♡159. Phönixstab

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Keine Stunde später stand Harry mit seiner Mutter und seiner Schwester mitten in der Winkelgasse. Sie waren vor den Eingang von Gringotts appariert und schlenderten von hier aus zu Ollivander.
Harry lief schon bei dem Gedanken an den alten Zauberstabmacher ein Schauer den Rücken hinunter. Niemals würde er dessen Worte vergessen, als er damals seinen Zauberstab bei ihm gekauft hatte. Doch kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende geführt, wurde Harry die Absurdität dieses Gedanken bewusst: Er hatte vergessen, was Ollivander beim Kauf seines Zauberstabs zu ihm gesagt hatte. Kopfschüttelnd folgte er den beiden Rotschöpfen seiner Mutter und Schwester. Das Getuschel hinter ihrem Rücken bekam er überhaupt nicht mit, genauso wenig, dass viele seine Mutter freundlich, beinahe ehrfurchtsvoll grüßten. Vielleicht war er aber auch einfach daran gewöhnt, angestarrt zu werden.
„Ganz schön nervig, oder?" Morgan war ein wenig langsamer geworden und lief nun neben ihm.
„Was genau?"
„Das Gegaffe."
Harry tauchte lange genug aus seiner Gedankenwelt auf, um die Blicke der umstehenden Menschen zu bemerken.
„Ist das immer so?"
Morgan nickte langsam.
„Wenn man mit Mom oder Dad unterwegs ist: Ja. Ohne sie sind wir glücklicherweise nicht so interessant." Sie rang sich ein mühsames Lächeln ab.
Harry war sich nicht sicher, ob er lachen oder weinen sollte. Seine Familie stand immer noch im Mittelpunkt der Öffentlichkeit und er konnte durchaus verstehen, dass Morgan das nicht allzu angenehm war, aber die Neuigkeit, dass sich diese Aufmerksamkeit nur bedingt auf ihn und seine Schwester erstreckte, hätte ihn fast dazu veranlasst, in einen lauten Jubelschrei auszubrechen, dennoch nickte er mitfühlend, weil er genau verstehen konnte, wie sich Morgan fühlte. Bevor er allerdings etwas antworten konnte, stieß seine Mutter die Tür zu Ollivanders Laden auf und sie folgten ihr nach drinnen.

