Ich starrte gespannt nach oben, als Jack über die Reling kletterte und auf dem Deck des Schiffes verschwand. Ich biss mir sogar auf die Lippe bis es blutete, so angespannt war ich. Kein schöner Geschmack! Das Seil hatte ich in der Hand. Angelica trat hinter mich und legte mir ihre Hand auf die Schulter; ich sah, wie sie ebenfalls silbern wurde. Aha! Wenn man also Leute, die schon silbern waren, anfasste, wurde man ebenfalls von der kühlen Schicht umhüllt. Gut zu wissen. Danke, Angelica.
"Jack?", fragte ich vorsichtig und leise, aber laut genug, sodass er mich dort oben hören konnte.
Sein silberner Kopf tauchte über dem Rand des Schiffes auf. "Aye?! Es ist sicher. Zwar etwas morsch, aber für ein Fliegengewicht, wie du es bist, ein sicherer Untergrund."
"Pff, Fliegengewicht", murrte ich leise.
Aber am besten regte ich mich einfach nicht darüber auf. Schließlich war ich es mittlerweile gewohnt, dass Jack mich gerne ärgerte. Stattdessen kletterte ich nun an dem Seil nach oben, schwang mich oben angekommen elegant über die Reling und landete auf tatsächlich ziemlich morschem Holzboden. Es knarrte und ächzte hier und da. Ich setzte einen Schritt vor; noch einmal knarrte es, sowie bei jedem weiteren Schritt, den ich tat.
Forschend sah ich mich um. Der Mast war gebrochen und lag quer wie eine Absperrung über dem Schiff. Das schwarze, zerschlissene Segel wirkte aus der Nähe noch unheilverkündender und ein kühler Schauer, von dem ich nicht wusste, ob er von der silbernen Hautschicht ausgelöst wurde oder ob es reine Angst war, kroch mir einmal von oben bis unten über den Rücken und ich erzitterte kurz.
Jack war bereits im Zentrum des Decks angelangt und stand neben dem Mast. Ich ging mit knarrendem Holz unter den Füßen auf ihn zu. Angelica, Gibbs und ein paar andere folgten uns. Es war besser, wenn nicht zu viele mitkamen. Vielleicht gab das Holz ja doch irgendwann nach, aye?! Man konnte ja nie vorsichtig genug sein.
"Jack", flüsterte ich kaum hörbar.
Er drehte sich zu mir um. "Ich weiß schon, was du sagen willst und stimme zu. Wir müssen unter Deck, hab ich Recht?"
Ich nickte.
Angelica kam auf uns zu. "Jack", flüsterte sie. "Du willst doch nicht wirklich für einen Schatz riskieren, dass wir alle von morschen Schiffsplanken begraben werden."
"Wer garantiert dir, dass es einbrechen wird?"
"Wer garantiert dir, dass es nicht einbrechen wird?", gab Angelica zurück. "Das kannst du nicht verantworten, Jack."
"Und wie ich das kann. Ich bin der Captain!", beharrte er. "Außerdem existiert der Schatz, um gefunden zu werden."
"Aber er ist gut versteckt, um eben nicht gefunden zu werden!", hielt Angelica dagegen.
"Ich bin der Captain!", wiederholte Jack.
"Du bist so ein Dickschädel!", flüsterte Angelica wütend.
"Müsst ihr beiden euch immer zoffen?!", meckerte ich angefressen. "Wir verlieren unsere ganze Zeit."
"Jessie!", flüsterte Angelica und klang ein wenig enttäuscht. "Ich dachte, du bist wenigstens so vernünftig und siehst ein, dass das hier völliger Unsinn ist."
"Tut mir Leid, Angelica, aber... ich bin Piratin. Und wenn wir jetzt schon hier sind und so viel geschafft haben, halte ich es für verschwendete Zeit, jetzt aufzugeben. Ich denke, wir sollten unbedingt weiter gehen. Wir sind so lange auf der Suche gewesen. Da können wir jetzt nicht, so nah am Ziel, aufgeben."
