Am nächsten Morgen wurde ich sanft wach gerüttelt. "Miss Bones", sagte Gibbs' Stimme. "Aufwachen!"
"Was ist denn los?", murmelte ich müde und noch ganz benommen. Ich hasste es geweckt zu werden, wenn ich noch müde war und schlafen wollte.
"Der Captain will Euch sprechen", antwortete er.
"Lass mich das mal machen, Gibbs", sagte Elizabeth freundlich, woraufhin Gibbs verschwand. "Jack möchte, dass du zu ihm kommst, Jessie. Er will Kurs auf deinen Vater nehmen. Er braucht dich."
"Ich will hier nicht weg", murrte ich, vergrub mich unter der Decke und rollte mich ganz klein zusammen. Ich hatte ein bisschen den Schimmer einer Hoffnung, dass ich unsichtbar werden würde, wenn ich dies tat.
Elizabeth lachte leicht. Doch es war ein trauriges, mitfühlendes Lachen. "Ich verstehe dich", gestand sie. "Trotzdem musst du leider an Deck gehen. Ob du Jack nun sagst, was du fühlst, oder nicht."
"Ich will aber niiicht!", murrte ich erneut.
"Jessie... du musst. Ich möchte auch nicht, dass du gehst. Aber das liegt ganz allein an dir. Du hast immer noch die Chance, Jack zu sagen, was du willst. Aber das geht nicht, wenn du dich weiterhin unter der Decke verkrümelst. Dafür musst du schon aufstehen und mit nach oben kommen."
"Kann Jack nicht runter kommen? Ich will mich nicht bewegen."
Sie lachte. "Jetzt komm. Ich will dir nicht die Decke wegziehen müssen!"
"Na schön. Was bleibt mir anderes übrig?" Ich kroch seufzend unter der Decke hervor.
"Sehr gut. Ich gehe schon mal nach oben. Ich verlasse mich darauf, dass du kommst, verstanden?"
"Jaja...", murmelte ich, während sie nach oben ging.
Ich erhob mich, machte meine Kleidung und meine Haare zurecht und betrachtete mich im Spiegel. Ich trug immer noch Jacks Hemd und ich musste zugeben, dass ich mich darin wirklich wohlfühlte. Und abgesehen von meinen Augenringen sah ich eigentlich auch sonst ganz in Ordnung aus. So konnte ich also an Deck gehen. Bevor ich nach Elizabeth die hölzernen Stufen betrat, vergewisserte ich mich, ob ich Jacks Ring noch trug. Und ja, da glitzerte er an meinem Finger. Ich hatte ihn die ganze Nacht über getragen. Ein Fakt, der mich lächeln ließ.
Und eh ich mich versah, war ich an Deck. Ich sah Elizabeth noch gerade unter die anderen verschwinden und ging zum Steuerrad, wo sich Jack befand. Er machte keinen wirklich besonders fröhlichen Eindruck. Wohl genau wie ich.
"Morgen", sagte ich knapp.
"Morgen", erwiderte er.
Jack ließ vom Steuer ab - Gibbs übernahm -, drehte sich wie gestern Abend zu mir und nahm etwas Abstand zu Gibbs. Und nun standen wir uns mal wieder gegenüber. Jack und ich. Und wir sahen uns lange einfach nur an. Und ich wusste, dass der Abschied kam, wenn ich nichts dagegen tat.
"Liebes", sagte er dann und unterbrach somit die schweigende Stille, "nimm das und er zeigt dir, wohin wir segeln müssen." Jack entfernte den Kompass von seinem Gürtel.
"Wie funktioniert er?", wollte ich wissen.
"Er zeigt in die Richtung, wo sich das befindet, was du dir in genau dem Moment, in welchem du ihn in deiner Hand hältst, am meisten wünscht oder wohin du willst, Liebes. In diesem Fall wird er dir die Richtung zeigen, in die wir segeln müssen, wenn wir deinen Vater finden wollen, klar soweit?!"
"Ja", antwortete ich mit gebrochener Stimme und nickte.
Ich formte meine Hände zu einem 'Korb'. Jack legte den Kompass hinein und seine Hände quasi als 'Deckel' oben drauf.
