Von einem Klopfen, welches vermutlich von der Kajütentür stammte, wurde ich geweckt. Ich schlug die Augen auf. Die frühe Morgensonne erhellte durch das Fenster meine Kajüte. Das Meer war ruhig und der Himmel blau und wolkenlos.
Erneut klopfte es - diesmal lauter. Ich seufzte genervt und verdrehte die Augen. Wer zur Hölle wollte denn bloß so früh am Morgen etwas von uns? Dann setzte ich mich auf, befreite mich aus Jacks Griff - er schlief noch - und stand schließlich auf. Hektisch sah ich mich um - ich konnte die Person schließlich nicht noch länger vor der Tür stehen lassen - und zog mir schließlich einen kurzen, schon leicht zerfetzten Unterrock und Jacks Hemd über, weil es das erste war, was ich fand.
Dann eilte ich zur Tür, drehte den Schlüssel herum und öffnete diese. Das erste, was ich sah, waren strahlende grüne Augen und ein sommersprossiges, grinsendes Gesicht, welches von verwuschelten roten Haaren umgeben war - Hendric. Ich musste sofort lächeln. Und mal wieder brachte er Jack und mir das Frühstück vorbei.
"Frühstück ist da", sagte er, hob das Tablet etwas an und legte immer noch grinsend den Kopf schief.
"Komm rein", sagte ich.
Hendric gehorchte und lief hinein. Ich schloss die Tür hinter ihm wieder ab, drehte mich zu ihm um und sah ihn vor meiner Koje stehen.
"Unglaublich", meinte Hendric und begutachtete den schlafenden Jack. "Wenn er schläft sieht er ja noch schnuckeliger aus."
"Also bitte!", sagte ich gespielt empört und stemmte die Hände in die Hüften, obwohl ich voll und ganz Hendrics Meinung teilte.
Hendric drehte sich zu mir. "Er sieht halt schnuckelig aus und man darf die Wahrheit ja bekanntlich nicht verleugnen."
"Hm... ich weiß ja nicht", sagte ich grinsend.
"Sag mal", meinte Hendric, stellte endlich mal das Tablet ab und betrachtete mich, "hast du ehrlich bis gerade eben geschlafen?"
Ich nickte. "Wieso?"
"Weil du so lange gebraucht hast, um die Tür zu öffnen und bloß dieses Hemd trägst und... diesen wirklich alten Unterrock. Ganz als ob du Hals über Kopf erst zum Schrank und dann zur Tür gestürzt wärst." Hendric wusste irgendwie immer genau, was Sache war.
"Hätte ich dir vollkommen entblößt die Tür öffnen sollen?!", rutschte es mir raus und ich wurde rot. "Hoppla."
Hendric grinste. "Vollkommen entblößt", stellte er fest. "Liebchen, erzähl mir jetzt bloß nicht, dass du-"
Ich wurde noch roter, grinste verlegen und nickte.
"Nein! Erzähl mir alles", meinte er und sein Grinsen wurde breiter. "Wie war's?"
"Vergiss es", lehnte ich kichernd ab. "Also, ich meine... nicht jetzt und nicht... ALLES."
Hendrics Grinsen wurde noch breiter und er nickte verstehend. "Schon klar, Kleines."
"Aber wehe du plapperst es aus. An Vater oder so! Wenn er dann Jack umbringt, bring ich dich um, klar soweit?!" Erwartungsvoll zog ich die Augenbrauen hoch.
Doch dann dachte ich über das nach, was ich gerade eigentlich gesagt hatte. Denn ich könnte Hendric niemals umbringen. Er war mir nämlich mindestens so wichtig, wie Jack, denn immerhin kannte ich ihn seit ich denken konnte. Ich brauchte ihn immer. Also war meine Drohung nicht wirklich ernst zu nehmen. Aber das wusste Hendric, auch ohne, dass ich es ihm sagen musste.
Hendric lachte bloß. "Weißt du, an wen du mich gerade erinnerst, Kleines?!"
Ich zog die Augenbrauen fragend in die Höhe. "Nein?"
"An unsere Schlafmütze." Hendric nickte mit dem Kopf in Richtung Jack.
"Echt?", fragte ich und ließ meine Arme, welche ich unbewusst erhoben hatte, schnell sinken.
"Er hat auf dich abgefärbt, Kleines", erklärte Hendric.
"Mag sein", meinte ich bloß schulterzuckend, stieg in die Koje und setzte mich in den Schneidersitz.
Hendric setzte sich mit dem Tablet mir gegenüber und meinte: "Wir sollten ihn wecken, findest du nicht?!"
Ich nickte und rüttelte Jack vorsichtig hin und her. "Jack? Jackie?" Er rührte sich ein wenig und begann wirr vor sich hin zu murmeln. "Jackielein?"
'Jackielein' öffnete nun langsam die Augen und richtete sich schlaftrunken auf. "Was los?"
