. Dann drehte ihm dann den Rücken zu und schritt zügig davon. Noch einmal drehte ich mich währenddessen um. Jack stand an der Reling und starrte mir hinterher. Gerade als ich beschloss, wieder nach vorne zu blicken, sah ich, wie ich geradewegs auf den Hauptmast zu steuerte. Und nur eine Sekunde später prallte ich dagegen, sah Sterne und taumelte zurück. Ich fiel hart auf das Schiffsdeck und bekam nun weniger mit, als vorher.
"JESSIE?!", rief Jack und rannte mit seiner seltsamen Rennart auf mich zu.
Ich lag einfach nur da und spürte, wie sich an meiner Stirn eine blau-violette Beule ausbreitete.
Jack kniete sich neben mich und hob die Augenbrauen. "Was machst du eigentlich immer für einen Mist, hm?", fragte er. Er legte seine Hand auf meine Stirn und setzte einen überlegenden Blick auf.
"Hey!", rief Hendric, der gerade auf Jack zu kam. "Was ist passiert?"
"Nichts", meinte Jack und nahm seine Hand von meiner Stirn. "Bloß 'ne Beule."
"Jaja", murmelte ich. "Mir geht's soweit gut."
Hendric stellte sich neben Jack und sah auf mich herab herab. Er musterte mich und runzelte die Stirn. "Das wird gleich wieder."
"Ouch...", murmelte ich dann, während ich mich aufrichtete und mir die Hand auf die Stirn drückte. "So ein verdammter Mist..."
Noch an diesem Abend hatten wir die Bucht erreicht, von der aus ein Fluss in den Dschungel führte. Ich stand gerade - wohlbemerkt mit einer blau-violetten Beule - am Bug und sah zum Dschungel hinüber. Ich zückte ein Fernrohr und blickte hindurch. Der Dschungel wirkte geheimnisvoll und leicht beängstigend. Vor allem, weil es gerade schon dämmerte. Ob es dort wohl wilde Tiere gab? Wäre schon wahrscheinlich.
"Jessie, Liebes?"
Ich fuhr herum - dummerweise ohne das Fernrohr vom Auge zu nehmen - und erkannte Jack, dessen Haut ich gerade durch das Fernrohr sehen konnte und dem ich gerade besagten Gegenstand gegen die Nase gerammt hatte, da er so dicht hinter mir gestanden hatte.
"Tut mir Leid", nuschelte ich.
"Mensch, Jessie... du neigst zu Unfällen, kann das sein?", murrte er und fuhr nun zurück.
"Tut mir Leid", sagte ich erneut. "Was ist denn?"
"Wir haben den Anker geworfen und uns wird gerade ein Beiboot zu Wasser gelassen. Geh dich mal von den Hennen verabschieden."
Wie bitte? Was ging denn jetzt bei dem ab?
"Die... Hennen?", wiederholte ich und setzte einen verwirrten Blick auf.
"Aye, HENdric und HENry", antwortete er und nickte.
"Okay... das ist kreativ, Jack", sagte ich und nickte leicht verstört. "Jaja, das ist es. Kreativ und... merkwürdig und... nicht lustig, Jack."
Nachdem ich mich dann von Henry, Hendric und Ashton - ihm ging es mittlerweile um Welten besser - verabschiedet hatte, saßen wir - Jack, Tia Dalma, die Gitarre (ich konnte doch wohl unmöglich ohne sie gehen!) und ich - in dem Beiboot. Tia Dalma und ich saßen einem rudernden Jack gegenüber. Ich hielt die Gitarre fest. Sie lag auf meinem Bein und ich zupfte ab zu mal eine Saite. Allmählich begann ich schneller zu spielen und eine Melodie kam zustande. Ich spielte also, während Tia Dalma stumm neben mir saß und Jack uns gegenüber ruderte und mich dabei wortlos anblickte.
Dann begann ich zu singen: "Find light in the beautiful sea, I choose to be happy. You and I, you and I, we're like diamonds in the sky. You're a shooting star I see, a vision of ecstasy. When you hold me, I'm alive, we're like diamonds in the sky."
Und wir entfernten uns immer weiter von der Purple Sky. Wir ruderten von ihnen weg, während sie davon segelten. Dafür kamen wir dem Fluss, der durch den Dschungel führte immer näher und das fand ich unheimlich spannend.
"So shine bright tonight, you and I, we're beautiful like diamonds in the sky. Eye to eye, so alive, we're beautiful like diamonds in the sky...", sang ich weiter.
Mittlerweile waren wir nicht mehr auf dem Meer, sondern auf dem Fluss. Ich sah mich um. Der Dschungel um uns herum war wirklich ein wenig unheimlich, aber eben spannend. Zwischen den Bäumen und Büschen waren hier und da Lichter und sogar... Menschen? Hier und da knackten Äste.
"Was befindet sich alles in dem Dschungel?", fragte Jack dann leise.
"Diverse Tierarten, alle möglichen Pflanzenarten und Menschen", antwortete Tia Dalma ihm.
"Oh", kommentierte ich und betrachtete weiterhin die vielen interessanten Pflanzen und Bäume.
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Lied: Rihanna - Diamonds