♡ 9. Freunde und Glück

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Lily erwachte nur langsam, aber eigentlich wollte sie auch gar nicht aufwachen, denn sie hatte so gut geschlafen wie schon seit Wochen nicht mehr. Ein Gefühl von absoluter Geborgenheit hatte sie die ganze Nacht eingelullt. Als sie sich schließlich dazu durchgerungen hatte, die Augen zu öffnen, keuchte sie entsetzt auf. Sie blickte geradewegs in das ausnahmsweise brillenlose Gesicht von James Potter.
James war von irgendeinem seltsamen Geräusch geweckt worden. Er schlug die Augen auf und sah Lilys geschockten Gesichtsausdruck. Gerade setzte sie sich so ruckartig auf, dass er nicht mehr schnell genug reagieren konnte und rückwärts vom Sofa fiel.
"Dir auch einen wunderschönen guten Morgen", brummte James, nachdem er sich aufgerichtet hatte.
„Ich.... Wir... Haben wir...?". stotterte eine knallrot angelaufene Lily und brach ab. James erhob sich schwerfällig und setzte sich auf die Kante des Sofas.
„Lily, es ist nichts passiert, wenn du das meinst", sagte er beruhigend. Scheinbar hatte sie keinerlei Erinnerungen an den letzten Abend, zumindest nicht daran, dass sie ihn gebeten hatte, bei ihr zu bleiben. „Du wolltest nicht alleine sein und hast mich gebeten, bei dir zu bleiben. Ich wollte einfach nur für dich da sein. Nicht mehr und nicht weniger."
Lily seufzte erleichtert und er bedachte sie mit einem sanften Blick.
„Ich würde solch eine Situation niemals ausnutzen." In Gedanken fügte er hinzu: Schon gar nicht bei dir „Davon mal abgesehen, dass ich so etwas nie auf dem Sofa des Gemeinschaftsraums machen würde, wo jeden Moment jemand reinplatzen kann."
Lily nickte, allerdings hatte ihr Gesicht immer noch eine rote Färbung.
„Du hast Recht, entschuldige. Ich hätte dir vertrauen sollen. Ich kann mich nur einfach nicht mehr an alles erinnern."
James berührte ihren Arm.
„Ich hoffe, ich konnte zumindest etwas daran arbeiten, dass du anfängst, mir zu vertrauen. So, und nun ab in deinen Schlafsaal, bevor uns hier jemand sieht und sich irgendwelche Gerüchte verbreiten."
Lily lächelte James dankbar an und verschwand schnell im Schlafsaal. Bewundernd sah er ihr hinterher, sie hatte scheinbar völlig vergessen, dass sie nur eine enge Pants und ein Trägertop trug. Als er kurz darauf seinen eigenen Schlafsaal betrat, war Remus, trotz der frühen Stunde, schon wach und angezogen. Er saß auf seinem Bett und las – seine Lieblingsbeschäftigung-.
„Guten Morgen", sagte James beim Eintreten fröhlich, aber leise, um die anderen nicht zu wecken.
„Dir auch einen guten Morgen. Wo kommst du denn her? Ich bin schon Ewigkeiten wach, aber du warst nicht hier." Remus sah ihn neugierig an.
James schüttelte leicht den Kopf.
„Tut mir Leid, kann ich dir nicht sagen. Aber ich habe einfach nur nicht hier geschlafen."
Remus sah seinen Freund verwirrt an, aber er wusste auch, dass er Gründe hatte, wenn er über etwas nicht sprach.
„Ok, aber es ist alles in Ordnung mit dir?"
„Na klar" antwortete James, schnappte sich ein paar Kleidungsstücke aus seinem Koffer und verschwand wieder aus dem Schlafsaal in Richtung des Jungenbads. Kurz darauf stand er frisch geduscht und angezogen wieder im Schlafraum.
„Wollen wir schon frühstücken gehen oder warten wir auf die beiden Langschläfer?"
Das Knurren seines Magen enthob Remus einer Antwort und so machten sie sich gemeinsam auf den Weg. Die Große Halle war noch so gut wie leer. Schließlich war es Samstag und die meisten Schüler nutzten diesen Tag um Auszuschlafen und saßen nicht wie Remus und James um sieben Uhr am Frühstückstisch. Sie hatten sich gerade die Teller gefüllt, als Lily zusammen mit Morgan und Sage auftauchte. Als er sie erblickte, schien sein Herz Luftsprünge zu vollführen. Lily lächelte James an und ließ sich wie selbstverständlich auf den Platz neben ihm fallen. Er freute sich darüber, dass es ihr besser zu gehen schien. Dieses Frühstück entpuppte sich als eines der angenehmsten, die James jemals in Hogwarts erlebt hatte. Lily und Morgan unterhielten sich entspannt mit ihm über den neuen Stundenplan, Quidditch und ihre Berufsvorstellungen. Wie James vermutet hatte, wollte Lily immer noch Heilerin werden. Morgan hatte sich noch nicht endgültig entschieden, dachte aber wie James daran, Auror zu werden. Sage, so erfuhr er, interessierte sich für eine Karriere im Ministerium. Irgendwann wandte sich Morgan Remus und Sage zu, die sich ebenfalls angeregt unterhielten.
„Geht es dir besser?" James nutzte die Gelegenheit, um Lily leise nach ihrem Befinden zu fragen.
Lily nickte, ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht. James konnte es kaum fassen, dass jene Frau, die für ihn immer nur Beleidigungen übrig gehabt hatte, ihm nur einfach so ein Lächeln schenkt.
„Danke, dass du für mich da warst. Das hat mir wirklich sehr geholfen. Das hätte nicht jeder getan."
„Doch, Lily, unter Freunden ist es selbstverständlich füreinander da zu sein, wenn es dem anderen schlecht geht. Menschen, die einem nur in guten Zeiten zur Seite stehen, sind keine Freunde."
Lily sah James überrascht, aber auch leicht verunsichert an. Überrascht aufgrund seiner Worte. Steckte in ihm doch soviel mehr, als sie all die Jahre gesehen hatte?
„Freunde? Du willst mit mir befreundet sein, nachdem ich dich jahrelang alles andere als nett behandelt habe?"
„Ich habe mittlerweile eingesehen, dass das, was ich mir erhofft hatte, niemals zwischen uns sein kann. Und wenn Freundschaft also scheinbar das Einzige ist, was ich von dir bekommen kann – und das meine ich nicht als Vorwurf - dann möchte ich wenigstens dein Freund sein."
Lily erbleichte, doch James merkt davon nichts. Zu sehr war er damit beschäftigt, seine wahren Gefühle vor Lily zu verbergen. Die Vorstellung, sie vollständig zu verlieren, brach ihm schier das Herz. Zwar hatte er immer gehofft, dass sie sich eines Tages in ihn verlieben würde, aber er musste einsehen, dass diese Hoffnung wohl nie erfüllt werden würde. Bei dem Gedanken daran wurde ihm übel und er wagte erst gar nicht, daran zu denken, wie er sich fühlen würde, wenn Lily sich irgendwann in einen anderen Mann verlieben würde.

Hatte er das ernst gemeint? Er hatte aufgegeben? Jetzt plötzlich, wo sie langsam begann, ihn zu mögen? Er wollte mit ihr befreundet sein. Konnten sie das?
„Ich wäre auch gerne mit dir befreundet, James", sagte Lily leise und hatte das Gefühl, dass in ihr etwas zerbrach. Einerseits um das zu überspielen, andererseits um James nicht weiter ansehen zu müssen, drehte sie sich zu ihren Freunden um und bemerkte erst jetzt, dass auch Sirius mittlerweile am Gryffindortisch saß und sich mit Morgan über ihre Lieblingsquidditchmannschaft unterhielt. Die beiden schienen beide Fan der Holyhead Harpies zu sein.
„Habt ihr Lust, nachher alle zusammen nach Hogsmeade zu gehen?", platzte Lily mitten in das Gespräch und alle Köpfe wandten sich ihr überrascht zu.
Hatte das gerade die Frau gesagt, die seit Jahren möglichst jeden Kontakt zu den Rumtreibern mied. Diese Frage lag unausgesprochen im Raum und auch Lily entging das nicht.
„Heee, ich meine das ernst. James und ich haben unsere Differenzen beigelegt." Remus lächelte und Sirius hob unauffällig den rechten Daumen, so dass nur James es sehen konnte, während alle freudig zustimmten.

Wenig später brachen die Sechs nach Hogsmeade auf. Remus hatte vorher noch Peter im Schlafsaal gesucht, doch der hatte es vorgezogen, weiterzuschlafen. Auf dem Weg hakte sich Lily bei James ein und lachte zum ersten Mal auch über seine Witze. James war in diesem Moment einfach nur glücklich. Er durfte Zeit mit Lily verbringen, brachte sie zum Lachen und vor allem schien es ihr viel besser zu gehen als noch am Tag zuvor. Sie erzählte ihm von Begebenheiten aus ihrer Kindheit, über Dinge, die sie hatte geschehen lassen, bevor sie wusste, dass sie eine Hexe war, bis sie schließlich die Drei Besen erreichten. Da Madame Rosmerta, die Besitzerin der Drei Besen, aufgrund des schönen Spätsommerwetters einige Tische und Stühle aufgestellt hatte, beschlossen sie draußen ein Butterbier zu trinken und nahmen einen der Tische in Beschlag. James ging hinein, um eine Runde Butterbier zu holen und kam mit sechs großen Krügen wieder heraus, die vor ihm her schwebten. Zu seiner großen Freunde stellte er fest, dass Lily ihm tatsächlich einen Platz freigehalten hatte. Sein Tag konnte also eigentlich nicht mehr besser werden. Glaubte er zumindest. Doch er hatte sich getäuscht. Irgendwann berührte Lily in einem angeregten Gespräch seinen Unterarm, um etwas zu verdeutlichen. Sofort verspürte er ein angenehmes Kribbeln im Magen. Lily hingegen hatte die Hand schnell wieder weggezogen, als hätte sie sich verbrannt. Hatte dies etwas zu bedeuten? Hatte Remus Recht? Wenn er sie nicht mehr ständig wegen Dates nervte und sich anders verhielt, hatte er dann vielleicht eine Chance? Zumal sie ja nun Freunde waren, und so wie sie sich heute Nacht an ihn geschmiegt hatte, konnte ihr so eine kleine Berührung nicht unangenehm sein.

Keiner hatte das Bedürfnis, noch etwas einzukaufen, so blieben sie einfach sitzen, genossen die Sonne und ihr Leben. An diesem Tag wollte niemand über die Schatten nachdenken, die sich in Gestalt von Voldemort und seinen Anhängern immer mehr über der Zaubererwelt zusammenbrauten. Auch an die UTZ-Prüfungen am Ende des Schuljahres wollte noch keiner denken. Sie saßen einfach da, tranken Butterbier, lachten und alberten rum und Lily hatte an diesem Tag das erste Mal seit Wochen das Gefühl, wieder glücklich sein zu können.

James Potter und das Erbe GryffindorsWhere stories live. Discover now