Ich kicherte und gab ihm einen Kuss. "Guten Morgen, Liebling."
"Morgen, Jack", sagte Hendric. "Es gibt Frühstück."
Jack gab ein müde gegrummeltes 'Morgen' von sich. Er saß mit verschleiertem Blick in meiner Koje und sah sehnsüchtig aus dem Fenster und auf das Meer hinaus - wie sehr ich diesen Blick liebte. Er stand ihm richtig gut. Dann betrachtete ich seinen nackten Oberkörper und musste sofort an unser 'Abenteuer' von letzter Nacht denken. Sofort wurde mir verdammt heiß und ich wedelte mir mit der Hand etwas Luft zu.
"Alles klar?", erkundigte sich Jack.
Ich lachte unnötigerweise. "Ja... alles in Ordnung. Ähem... Jack, ich geb dir eben was zum Anziehen."
Als wir dann wieder zu dritt in der Koje saßen - Jack trug nun eines meiner älteren Hemden, welches eng an seinem Körper lag und somit übrigens recht lustig aussah - begannen wir zu essen.
"Schon wieder dieser seltsame, gesunde Kram?", fragte ich.
"Also, Jessie, ich bitte dich!", meinte Jack. "Erstens: ist es gut für dich, zweitens: ist es gesund und drittens: schmeckt es!"
"Ja, weiß ich doch."
"Also übrigens, meine Lieben, wenn ich euch einen Tipp geben darf", wechselte Hendric dann abrupt das Thema und Jack und ich blickten uns kurz an, bevor unsere Augen an Hendric hafteten. "Passt am besten demnächst auf mit der Koje. Es knarrt."
Mein Gesicht wurde heiß und und ich wusste, dass ich knallrot angelaufen war. Warum musste Hendric bloß immer so direkt sein? Das war sowas von peinlich. Verflucht! Ich warf einen Blick auf Jack; er starrte Hendric bloß unentwegt an und begann dann schelmisch zu grinsen, ganz nach dem Motto 'am-liebsten-würde-ich-das-alles-genau-jetzt-wiederholen'. Sofort fischte ich meinen Hut vom Nachttisch und zog ihn so über mein Gesicht, dass man die Röte nicht mehr erkennen konnte. Aber Jack und Hendric machten sich bereits darüber lustig. Mistkerle!
"Ihr seid so fies!", brachte ich unter dem Hut hervor.
"Und du bist süß", konterte Hendric.
"Und wie!", pflichtete Jack ihm bei.
"Schleimer", kommentierte ich.
"Er hat angefangen!", verteidigte sich Jack.
"Nein, er!", hielt Hendric dagegen.
"Stimmt doch gar nicht!", protestierte Jack.
"Natürlich stimmt's!", behauptete Hendric.
"Nein! Schließlich hast du doch angefangen, ihr Komplimente zu machen!"
"Du hättest doch nicht darauf eingehen müssen."
"Zicke!", sagte Jack und klang beleidigt.
"Bitte?!"
"Es ist ja kaum auszuhalten mit dir! Manchmal argumentierst du wie eine meiner alten Bekanntsachften. Und obendrein verhältst du dich auch noch wie sie! So vorlaut."
"Na da kenn ich noch jemanden!"
Ich verdrehte unter meinem Hut die Augen. Was waren das für zickige Nervensägen? Dabei hatte ich mich doch so sehr gefreut, dass meine beiden Piraten sich so gut verstanden. Vielleicht verstanden sie sich ja sogar zu gut. Nämlich so gut, dass sie sogar ihre stetige Harmonie mit kleinen Streitigkeiten ausgleichen mussten. Verrückt.
"Was?!", fragte Jack empört. "Willst du etwa behaupten, ich wäre vorlaut? Das ist Rufmord."
"Das will ich nicht nur behaupten, Schnucki, das ist ein Fakt!", verbesserte ihn Hendric grinsend. "Sieh dir doch mal selbst zu. Du wirst lachen."
"Jessie!", beschwerte sich Jack nun bei mir. "Sag deinem tollen Aufpasser doch bitte mal, wie großartig ich bin!"
"Aha, ihr merkt mal, dass ich auch noch da bin", sagte ich und riss meinen Hut vom Gesicht. "Und ihr wollt Piraten sein? Ihr zickt rum wie kleine Kinder."
"Er ist das Kind", sagte Jack, blickte mich unschuldig an und deutete auf Hendric.
Hendric betrachtete Jacks Finger. "Was?!"
Jack blickte Hendric an. "Was?!"
Ich verdrehte erneut die Augen. Das hier auszuhalten war schwieriger, als auf einen Schwarm Möwen aufzupassen. Zwei Piraten, die sich wie kleine, zickige Kinder verhielten. Wundervoll. Meine Begeisterung hielt sich dezent in Grenzen. Und mit einem von ihnen war ich sogar liiert. Ich schüttelte den Kopf. Aber irgendwie war das alles doch schon ein wenig süß. Ich grinste leicht.