♡ 15. Patronus

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Als Lily schließlich an der Reihe war, brauchte sie ihr Gedächtnis nicht lange nach ihrer glücklichsten Erinnerung zu durchforsten, dabei wählte sie, ohne es zu ahnen, den gleichen Moment, den James für seinen Patronus verwendet hatte. Das Gefühl, in seinen Armen zu liegen und mit ihm zu tanzen, war noch so präsent, als ob sie es gerade erleben würde. Kaum hatte sie die Beschwörungsformel mit sicherer Stimme gesprochen, tauchte eine helle, allerdings verschwommene Gestalt auf. Sie hob den Zauberstab und sprach die Beschwörungsformel. Die umstehenden Schüler murmelten aufgeregt, bis das Licht sich wieder auflöste. Voller Stolz auf sich selbst und dankbar für James' Hilfe suchte sie seinen Blick. Er erwiderte das strahlende Lächeln, das sie ihm schenkte, vollkommen offen und genau das brannte sich in diesem Moment in Lilys Erinnerung ein.

Dumbledore neben ihr nickte anerkennend, was Lily allerdings nicht wirklich zur Kenntnis nahm.
„Fantastisch, Miss Evans, das war eine beachtliche Leistung. Mit ein wenig Übung wird daraus ein gestaltlicher, kontrollierbarer Patronus."
Lily trat zur Seite, um den nächsten Schülern die Möglichkeit zu geben, doch keinem von ihnen gelang es, einen Patronus hervorzubringen. Sage war schließlich die Nächste, der es gelang, ein schwaches Licht zu erzeugen. Morgan, Sirius und Remus schafften sogar einen starken Lichtstrahl. Peter blickte allerdings erneut nur traurig auf seinen Zauberstab.

Lily beschloss, eine noch stärkere Erinnerung zu wählen, als sie das nächste Mal an der Reihe war. Jener Nachmittag am See, als James sie fast geküsst hatte, bevor Sirius sie beide mit Wasser bespritzt hatte. Alleine bei dem Gedanken daran, James' Lippen auf ihren zu fühlen, prickelte Lilys ganzer Körper. Sie hob ihren Zauberstab, wobei ihre Hände leicht zitterten, als ihr bewusst wurde, was das alles zu bedeuten hatte. Sie hatte sich rettungslos in James Potter verliebt!

„Expecto patronum", klang ihre Stimme dennoch klar durch den Klassenraum und aus der Spitze ihres Zauberstabs brach erneut eine helle Gestalt hervor, die dieses Mal jedoch immer klarere Formen annahm. Lilys Blick blieb entsetzt an dem eigentlich wunderschönen Patronus hängen und vernahm weder, dass einige Anwesende im Raum keuchten, noch, dass James kreideweiß geworden war.
Nichts anderers als ihr Patronus hielt sie in diesem Moment gefangen, denn durch den Raum galoppierte eine anmutige Hirschkuh! Eine Hirschkuh, die James' Hirsch so ähnlich war, dass jeder im Raum, der sich mit dem Patronuszauber beschäftigt hatte, ahnen musste, was dies zu bedeuten hatte. Jame hatte sich ein wenig gefangen und sah mit aufgerissenen Augen von der Hirschkuh zu Lily und wieder zurück. Nur ein Gedanke hämmerte in seinem Kopf: Empfand Lily doch mehr für ihn, als sie bisher zugegeben hatte oder war dieser Patronus nur ein Zufall?

Lily ließ den Zauberstab langsam sinken und stand reglungslos da, bis sie schließlich aus ihrer Schockstarre erwachte und aus dem Raum rannte, ohne sich noch einmal umzusehen. Aus einem Implus heraus wollte James ihr sofort folgen, allerdings hielt Sage ihn zurück, indem sie ihm eine Hand auf die Schulter legte.
„Lass sie, ich kenne sie schon lange genug, um zu wissen, dass sie jetzt alleine sein will", sagte sie leise zu ihm.

Dumbledore überging Lilys Flucht, beendete allerdings die Stunde für diesen Tag. Als Lily weder zum Mittagessen noch zu Pflege Magischer Geschöpfe wieder auftauchte, wuchsen in James die Sorgen und er wollte nach ihr suchen, wurde aber erneut von Morgan und Sage zurückgehalten. Stattdessen entschuldige er Lily also bei Professor Kesselbrand, der auch nicht weiter nachfragte, da sie als absolute Musterschülerin galt und niemals grundlos fehlen würde.

Nach dieser letzten Stunde fing Alice Fenwick – Frank Longbottoms Freundin – James am Eingangsportal des Schlosses ab, bevor er sich auf die Suche nach Lily machen konnte.
„Ich habe eine Bitte an dich James", sagte sie leise und schaute sich suchend um. Scheinbar wollte sie nicht, dass jemand sie hörte. „Es wäre mir unangenehm, Frank danach zu fragen, aber ich bräuchte etwas Hilfe in Verwandlung."
James verstand zwar nicht, warum es ihr unangenehm war, ihren eigenen Freund zu fragen, dennoch nickte er, schließlich würde er so etwas Ablenkung bekommen.