Dann sah er mich wieder an, zögerte einen Moment und sagte dann ganz leise: "Ich werde dich vermissen, Jessie."
Und ich merkte, dass es für ihn sehr schwer war, es zu gestehen und mir zu sagen. Aber er tat es trotzdem.
Ich lächelte matt. "Ich dich auch, Jack."
Dann entfernte Jack seine Hände von meinen. "Na los, mach ihn schon auf", sagte er leise.
Ich hob eine Hand und merkte, dass sie sogar zitterte - na toll. Ich klappte den Kompass auf. Die kleine Kompassnadel drehte sich wild hin und her. Meine, Jacks und die Augen von neugierigen Leuten aus der Crew, die hinter mich getreten waren, folgten ihr gerade.
"Habt ihr nicht was besseres zu tun?", murmelte Jack, während seine Augen hin und her huschten, woraufhin die Crew dann verschwand.
Plötzlich blieb die Nadel abrupt stehen; die Pfeilspitze war nun genau von mir weggedreht. Ich sah auf. Vor mir stand Jack.
Jack sah vom Kompass auf und sah mich an, dann drehte er sich verwundert um. Davon überzeugt, dass weder mein Vater, noch sein Schiff, welches dafür hätte vom Grund des Meeres wieder auftauchen müssen, sich dort befand, drehte er sich wieder zu mir und fragte verwirrt: "Was? Ich?"
Und jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Was wir am meisten wollten! Natürlich! Sofort klappte ich den Kompass zu und nahm all meinen Mut zusammen. Das konnte ja heiter werden...
"Jack", sagte ich. "Ich weiß jetzt, wo ich hin gehöre."
Jack zog fragend die Augenbrauen hoch - Blitzmerker.
"Ich gehöre", fuhr ich fort, "auf dieses Schiff. Auf die Black Pearl. Zu dir. Jack, ich möchte bei dir bleiben!"
Und dann fiel ich ihm so heftig um den Hals, dass wir fast umfielen. Und ich küsste ihn! Endlich, endlich endlich! Doch diesmal wirklich. Und Jack erwiderte meinen Kuss glücklicherweise, was mich extrem erleichterte und schlang seine Arme um meinen Körper. Und ich musste sagen, dass er wahrhaftig gut küssen konnte. Besser als in meinem Traum. Ach was, viel, viel besser! Ich wusste, dass ich ihn liebte. Er gefiel mir immer mehr. Und ich fing ehrlich an, mich zu fragen, ob das gerade wirklich echt war. Denn das hier war für mich der schönste Moment meines Lebens. Mit Abstand! Und, wenn auch recht widerwillig, lösten wir uns langsam aus dem Kuss. Noch ein-, zweimal küsste ich ihn ganz kurz auf den Mund, bevor sich unsere Lippen wieder voneinander entfernten. Doch wir hielten uns immer noch gegenseitig fest. Wir sahen uns an.
"Ich habe das Gefühl, dass es jetzt angebracht wäre, etwas romantisches zu sagen, aber... ich bin nicht so gut im Romantischsein und um ganz ehrlich zu sein, kann ich es auch nicht sonderlich ausstehen. Was nicht heißt, dass es mich stört, dass du es magst", sagte Jack grinsend.
Ich kicherte. "Sag mir einfach Bescheid, wenn's dir zu viel wird."
Jack grinste. "Du willst also hier bleiben? Wirklich?", fragte er dann.
"Aye, wirklich!", antwortete ich.
Ich vergrub meine Hände in seinen Dreadlocks bis zu seinem Nacken und zog ihn erneut in einen Kuss. Ich musste lächeln, was Jacks Lippen sofort wieder verhinderten. Es war einfach wunderschön. Doch dann unterbrach Jack den Kuss und drückte mich von sich weg.
Ich sah ihn fragend an.
"Was ist mit deinem Vater?", fragte er und sah leicht besorgt auf mich herab.
"Dem werde ich das alles schonend beibringen, wenn wir ihn erst gefunden haben", erklärte ich und zuppelte leicht an einer seiner Dreadlocks.
Dann kam Jack mir wieder näher und grinste mich an.
"Was denn, habt Ihr immer noch nicht genug, Captain Sparrow?!", fragte ich frech grinsend.
"Von Euch, Miss Bones?", meinte er. "Im Moment noch nicht. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich dann irgendwann haben werde", sagte er kokett zwinkernd.
Wir grinsten uns wieder an und verfielen erneut in einen wundervollen Kuss.
Ein paar Minuten später standen wir dann an der Reling, die Arme darauf gestützt und sahen hinaus auf das weite, blaue Meer.
"Es tut mir Leid, dass ich das jetzt sagen muss, wegen des Romantikzeugs und so, aber... Jack, ich liebe dich", sagte ich und war super-stolz auf mich. Ich hatte es geschafft.
"Ich weiß, Schätzchen. Tu ich auch. Also... dich", antwortete er.
Und es war in Ordnung, dass er es (noch) nicht so sagte, wie ich es sagte, denn er machte es auf seine Weise und es war auf gar keinen Fall seine Weise 'Ich liebe dich' zu sagen. Das fand ich vollkommen in Ordnung, denn er sollte er selbst bleiben; der Pirat, in den ich mich verliebt hatte und ich wusste ja sowie so, wie er fühlte. Und außerdem zeigte er es mir, was mir mehr wert war, als tausend schöne Worte. Und wer weiß, vielleicht war er ja irgendwann sogar bereit, mir zu sagen, was offensichtlich war.
"Jack? Stimmt es, dass du es bisher mit keiner Frau lange ausgehalten hast?", fragte ich dann zögernd.
"Stimmt schon. Aber ich habe nachgedacht."
"So?", sagte ich gespielt überrascht, drehte meinen Kopf zu ihm und sah ihn an. "So etwas kannst du auch?"
"Sei mal nicht so frech. Sonst werf ich dich gleich über Bord", drohte er mir.
"Machst du sowie so nicht, Jack!"
"Natürlich mach ich das. Du ahnst nicht, WAS ich alles tun würde", antwortete Jack und hob ganz plötzlich und überraschend überfallartig meine Beine auf seinen Arm, sodass er mich mal wieder trug.
Ich erstarrte. "Das machst du NICHT!", sagte ich unheilverkündend.
Jack grinste. "Eines Tages schon", sagte er und ließ mich wieder runter.
"Wenn du das machst, werf ich dich auch über Bord."
"Da muss ich dich leider enttäuschen, Liebes, aber das schaffst du nicht. Bedauernswert, nicht wahr?" Sein Lippen verformten sich zu einem frechen Grinsen.
"Mistkerl", murrte ich und verschränkte die Arme. "Und nebenbei bemerkt, wolltest du mir nicht eigentlich gerade etwas sagen, Jack?"
"Aye", meinte er. "Also, was ich eigentlich sagen wollte... ist Folgendes: mir ist etwas klar geworden. Ich habe es nämlich nie mit jemandem so wirklich ernst gemeint."
"Wie meinst du das?"
"Wie meine ich das denn wohl?", fragte Jack und sah mich mit einem 'Ich-bitte-dich'-Blick an. "Ich war unehrlich, habe Liebe nur vorgegaukelt und bin verschwunden. Ich habe es folglich mit keiner Frau so richtig ernst gemeint."
"Und? Meinst du es mit mir ernst?", fragte ich.
Er seufzte und musterte mich mit einem weniger begeisterten Blick. Dann nickte er. "Irgendwie schon. Du bist nämlich anders."
Ich lächelte ihn an. Dann stützte weiterhin lächelnd mein Kinn auf meine Hände und sah auf das Meer hinaus. Auch wenn er nicht begeistert davon war, meinte Jack es also ernst mit mir und konnte es mir gegenüber sogar zugeben. Das freute mich. Und als Jack mich von der Seite her musterte und sah, dass ich lächelte, wie ein Idiot, grinste er mich an, was dafür sorgte, dass ich ebenfalls grinsen musste. Ich hatte es geschafft. Ich konnte vorerst hier bleiben. Und das machte mich wirklich sehr glücklich.