Angelica seufzte. "Schön, ihr habt ja Recht. Also gut, Jack, wenn du-", sie blickte sich um. "Jack? Jack?!"
Ich sah mich ebenfalls um. Da war er doch glatt weggelatscht und wir hatten es nicht bemerkt. Doch dann entdeckte ich ihn. Er zerrte an einer scheinbar verschlossenen Tür, die vermutlich unter Deck führte. Ich ging zu ihm und zog Angelica hinter mir her.
"Du kannst doch nicht einfach so abhau-", fuhr Angelica ihn an.
"Schhh!", zischte Jack, brachte sie somit zum Schweigen und rappelte erneut an der Tür.
"Lass das mal 'ne Frau machen", wisperte ich, schob Jack beiseite und versuchte mein Glück. Ich drückte die Klinke herunter und zog die Tür auf.
Jack starrte mich an. "Das ist jetzt nicht dein Ernst?!", meinte er ungläubig.
"Ähm... doch?", flüsterte ich unschuldig grinsend. "Gibbs!"
Gibbs sah augenblicklich zu uns herüber.
"Wir bräuchten mal die Öllampe."
Gibbs übergab sie mir und zu viert - ich voran - stiegen wir eine hölzerne und ebenso knarrende und knarzende Treppe herab unter Deck. Meine rechte Hand, an der die Öllampe baumelte, hing in der Höhe. Meine linke hielt Jacks Hand fest, weil ich schon ein bisschen Angst hatte. Ganz ehrlich: meine Knie waren weich wie Pudding. Jacks andere Hand wurde von Angelica festgehalten und damit sie wirklich sicher war, umklammerte ihre zweite Hand auch noch den Arm von Gibbs. Ganz ehrlich: hätte irgendjemand unsere Karawane beobachtet, hätte er sich totgelacht. Wir sahen bestimmt schon ganz lustig aus, wie wir da so durch die Dunkelheit - naja gut, wir hatten etwas Mondlicht und eine Öllampe - schlichen.
Ich unterdrückte einen Aufschrei, als ich plötzlich das knochige Gesicht eines Totenschädels erblickte.
"Ganz ruhig", hauchte Jack in mein Ohr.
Er hatte gut reden; er musste schließlich nicht vorne gehen. Ich war mir nun ziemlich sicher, dass wir uns im Schiffsbauch befanden. Verflucht! Irgendwo hier musste der Schatz doch sein, oder?
Plötzlich vernahm ich ein Rascheln, drückte Jacks Hand fester, blieb stehen und drückte mich an seinen Körper. Etwas huschte zwischen meinen Beinen hindurch und ich hatte echt Mühe, nicht zu schreien. Himmel, ich würde hier unten noch einen Herzinfarkt erleiden.
"Das war was! Ich fall gleich in Ohnmacht!", wisperte ich Jack zu.
"Gib die Lampe her, Liebes; ich gehe vor", bestimmte Jack dann leise und nahm mir die Lampe aus der Hand.
Ich nahm nun seinen Platz ein und hielt nun seine und Angelicas Hand fest. So liefen wir noch eine Weile schweigend umher. Mein Herz pochte wie verrückt. Ich hatte das Gefühl, als würde es jeden Moment meinen Brustkorb sprengen wollen. Es grenzte an ein Wunder, dass die anderen es offenbar nicht hörten. So aufgeregt war ich schon lange nicht mehr gewesen. Da die Öllampe und das Mondlicht auch zusammen nur sehr schwach waren, starrte ich natürlich die meiste Zeit durch den dunklen Raum, oder was auch immer das hier war. Nach einigen Minuten begann ich sogar, Muster in diese schwarze Finsternis zu sehen. Aus den Mustern bildeten sich mit der Zeit Gesichter. Böse lachende, angsteinflößende Gesichter. Und immer, wenn ich wegsah, tauchten sie vor meinem inneren Auge auf und spukten in meinem Kopf umher. Es war wirklich gruselig hier unten, das musste ich zugeben. Obwohl ich eigentlich recht mutig war und ich Angelicas und Jacks Hand hielt, war mir doch etwas mulmig zu Mute...
Auf einmal blieb Jack stehen und ich latschte in ihn rein. "'tschuldige", murmelte ich. "Was ist los?"
Jack hob die Öllampe ein Stück an und deutete auf etwas, das sich wohl offenbar unmittelbar vor uns befand. Ich trat neben ihn.
"Ich fass es nicht..." Was ich sah, verschlug mir den Atem und brachte mich fast um den Verstand, der beinahe wieder flöten ging.
"Wow", brachte Angelica, die ebenfalls vorgetreten war hervor.
"Es bringt Unglück, wenn eine Schatztruhe irgendwo geöffnet herumsteht, bevor sie auf dem eigenen Schiff vorhanden ist", behauptete Gibbs, staunte aber ebenso, wie wir und war ebenso besessen von ihm.
"Der Schatz des Ramiro dem Ersten", wisperte Jack und platzte fast vor Stolz.
Wir hatten es tatsächlich geschafft! Vor uns sahen wir eine riesige - okay, ich übertreibe, denn so riesig war sie nun auch wieder nicht - Schatztruhe stehen. Sie war schon geöffnet und in ihr glitzerten Goldmünzen, Silberstücke, Diamanten, Schmuck, Perlen und andere wertvolle Dinge! Wir traten alle mit geweiteten Augen einen Schritt vor und hockten uns vor die Truhe. Jack streckte die Hand aus. Seine dunkelbraunen Augen leuchteten. Jacks Hand rückte dem Schatz immer näher entgegen und berührte fast die erste Münze, doch jemand - eine sehr knochige, skelettartige, silberne Hand - schlug ihm auf die Hand. Wir zuckten alle vier zusammen und ein Stück zurück.
Eine Stimme ertönte: "Soís dignos para tomando el tesoro, Capitán Sparrow?"
"Angelica", wisperte ich und stieß ihr mit dem Ellbogen in die Seite. "Das ist Spanisch. Hilf uns bitte mal."
"Oh... klar", flüsterte sie. "Seid ihr es würdig, den Schatz mitzunehmen, Captain Sparrow?", übersetzte sie.
"Aye!", sagte Jack laut - typisch.
"Demostráis", sagte die Stimme.
"Beweist es", wisperte Angelica.
"Wie denn?", wisperte Jack.
"Cómo?", fragte Angelica laut.
"Luchamos", sagte die Stimme.
Ich hörte Angelica schlucken. "Wir kämpfen."
Sofort erhoben wir uns und drehten uns um, was uns auch wirklich keine Sekunde zu spät eingefallen war, denn genau jetzt tauchten etwa zehn Skelette mit Schwertern bewaffnet in einem Halbkreis vor uns auf. Wir standen zwischen ihnen und dem Schatz. Alle von ihnen waren mit derselben silbernen Schicht wie wir überzogen.
"Verflucht", murmelte ich und packte den Griff meines Schwertes.
Wie sollte man bitte gegen Skelette kämpfen?! Wie sollte man sie töten? Sie waren doch schon tot! Rings um uns wurde der Raum nun aus dem Nichts von Kerzen erhellt, welche den Skeletten einen gespenstischen Schatten verliehen. Bei Davy Jones' Kraken! Ich glaube, ich falle gleich wirklich in Ohnmacht! Und die Skelette zogen den Kreis um uns immer enger. Ich bekam es wirklich mit der Angst zu tun.
"Jack", sagte ich leicht panisch, "falls das hier für uns kein gutes Ende nehmen sollte... ich liebe dich."
Jack verdrehte die Augen. "Sei nicht immer so dramatisch. Du solltest aufhören, dir selbst so wenig zuzumuten, Jessie, Liebes. Ich weiß, dass du das schaffst. Ich weiß, dass wir das schaffen", antwortete er, beugte sich zu mir herunter und küsste mich.
Ich erwiderte seinen Kuss und löste mich nach ein paar Momenten von ihm; schließlich kamen die Skelette immer näher. Hoffentlich hatte Jack Recht. Zitternd vor Angst und Ahnungslosigkeit stand ich nun da. Wie zum Geier sollte man SKELETTE erledigen?!