Alice folgte ihm zum Verwandlungs-Klassenraum, den die beiden Schulsprecher für Nachhilfe nutzen durften, wenn er frei war.
„Weißt du, ich möchte gerne Aurorin werden, wie Frank, Sirius und du. Aber das geht nur, wenn meine Note besser wird, das Ministerium hat strenge Anforderungen an Nachwuchsauroren." Sie lächelte James an. „Wem sage ich das, schließlich ist dein Vater Leiter der Abteilung." Ihr Blick verdüsterte sich. „Ich will kämpfen – nach der Schule. Wir können nicht zulassen, dass Voldemort und seine Anhänger noch mehr Macht über unser aller Leben gewinnen."

James nickte langsam. Er teilte Alices Meinung voll und ganz. Sollte Voldemort noch mehr Einfluss gewinnen und das Leben der Menschen terrorisieren, würde das Leben insbesondere für Muggelgeborene innerhalb der magischen Gemeinschaft zur Qual werden. Auch wenn er selbst reinblütig war, wusste er durchaus, dass Voldemort für Zauberer und Hexen wie James'Familie, die für die Rechte von Muggelgeborenen kämpften, genauso hasste wie Muggelgeborene selbst. Blutsverräter wurden sie genannt. Nicht, dass Voldemort nicht versucht hätte, die Potters für seine Seite zu gewinnen, waren sie doch eine der ältesten Zaubererfamilien Großbritanniens.
James war schon lange klar, dass er nach der Schule an der Seite seiner Eltern gegen Voldemort kämpfen würde. Sirius wollte auf jeden Fall die Machenschaften seiner Familie durchkreuzen. Und Remus... Remus' Fall war komplizierter. Seit er gehört hatte, dass der Werwolf, der ihn als Kind gebissen hatte, auf der Seite von Voldemort stand, wollte er nichts anderes als kämpfen. Allen dreien war klar, dass dies ihr letztes halbes Jahr in Freiheit und zumindest oberflächlichem Frieden war. Dennoch schüttelte er diesen trüben Gedanken ab und fragte Alice nach ihren Problemen.

Lily saß derweil am See und starrte in die leichten Wellen. Seit sie den Klassenraum fluchtartig verlassen hatte, hing sie ihren Gedanken nach. Panik hatte diese eine Zeitlang bestimmt. Sie hatte Angst davor, was die anderen sagen würden. Würde man über sie lachen, nachdem sie James Potter jahrelang gehasst und nun plötzlich Gefühle für ihn hatte? Wie hatte das überhaupt geschehen können? Sie hatte bestmöglich versucht, sich dagegen zu schützen und ihn deshalb abgeblockt, was allerdings nicht wirklich gut funktioniert hatte. Dann wirbelten ihre Gedanken schließlich um James. Was, wenn er sie nicht mehr wollte? Wenn er sich auch über sie lustig machen würde? Sie hatte ihn jahrelang gedemütigt. Würde er das nun auch mit ihr tun? Und was sollte sie überhaupt machen? Einfach zu ihm gehen und ihm sagen, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Und wenn er dann lachte? Oder wenn er sie nie wirklich gewollt hatte, sondern immer nur hinter ihr her gewesen war, weil sie die Einzige war, die seine Einladungen abgelehnt hatte?
Über all diesen verwirrenden Fragen vergaß sie vollkommen die Zeit. Sie spürte nicht einmal, dass ihr Tränen die Wangen herabliefen. Dafür wurde ihr allerdings die Einsicht gewährt, dass sie sich ein Leben ohne James nicht mehr vorstellen konnte und wollte. Doch was würde sein, wenn er sie nun zurückwies und das Schuljahr beendet war? Würden sie sich dann nur noch ab und an über den Weg laufen und höfliche Floskeln austauschen? Lily wusste, dass sie das kaum ertragen würde, also war es an der Zeit zu handeln. Sie schluckte hart, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und atmete tief durch. Dann machte sie sich auf den Weg zurück zur Schule. Sie musste mit James reden.

Es war jedoch Remus, der ihr als Erster über den Weg lief und sofort feststellte, dass es ihr nicht wirklich gut ging
„Lily, alles in Ordnung?" Remus legte ihr sanft eine Hand auf den Arm. Er hatte sich Sorgen um sie gemacht, schließlich waren sie seit Jahren gute Freunde.
Lily schenkte ihm ein möglichst tapferes Lächeln.
„Ja, alles in Ordnung. Ich musste nur in Ruhe ein wenig nachdenken." Als Remus nickte, fuhr sie fort: „Remus, weißt du wo James ist? Ich muss mit ihm reden."
„Ja, er ist im Klassenzimmer für Verwandlung."
„Danke"
Sie drückte ihm einen sanften Kuss auf die Wange und begab sich ins Schloss. Remus sah ihr leicht lächelnd hinterher. Sein Plan schien tatsächlich funktioniert zu haben.

Lily eilte die Flure entlang und öffnete schließich leise die Tür zum Klassenzimmer für Verwandlung. Das, was sie sah, ließ sie allerdings zu einer Säule erstarren. Dort, mitten im Raum, stand James und umarmte Alice.

James Potter und das Erbe GryffindorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt