♡98. Wut

507 19 0
                                    

So fand James Lily zwei Stunden später. Als er das Arbeitszimmer betrat, sah Lily nicht einmal auf. James blieb am Türrahmen gelehnt stehen und beobachtete sie eine Weile. Lilys konzentrierte Arbeitsweise und das Blubbern des Kessels erinnerte ihn an seine eigene Kindheit. Damals hatte er stundenlang bei seiner Mutter gesessen und ihr beim Brauen der Zaubertränke zugesehen. Es gab wohl weniges, das so viel Magie ausstrahlte wie die verschiedenen Tränke und Mixturen. Nur ein kleiner Tropfen konnte genügen, um einen Menschen zu heilen oder ihn sogar zu töten. Auch wenn er selbst nicht unbedingt über die nötige Geduld verfügte und froh war, dass Lily so fantastisch im Brauen war, faszinierte es ihn immer noch. Die verschiedenen Gerüche, wie ein Zaubertrank seine Farbe wechselte, wenn eine neue Zutat hinzukam. Er konnte nur hoffen, dass sein Sohn zu gegebener Zeit, wie er selbst, neben seiner Mutter sitzen konnte und ihr beim Brauen zusehen konnte. Er war sich sicher, Lily würde es lieben, ihrem Sohn alles zu zeigen, was sie über Zaubertränke wusste. Und wie seine Eltern wäre Harry dann wahrscheinlich unschlagbar in diesem Fach, sobald er nach Hogwarts kommen würde. Aber, und das war von äußerster Wichtigkeit, beschloss James, Harry würde ebenso wie sein Vater, ein absolutes Ass in Verwandlung, Verteidigung gegen die dunklen Künste und natürlich im Quidditch sein. Natürlich, denn sobald Harry sprechen konnte, würde er mit ihm üben. James grinste bei dem Gedanken, wie Harry das erste Mal auf einem Besen herumsausen würde.
„Stehst du schon länger dort?" Lily hatte ihn also bemerkt. Lächelnd schüttelte James den Kopf.
„Erst ein paar Minuten. Es war sehr interessant, dich zu beobachten und hat jede Menge Kindheitserinnerungen geweckt. Warum hast du mich nicht geweckt?"
„Du hast so friedlich geschlafen. Die letzte Nacht war schlimm genug für dich. Und dann heute noch der Abschied von deinem Elternhaus und deinen Freunden. Ich dachte, du brauchst die Ruhe."
James trat näher zu seiner Frau und hauchte ihr einen Kuss auf die Haare.
„Danke." Er warf deinen Blick auf das Rezept. „Du hast also angefangen? Kann ich dir irgendwie helfen?"
Lily schüttelte den Kopf und ihre roten Haare funkelten dabei in der Nachmittagssonne.
„Nein, leider nicht. Ich habe nun den ersten Teil soweit fertig. Nun muss ich nur alle zwei Tage zur gleichen Zeit umrühren. Erinnerst du dich an diesen Alarmzauber, den uns Professor Flitwick im ersten Schuljahr beigebracht hat? Ich habe ihn ein wenig abgewandelt und nun erinnert er mich jedes Mal zehn Minuten vor der Zeit daran, dass ich mich um den Trank kümmern muss. Das ganze dauert vier Wochen und er sollte danach dunkelblau sein. Ich hoffe, in der Zwischenzeit schafft es Albus, die weiteren Zutaten zu besorgen." James sah auf die Zutatenliste.
„Oh. Das könnte schwierig werden, sollten die Dinge nicht in den Vorratsschränken von Hogwarts lagern." Lily machte eine zustimmende Kopfbewegung.
„Genau das habe ich vorhin auch gedacht. Aber ich bin mir sicher, Albus besorgt uns alles, was nötig ist."

Die nächsten Tage verbrachte die kleine Familie in aller Ruhe damit, sich wieder im Cottage einzuleben. Abby und Ramsey sorgten für den Lebensmittelnachschub, wie sie es auch schon im Potter-Anwesen getan hatten. Und natürlich erfuhren sie auch vom Zustand der Vergifteten. Sonst waren sie allerdings so gut wie abgeschnitten. Weder erhielten sie Nachrichten vom Orden noch von ihren Freunden. Allerdings wussten die meisten Ordensmitglieder auch nicht, wo sie sich derzeit aufhielten. Zudem waren Sirius und Remus unterwegs auf einer Mission und konnten sich somit gar nicht melden. Lily kümmerte sich mit Hingabe um den Heiltrank und James nahm sich in dieser Zeit Harrys an, der mittlerweile damit angefangen hatte, zu laufen. Hin und wieder wechselten auch seine Spielzeuge die Farbe oder lagen an vollkommen ungewöhnlichen Orten. Lily lächelte jedes Mal darüber, war es doch laut dem magischen Elternratgeber ein Zeichen für eine starke magische Begabung. Sie freute sich aber mehr darüber, dass er überhaupt schon Magie zeigte, so musste sie sich keine Sorgen machen, dass ihr Sohn ein Squib sein könnte. Denn mit Verwunderung hatte Lily in eben diesem Ratgeber gelesen, dass es Kinder in magischen Familien gab, die ohne den Hauch von Zauberkraft geboren wurden und sie fand die Vorstellung, dass ihr Sohn niemals Hogwarts erleben würde, furchtbar.

Nach einer Woche zurück im Cottage, brachte eine Hauselfe die nötigen Zutaten mit einer Nachricht von Albus vorbei. Die Nachricht war kurz und bündig.
„Verfolgen eine wichtige Spur. Allen geht es gut. Bitte händigt der Elfe James' Tarnumhang aus, er wird dringend für eine Mission benötigt. Vielen Dank. Melde mich, sobald ich kann."
James war zwar dankbar darüber, dass Dumbledore die Zutaten für den Trank hatte besorgen können, dennoch konnte Lily in seinen Augen lesen, dass er wütend war. Wütend darüber, eingesperrt zu sein. Wütend, dass sein Patenonkel ihn mit solch einer Nachricht abspeiste und wütend, dass seine Freunde ihm keinerlei Nachrichten sandten oder gar einmal vorbei kamen. Nachdem er die Nachricht gelesen hatte, fiel sein Blick kurz auf die Besenkammer. Sein geliebter Nimbus kam nur noch ganz selten heraus. Der Garten des Cottages war zu klein zum Fliegen und seine Eltern sollten genug Ruhe bekommen, so dass James auch nicht einfach dorthin apparieren konnte. Er schien einen Moment zu überlegen, ob es ein Flug wert war, damit sein Leben in Gefahr zu bringen. Dann zuckte er kurz mit den Schulter und zerriss Albus' Nachricht. Kurz darauf stürmte er wutentbrannt in den Garten und schlug die Terassentür hinter sich zu. Lily sah im verdutzt hinterher. Seit Hogwarts hatte sie keinen solchen Wutausbruch bei James mehr erlebt. Normalerweise hatte er sein Temperament mittlerweile sehr gut im Griff. Sie ließ ihm ein paar Minuten Zeit und wartete, bis Harry in seinem Kinderbettchen im Wohnzimmer eingeschlafen war, dann folgte sie James nach draußen.
Sie fand ihn unter einer alten Eiche im Garten im Gras. Es war sonnig und warm, genau richtig für einen Nachmittag Ende Juni. Doch James' Gesicht wirkte, als würde es seit sechs Wochen unterbrochen regnen. Sie ließ sich neben ihm nieder und wartete darauf, dass er eine Reaktion zeigte.
Allzu lange musste sie sich nicht in Geduld üben.
„Es ist so unfair, Lily. Hier eingesperrt sein, während alle draußen kämpfen und unsere Freunde jeden Moment sterben könnten. Zu wissen, dass man noch drei Monate hat und nichts tun kann, außer warten. Warten auf den Tod. Oder eher verstecken vor dem Tod. Damit er uns nicht findet. Aber was, wenn er alle tötet, an denen uns etwas liegt? Ist es das wert? Was haben wir dann noch von unserem Leben, wenn alle unsere Freunde tot sind? Gestorben wegen einer jahrhundertealten Prophezeiung, die besagt, dass unser Sohn in der Lage sein wird, Voldemort zu besiegen. Wir können uns doch nicht ewig hier verstecken. Wie lange sollen wir hier so eingesperrt sein? Bis Harry achtzehn ist, zwanzig? Aber wenn er bei uns aufwächst, erfüllt sich die Prophezeiung nicht, denn er muss ja bei Muggeln aufwachsen und zurückkehren in unsere Welt. Es läuft also alles darauf hinaus, dass wir genauso sterben werden, wie du es gesehen hast. Gleiches gilt leider auch für meine Eltern. Und trotzdem speist uns Albus mit solchen Nachrichten ab! Das ist unfair." James Wut war verraucht. Er hatte es einfach loswerden müssen. Nun stand Verzweiflung in seinen Augen. Lily zog ihn in die Arme und gemeinsam weinten sie.

James Potter und das Erbe GryffindorsWhere stories live. Discover now