Harrys Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an das schummrige Licht im staubigen Inneren des Ladens gewöhnt hatten.
„Hier hat sich nichts verändert", flüsterte er dann tonlos.
Tatsächlich säumten noch immer die gleichen Regale die Wände hoch bis zur Decke, Unmengen von Schachteln stapeln sich darin mit – wie Harry mittlerweile wusste – ungezählten Zauberstäben darin. Wobei er sich ziemlich sicher war, dass Mr. Ollivander, der Besitzer, genau wusste, wie viele Zauberstäbe sich in seinem Laden befanden und über welche Eigenschaften diese genau verfügten. Selbst auf der Treppe, die in den oberen Teil des Ladens führte, lagen Zauberstabsboxen und darüber hinweg stieg Garrick Ollivander hinab zu ihnen. In einem Gesicht lag wie immer keinerlei Ausdruck, bis er Lily Potter erblickte.
„Mrs. Potter", sagte er und zeigte dabei etwas, das tatsächlich einem Lächeln nahe zu kommen schien. „Wie geht es Ihnen?"
„Vielen Dank, Mr. Ollivander, ganz wunderbar. Ich hoffe, Ihnen und Ihrer Familie ebenfalls?"
„Danke der Nachfrage, Mrs Potter, es ist alles bestens. Was führt Sie heute zu mir? Alles in Ordnung mit Ihren Zauberstäben?" Ollivander blickte Lily Potter aufmerksam an.
„Wir sind heute in einer sehr persönlichen Angelegenheit hier, in der wir auf Ihre volle Verschwiegenheit vertrauen." Lily hatte ihren Tonfall so gewählt, dass es keine Frage war und sich Ollivander auch nicht gekränkt fühlen konnte, sondern sie machte dadurch deutlich, dass man ihm vertraute.
„Selbstverständlich, Mrs. Potter", nickte er trotzdem und seine silbernen Augen blinzelten dabei nicht ein einziges Mal.
„Ich bin mir sicher, sie erinnern sich an den Zauberstab, den mein Sohn vor sieben Jahren bei Ihnen gekauft hat?"
„Schwarznuss, 11 1/2 Zoll, geschmeidig, Drachenherzfaser", kam es wie aus der Pistole geschossen.
Harrys Magen krampfte sich zusammen, während seine Finger sich fester um den Zauberstab in seiner Umhangtasche schlossen. Lily nickte leicht.
„Nun, es gibt sehr komplizierte Umstände, unter denen es möglich sein könnte, dass ein anderer Zauberstab besser zu meinem Sohn passen könnte, ein Zauberstab, der möglicherweise noch in Ihrem Laden ist. Das Ganze ist äußerst schwer zu erklären und würde auch zu sehr in die Privatsphäre meines Sohnes eingreifen."
Ollivanders silberne Augen richteten sich auf Harry. „Wissen Sie, um welchen Zauberstab es sich handelt?"
Harry zögerte einen Moment.
„Stechpalme, Phönixfeder, geschmeidig, 11 Zoll, der Phönix aus dessen Schwanzfeder der Kern gemacht ist, hat eine weitere Feder gegeben", ratterte Harry so unbewegt wie nur möglich hinunter, dennoch flackerte es in den Augen von Ollivander kurz. Er wusste genau, von welchem Zauberstab Harry sprach. Wortlos verschwand er in den Regalreihen und kam wenig später mit einer Schachtel zurück. Dann reichte er Harry jenen Zauberstab, den er so viele Jahre sein Eigen genannt hatte.
Zögerlich griff Harry nach dem Holz, erwartete das warme Gefühl, das er gespürt hatte, als er damals zum ersten Mal die Finger um den Stab gelegt hatte, doch nichts geschah. Etwas irritiert blickte er auf den Zauberstab und spürte dabei, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren.
„Lumos", sagte er. Der Stab gehorchte zwar, aber es fühlte sich fast widerwillig an.
„Verzeihen Sie mir die Anmerkung, Mr. Potter, aber meiner bescheidenen Meinung nach ist dies nicht der richtige Zauberstab für Sie", sagte Ollivander ungewohnt vorsichtig.
Harry betrachtete den Stab eine Sekunde, bevor er ihn in die Box zurücklegte.
„Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht, Mr. Ollivander", bestätigte Harry und griff nach dem Stab in seiner Umhangtasche. Warm lag das Holz in seiner Hand und fühlte sich richtig an, genauso wie das Leben, in das er so plötzlich hinein geraten war. „Vielen Dank, Mr. Olllivander."
„Wir würden den Zauberstab trotzdem gerne kaufen", mischte sich nun Lily wieder in das Gespräch ein. „Angesichts seiner Geschichte und seines Bruders würde ich ihn gerne in unseren Händen wissen."

Wenig später verließen sie den Laden, Lily mit dem Zauberstab in der Umhangtasche. Morgan hatte sich entschuldigt, sie wollte sich mit Regulus auf ein Eis treffen.
„Ehrlicherweise bringe ich es nicht über das Herz, den Stab zu vernichten. Was hältst du davon, wenn wir ihn stattdessen vorerst in unser tiefstes Verlies verbannen?", fragte sie Harry, nachdem sie sich ein paar Schritte vom Laden entfernt hatten.
„Das ist eine gute Idee."
„Hin und wieder bin ich zu etwas zu gebrauchen", lachte Lily. „Fühlst du dich jetzt etwas besser, nachdem du weißt, dass du den richtigen Zauberstab benutzt?"
Harry brauchte nicht lange nachzudenken.
„Deutlich. Ehrlicherweise hatte ich gestern schon das Gefühl, dass er mir besser gehorcht als der Phönixstab."
„Ich bin nicht wirklich bewandert in Zauberstabkunde, das war nie ein Gebiet, was mich sonderlich interessiert hat, deshalb ist es reine Spekulation, aber vielleicht war der Schwarznussstab eigentlich immer für dich bestimmt bis zu dem Moment in dem Voldemorts Fluch dich getroffen hat und alles durcheinander brachte." Nachdenklich biss sich Lily auf die Unterlippe. „Hast du denn auch irgendeine Veränderung deiner Magie gespürt?"
Harry dachte daran, wie leicht er plötzlich appariert war und dass er sich kein bisschen unwohl dabei gefühlt hatte.
„Vielleicht...", antworte er wage.
„Ich würde vorschlagen, du versucht mal die Grenzen deiner Magie auszuloten", meinte seine Mutter, während sie die Stufen von Gringotts erklommen.

