♡175. Taubheit

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„Ihr habt es so gewollt", erklang erneut Voldemorts Stimme.
Sirius versuchte zu disapparieren, während er Dorcas Hand umklammert hielt, aber es war unmöglich, jemand musste einen Zauber gesprochen haben, um genau das zu verhindern.
Bevor er auch nur ein weiteres Mal blinzeln konnte, hatten sich magische Ketten um ihn gelegt und das irre Gegiggel seiner verhassten Cousine drang zu ihm.
„Deiner Familie habe ich zugesagt, dich am Leben zu lassen, allerdings nur, damit du sehen kannst, wie alles um dich herum zerbricht. Du wirst auf Knien angekrochen kommen, nachdem du heute lernen wirst, dass du deinen sogenannten Freunden nicht vertrauen kannst. " Etwas, das entfernt wie ein Lachen klang, kroch aus Voldemorts Kehle.
„Das gilt allerdings nicht für dich." Voldemorts Blick glitt zu Dorcas und erneut richtete er seinen Zauberstab auf sie. „Deine Familie hatte ja noch nie viel für dich übrig", sagte er mit vollkommen unbeteiligter Stimme.
„Nein", schrie Sirius mit weit aufgerissenen Augen, in denen Fassungslosigkeit und Angst geschrieben standen.
„Avada Kedavra."
Ein grüner Lichtblitz schoss aus Voldemorts Zauberstab und neben Sirius sackte Dorcas fast lautlos in sich zusammen.
„Neeeeiinnnn", schrie Sirius erneut. Wut und Verzweiflung waren auf seinem Gesicht zu lesen. Mit aller Kraft versuchte er, sich von den Ketten zu lösen. Mehrere leise Plops verkündeten, dass jemand den Apparierschutz aufgehoben hatte. „Dorcas", brüllte Sirius, während Tränen unaufhörlich über sein Gesicht rannen. „Dorcas." Er sank auf die Knie neben ihr, die Hände immer noch gefesselt.
Unaufhörlich tropften seine Tränen auf den leblosen Körper neben ihm und er bekam nicht einmal mit, dass Voldemort disapparierte und ihn mit einem einzelnen Todesser zurückließ.

Sirius hätte später nicht sagen können, wie lange er dort gekauert hatte, bis sich seine Fesseln plötzlich lockerten, doch er war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Diesen Tag wirst du niemals vergessen, das verspreche ich dir. Du wirst deine Lektion dafür bekommen, dass du dich mit Potter und diesem Halbblut zusammengetan hast und damit den Familiennamen beschmutzt hast." Die hasserfüllte Stimme von Bellatrix klang durch die kühle Abendluft. „Du wirst es zutiefst bereuen, Sirius. Sie werden sich alle von dir abwenden, wenn sie erfahren, was du getan hast. Ich hoffe, du hast dich eingehend von den Potters verabschiedet? Deine eigenen Freunde verraten, wie konntest du nur. Tz,tz."
Bellatrix schüttele kurz gespielt mitleidig den Kopf, bevor sie wieder in ihr typisches Lachen ausbrach und schließlich mit einem leisen Plop verschwand.

Es dauerte einen Augenblick, bis ihre Worte nach und nach in Sirius' Verstand sickerten und er deren Bedeutung erfasste. Seine besten Freunde! Angst durchzuckte ihn und schob die Trauer in seinem Inneren für den Moment zur Seite. Seine Gedanken überschlugen sich förmlich und die Prophezeiung fiel ihm wieder ein. Ein letztes Mal ließ er den Blick über Dorcas gleiten, die so friedlich dalag, als würde sie schlafen, dann griff er nach ihrem Zauberstab, den die Todesser achtlos liegen lassen hatten, während sein eigener verschwunden war.
Er atmete tief durch und schickte Dorcas' Körper ins Hauptquartier. Mit dem nächsten Zauber holte er sein Motorrad herbei, weil er dem Zauberstab in seiner Hand nicht genug traute, um damit zu apparieren. Jenes Motorrad, über welches Dorcas so oft gelacht oder auch geschimpft hatte. Einerseits, weil sie seinen Hang zu Muggeldingen amüsant gefunden hatte, andererseits, weil er damit gegen unzählige Gesetze verstoßen hatte. Mit all seiner Willenskraft unterdrückte er den aufkommenden Schmerz und warf den dröhnenden Motor an. Dann hob er ab.

Panik pulsierte in seinem Körper, während sich das Motorrad unsichtbar durch den Nachthimmel nach Godric's Hollow bewegte. Er versuchte sich damit zu beruhigen, dass Lily und James durch den Fidelius geschützt waren und Voldemort niemals darauf kommen würde, dass ausgerechnet Peter der Geheimniswahrer war, doch die Zweifel, die Bellatrix gesät hatte blieben. Warum hatte Voldemort nicht einmal versucht, das Geheimnis aus ihm herauszubekommen? Die Lösung dieser Frage war so simpel wie grausam: Weil er das Geheimnis bereits kannte.

