♡103. Einbildung

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"Sie meinen also, wir bilden uns das nicht ein, Professor?" Hermine sah ihn fragend an.
„Oh, Miss Granger, was ist Einbildung? Eigentlich nur Dinge, die in unserem Kopf geschehen. Und nur weil es in unserem Kopf ist, kann es trotzdem real sein. Ich bin mir sicher, dass es tatsächlich zwei unterschiedliche Vergangenheiten gibt." Er wandte sich an Harry. „Hast du denn Erinnerungen an eine weitere Vergangenheit?"
Harry schüttelte den Kopf.
„Nein, nur an eine ohne meine Eltern", sagte er traurig. Die Vorstellung einer Kindheit mit seinen Eltern – es war zu schön, um wahr zu sein.
„Dann musst du derjenige sein, der die Vergangenheit geändert hat. Hast du irgendeine Vorstellung, was du gemacht hast?"
„Ich habe mir Erinnerungen in einem Denkarium meiner Eltern gesehen. Erinnerungen aus ihrer Jugend, von ihrer Hochzeit, der Arbeit im Orden. Also eigentlich ihr gesamtes Leben, beginnend in den Sommerferien vor dem siebten Schuljahr. Während ich mir ihr Leben angesehen habe, sind in mir eigene Erinnerungen hochgekommen. Und meine Mutter hat sie scheinbar gesehen."
Albus' Gesichtsausdruck zeigte deutlich sein Erstaunen, während Hermines Gesichtszüge vollkommen entgleist waren.
„Lilys Visionen", flüsterte Albus. „Wir haben angenommen, sie kann in die Zukunft sehen. Aber es ist vielmehr so, dass sie deine Gedanken sehen konnte."
„Aber wie konnte sich damit die Zukunft ändern? Meine Mutter hat nie gesehen, wie man Voldemort zu Fall bringen konnte. Und wie war es überhaupt möglich, dass sie meine Gedanken übermittelt bekommen hat?" Harry wirkte weiterhin skeptisch. Dies konnte alles nicht möglich sein. Aber er saß hier mit einer Person, die er hatte sterben sehen. Irgendwie musste es also doch möglich gewesen sein.
„Wie dies zustande gekommen ist, weiß ich nicht, Harry. Hier bin sogar ich überfragt. Willow und ich haben uns über Jahre den Kopf darüber zerbrochen, wie es zu den Visionen von Lily gekommen ist, eine Lösung dafür haben wir aber nicht gefunden. Die Wege der Magie sind manchmal unergründlich und es treten seltsame Fälle auf. Wenn ich raten dürfte, würde ich wieder einmal auf die Macht der Liebe tippen. Die stärkste Form der Magie, die wir kennen. Und was das Ändern der Zukunft angeht. Ich denke, das sollten deine Eltern dir selbst erzählen, oder aber über Erinnerungen zeigen. Es ist ihre Geschichte und sie sollen die Möglichkeit haben, es dir selbst zu berichten." Albus schwieg einen Moment und runzelte kurz die Stirn. „Ich kann es immer noch nicht glauben, Harry. Lange habe ich eben dies vermutet, dass jemand die Vergangenheit geändert hat, aber wie genau und wer konnte ich mir nicht erklären." Es klopfte leise an der Tür und Lily steckte den Kopf herein.
„Alles in Ordnung hier? Ich habe dir einen Stärkungstrank gebracht." Sie lächelte vorsichtig.
„Es ist alles in Ordnung. Darf ich aufstehen, wenn ich den Trank genommen habe?" Über Lilys Lippen drang ein perlendes Lachen. Es war wie Musik in Harrys Ohren.
„Dir scheint es ja schon viel besser zu gehen. Aber du warst schon immer ungeduldig, wie dein Vater. Der konnte auch nie lange im Bett liegen, egal wie krank er war." Sie trat ans Bett und reichte Harry einen großen Becher. „Trink das aus und dann kommst du mit uns runter. Schließlich warten alle auf dich und wollen feiern."
„Feiern?"
„Ja, deinen Geburtstag, Harry." Sie setzte sich auf die Bettkante. Albus und Hermine verließen das Zimmer, bevor Harry auch nur ein Wort sagen konnte. „Geht es dir wirklich gut, mein Sohn?"
Harry sah seiner Mutter in die Augen. Seine Augen. Er beschloss, dass er es einfach riskieren musste. Riskieren aufzuwachen und festzustellen, dass dies alles – alles was er sich jemals gewünscht hatte – nur ein Traum war. Langsam streckte er die Hand aus und berührte die Wange seiner Mutter. Lily lächelte leicht, jenes Lächeln, das Harry so oft im Spiegel Nerhegeb in seinem ersten Schuljahr betrachtet hatte. Doch sie verschwand nicht und wurde auch nicht blasser. Harry konnte ihre Wärme spüren, nicht nur ihre körperliche Wärme, auch die Liebe, die sie für ihn empfand.
„Es geht mir gut, Mom. Eigentlich ging es mir niemals besser." Lily sah ihren Sohn verständnislos an. Doch er zuckte nur die Schultern.
„Wir sollten darüber später sprechen. Wir haben viel zu bereden, aber ich möchte nicht, dass die anderen sich unnötig Sorgen machen, wenn sie doch darauf warten, zu feiern."
„Wie immer du möchtest, Harry. Aber versprich mir, dass du dich ausruhst, wenn es zu viel wird. Im Moment sind nur die Familie und deine engsten Freunde da, aber heute Abend soll es ja schließlich auch noch eine Party geben." Sie hauchte Harry einen Kuss auf die Stirn. „Ich bin so unglaublich stolz auf dich, Harry." Er hätte gerne nachgefragt, worüber sie stolz war, befürchtete aber, damit Fragen zu stellen, die besser auf später verschoben werden sollten. Lily stand auf und warf ihm einen Umhang aus dem großen Kleiderschrank auf der anderen Seite des Raumes zu.
„Zieh das an, ich warte draußen auf dich." Instinktiv schien Lily zu spüren, dass sie ihren Sohn nicht alleine nach unten gehen lassen sollte. Harry zog eine Jeans von einem Stuhl neben seinem Bett, zog sie an und warf sich den Umhang über. Als er den Raum verließ, beantwortete sich auch seine Frage, wo er überhaupt war. Diesen Flur hätte er überall erkannt. Es war der Flur aus Snapes Erinnerungen, der Flur, an dessen Ende Lilys Leiche gelegen hatte. In dem Zimmer, welches Harry gerade verlassen hatte. Einen Moment schauderte es ihn, aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Er folgte seiner Mutter die Treppe nach unten in Richtung Wohnzimmer. Das Cottage war kaum vergleichbar mit dem aus den Erinnerungen. Lily und James mussten es im Laufe der Jahre renoviert haben, zumindest wirkte es modern, wenn auch seine Gemütlichkeit und der altenglische Charme erhalten geblieben waren. Beim Anblick der vielen Menschen im Wohnzimmer stockte ihm einen Augenblick der Atem. Sie waren alle da. Sein Vater, Albus, Willow, Primus, Potentia, Ron, Hermine, Sirius, Dorcas, Sage, Remus und sogar Tonks. Und dazu ein Mann, den er noch nie gesehen hatte. Kinder liefen lachend durch das Wohnzimmer. Eins davon entdeckte ihn und fiel ihm lachend in die Arme.
„Harry, wie wundervoll, du bist wieder wach. Ich habe mir Sorgen gemacht und Grandma beim Brauen deines Stärkungstranks geholfen." Sie hob den Kopf und Harry sah erneut in seine eigenen Augen. Das Mädchen, das ihn fest umarmt hielt, hatte Lilys Augen und sogar ihre roten Haare. Wenn man es genau nahm, war sie allerdings kein Kind mehr, Harry schätzte sie vielmehr auf vierzehn oder fünfzehn. Aus irgendeinem Grund spürte er eine tiefe Verbundenheit zu dem rothaarigen Mädchen, trotzdem warf ihn der Schock, der ihn durchjagte, als er erkannte, wer sie war, fast um. Fest zog er sie in die Arme. Es war unglaublich. Er hatte eine Familie, eine richtige Familie.

James Potter und das Erbe GryffindorsWhere stories live. Discover now