Harry fragte sich noch immer, was genau sie damit meinte, als sie bereits fast in einem der Wagen saßen, der sie in die Tiefen von Gringotts bringen sollte. Seine Gedanken mischten sich mit Bildern seiner spektakulären Flucht gemeinsam mit Ron und Hermine auf dem Rücken eines Drachen und den Erinnerungen aus dem Denkarium, während sie immer tiefer in die Welt unter London glitten.
Schließlich hielt der Karren vor jenem Verlies, das Gryffindor seinem Vater vermacht hatte. Jenem Verlies, aus dem er gerade einmal zwei Tage zuvor die Erinnerungen geholt hatte – Welten schienen dazwischen zu liegen.
Lily legte ihre Hand auf die Metallplatte neben der Eingangstür und betrat das Verlies. Die Tür schloss sich hinter ihnen, kaum dass Harry ihr gefolgt war. Harry staunte nicht schlecht. Es unterschied sich deutlich von jenem Verlies, aus dem er die Erinnerungen geholt hatte - auch wenn es der gleiche Raum war. Gold lagerte hier keins mehr, stattdessen säumten deckenhohe Schränke die Wände. Kristallphiolen, Bücher und verschiedene Kunstgegenstände waren nur einige der Dinge, die Harry auf den ersten Blick ausmachen konnte, dazu der riesige Gryffindor-Löwe, der schon in den Erinnerungen die Wand geschmückt hatte. Lily ging auf einen großen Metallschrank zu, wie er auch im Arbeitszimmer im Cottage stand und bedeutete Harry, näher zu kommen.
„Leg deinen Zauberstab an den Schrank."
Harry tat wie ihm geheißen und sofort öffneten sich die Türen des Schranks.
„Wir bewahren hier unten in diesem Verlies die wichtigsten Schätze unserer Familie auf. Diese Schränke", Lily deute auf einen weiteren Metallschrank, „können, wie der zu Hause, nur von einem Nachfahren Godric Gryffindors oder dessen Lebenspartner geöffnet werden, wie genau der Zauber funktioniert, haben wir bis heute nicht herausgefunden. Aus diesem Grund konnten Sirius und Remus die Erinnerungen auch nur in dem Verlies deponieren, nicht aber in den Schränken, in denen wir eigentlich unsere wertvollsten Besitztümer aufbewahren. Zu Hause haben wir Dinge, auf die wir regelmäßig zugreifen müssen, hier sind es besonders schützenswerte Gegenstände."
Sie zog eine der Schubladen heraus und öffnete eine längliche Holzkiste. „Ich denke, das hier sollte dir sehr bekannt vorkommen."
Harry sog scharf den Atem ein.
„Der Elderstab."
„Ja, wir konnten uns keinen besseren Ort vorstellen, diesen zu mächtigen Zauberstab aufzubewahren, als hier. Nur sehr wenige Menschen wissen von seiner Existenz und davon, dass James in seinem Besitz ist, und die, die es wissen, sind alle höchst vertrauenswürdig. Und hier ist er so gut geschützt wie nirgendwo sonst."
Lily griff nach der Schatulle mit dem Phönixzauberstab und legte sie ebenfalls in den Schrank, dann warf sie einen Blick auf ihre Uhr.
„Und auch dieser Zauberstab hier ist vollkommen sicher. Ich würde vorschlagen, dass wir, wenn wir ein wenig mehr Zeit haben als heute, herkommen und uns einmal alles in Ruhe ansehen, aber du willst doch nicht zu spät mit deinem Treffen mit Ginny kommen, oder?"

James Potter und das Erbe GryffindorsWhere stories live. Discover now