Endlich kam das kleine Dorf in Sicht, in dem er so viele glückliche Stunden zugebracht hatte. Am Ortsrand konnte er Lichter von Lions High glitzern sehen, dem Anwesen von James' Eltern. Verborgen für all jene, die nicht in das Geheimnis eingeweiht waren. Er schluckte. Gleich würde auch das Cottage von Lily und James für ihn sichtbar werden und er fürchtete sich davor, was er dort zu sehen bekommen würde. Und doch übertraf die Realität seinen schlimmsten Albtraum. Kein einziges Licht erhellte das kleine Haus mehr und das halbe Dach war weggesprengt. Etwas Rauch stieg gespenstig in den Nachthimmel, während auf der Straße Muggelkinder in Kostümen von Haus zu Haus zogen und überhaupt nicht wahr nahmen, welches grausame Geschehen sich dort nur wenige Schritte von ihnen entfernt zugetragen hatte. Mit wild klopfendem Herzen landete Sirius im Garten des Hauses und zerstörte mit einem Zauberspruch das Glas der Terassentür. Das Wohnzimmer war dunkel und verlassen, nur das einfallende Licht der Straßenlaternen und des Mondes erhellte den Raum schwach.
„Lumos", murmelte Sirius abwesend. Das Licht fiel auf James' Zauberstab, der wie ein Mahnmal auf dem Sofa lag. Sirius umklammerte seinen Eigenen so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten, während der das Wohnzimmer mit seinem Blick abtastete. Ein leises Geräusch, das fast wie ein Wimmern klang, erregte seine Aufmerksamkeit. 'Harry!', schoss ihm durch den Kopf und er rannte blindlings die Treppe nach oben, doch mitten im Flur des Obergeschosses blieb er wie angewurzelt stehen.
„Du", stieß er atemlos hervor, als er die Gestalt erblickte, die in einen schwarzen Umhang gehüllt aus Harrys Zimmer kam und richtete den Zauberstab auf sie. „Was ist hier passiert?"
„Sie sind tot", erklang die brüchige Antwort und Sirius hielt seinem Gegenüber den Zauberstab an die Kehle.
„Du hast sie ermordet." Hasserfüllt starrte Sirius die andere Person an.
„Nein, es war er. Ich wollte ihn aufhalten, deswegen bin ich hier."
„Warum sollte ich dir das glaube, Snape?" Sirius drückte den Zauberstab fester in seine Kehle, aber Snape machte keinerlei Anstalten sich zu wehren. „Du hast sie verraten."
Snape hob den Kopf und sah Sirius zum ersten Mal an. Seine Augen wirkten genauso gebrochen wie die von Sirius.
„Das Gleiche kann ich von dir behaupten", kam die Antwort. Erneut erklang ein Laut aus Harrys Zimmer und Sirius' Blick huschte für eine Sekunde zur geöffneten Tür hinter Snape. Genau diesen Moment nutzte der Todesser, um sich an Sirius vorbei zu drängen und zu flüchten, doch dieser registrierte es nicht einmal. Er war vollkommen gefangen von dem Anblick der leblosen, zierlichen Gestalt, die dort auf dem Boden in Harrys Zimmer lag. Mit wenigen Schritten kniete er neben Lily nieder, nur um festzustellen, dass sie nicht mehr lebte. Ein erstickter Laut entfuhr ihm, doch bevor er zu einer weiteren Regung fähig war, ertönten laute, dumpfe Schritte im Haus, die sich der Treppe näherten. Gehetzt blickte sich Sirius um und entdeckte tatsächlich Harry lebend in seinem Bettchen. Der Kleine blickte ihn mit großen Augen vollkommen verstört an. Geistesgegenwärtig nahm Sirius Harry auf den Arm und versteckte ihn gerade noch rechtzeitig im Schrank, als die Schritte sich auch schon näherten. Mit gehobenem Zauberstab blickte er dem Neuankömmling entgegen.
„Hagrid?" Er ließ den Stab sinken und starrte die raumausfüllende Gestalt vor sich an.
Der Halbriese schluckte.
„Dumbledore hat mich geschickt, sagte, die Potters..." Der Rest seines Satzes ging in einem lauten Schluchzer unter. „Wo is Harry? Alles in Ordnung mit ihm?"
Sirius nickte langsam.
„Was hat Dumbledore dir gesagt, Hagrid?"
„Ich soll Harry holen. Soll ihn in Sicherheit bringen. Das war alles."
Sirius fühlte jene Taubheit in sich, die er aus seiner Kindheit kannte, bevor er gewusst hatte, was Mitgefühl und Liebe waren. Er hatte alles verloren, so wie Voldemort und Bellatrix es angedroht hatten und dennoch war er in diesem Moment nicht in der Lage Trauer zu fühlen, dafür arbeite sein Verstand noch einigermaßen klar, vielleicht weil alle Gefühle tief in Sirius verschlossen waren.
Hagrid hatte mittlerweile das Wimmern aus dem Schrank vernommen und Harry aus seinem Gefängnis befreit. In den Armen des Halbriesen wirkte er noch winziger als sonst. Sirius' Beschützerinstinkt schlug mit aller Macht zu.
„Gib Harry mir, Hagrid, ich bin sein Pate, ich kümmere mich um ihn." Er streckte die Arme aus, um den Kleinen entgegen zu nehmen und entdeckte dabei den klaffenden Riss auf der Stirn seines Patenkinds. Zu seiner Überraschung schüttelte Hagrid den Kopf.
„Nein!", sagte er bestimmt. „Ich habe meine Anweisungen. Dumbledore will, dass Harry zu seinen Verwandten kommt."
„Das kann er nicht machen. Harry ist mein Patensohn." Sirius starrte Hagrid mit weit aufgerissenen Augen an. „Du musst ihn mir geben. Lily und James wollten, dass er bei mir aufwächst." Seine Stimme überschlug sich fast. Was hatte sich Dumbledore dabei gedacht.
„Ich werde ihn mitnehmen", wiederholte Hagrid bestimmt.
„Er gehört zu mir", schrie Sirius, woraufhin Harry vor lauter Schreck zu Weinen begann. Das brachte Sirius schließlich zur Besinnung. „Nimm mein Motorrad und bring Harry dorthin, ich brauch es nicht mehr. Es steht hinten im Garten."

James Potter und das Erbe GryffindorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt