♡101. Verwirrend

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Harrys Augen füllten sich mit Tränen. Wie von selbst strömten erneut seine eigenen Erinnerungen auf ihn ein. Erinnerungen an Momente, die er so gerne mit seinen Eltern geteilt hätte. Erinnerungen, die ihm gekommen waren, während er sich die Szenen im Denkarium angesehen hatte. Sein erster Tag als Gryffindor – dem Haus seiner Eltern und seiner Vorfahren -, sein erster Sieg als Quidditchkapitän, der erste Kuss mit Ginny, seine schönsten Erinnerungen. Aber auch die furchtbarsten Erinnerungen waren in ihm hochgekommen. Gedanken an zwei Halloweenfeste: Der Tag, an dem seine Eltern gestorben waren und einige Jahre später, als Sirius in Hogwarts eingedrungen war. Tom Riddle und der Sieg über den Basilisken. Das erste Aufeinandertreffen mit Sirius in der Heulenden Hütte. Der Abend in der Mysteriumsabteilung und Sirius' Tod. Dann die Jagd auf die Horkruxe, der erste Besuch in Godric's Hollow. Und schließlich die Schlacht von Hogwarts, Snapes Erinnerungen, sein eigener Tod und der Kampf gegen Voldemort. Er wünschte, er hätte eine Familie, mit der er all diese Erinnerungen teilen könnte. Doch hätte er eine Familie gehabt, würde es einen großen Teil dieser Erinnerungen nicht geben. Sie wären durch andere, wohl positivere ersetzt worden. Ein Gedanke schoss in seinen Kopf. Die Verwunderung, dass seine Mutter scheinbar tatsächlich Visionen von einem Teil seiner Erinnerungen hatte. Und doch waren sie gestorben, ohne etwas gegen Voldemort unternehmen zu können.
Sein Blick fiel auf die Schale mit den Erinnerungen und er stutzte. Als er in die Flüssigkeit abgetaucht war, war sie silbrig und ruhig gewesen, so wie er es von den Erinnerungen aus Dumbledores Büro kannte, doch jetzt brodelte sie und war leuchtend grün. Seine Augen wanderten durch den Raum und nahmen gerade noch wahr, wie der Brief seiner Eltern sich vor ihm in Nichts auflöste. Ihm entfuhr ein erstickter Laut. Der einzige Brief seiner Eltern, der direkt an ihn gerichtet war – verloren. Wütend schlug er gegen eine Wand.
„Harry, alles in Ordnung bei dir?" erklang eine sorgenvolle Stimme. Harry schüttelte den Kopf. Er musste verrückt geworden sein. Diese Stimme! Das war einfach nicht möglich. Wahrscheinlich hatte er es sich nur eingebildet. Schritte näherten sich und die Tür wurde geöffnet. Eine Person betrat den Raum und ihr Anblick ließ Harry in Ohnmacht fallen.
Nur langsam nahm er die Stimmen um sich herum wahr. Einen Moment versuchte er sich zu erinnern, was geschehen war. Und dann fiel es ihm wieder ein. Er musste geträumt haben. Eine Tür öffnete sich und jemand trat schnellen Schrittes näher an ihn heran.
„Geht es ihm gut? Was ist passiert?" Eine weibliche Stimme erklang, ängstlich und fragend zugleich. Harry hätte sie überall erkannt. Hermine! Wenn sie hier war, würde alles in Ordnung kommen. Langsam öffnete er die Augen und wünschte sich sofort, es nicht getan zu haben. Er musste sich den Kopf angeschlagen haben oder vielleicht war er auch einfach verrückt geworden. Er sah direkt in ein paar wunderschöne, grüne Augen – seinen eigenen so ähnlich, dass er sie überall erkannt hätte.
„Mom?", fragte er krächzend. Seine Hand zuckte. Am liebsten hätte er die Frau vor sich berührt. Doch er wagte es nicht, aus Angst festzustellen, dass sie nicht wirklich da war sondern nur ein Gespinst seiner Fantasie.
Ein Lächeln glitt über das Gesicht der schönen rothaarigen Hexe und sie legte Harry eine Hand auf die Schulter. Sie war warm und fühlte sich vollkommen real an.
„Da bist du ja wieder. Du hast uns einen riesigen Schrecken eingejagt." Ihre freundliche, wohlklingende Stimme jagte Harry eine Gänstehaut über den Rücken. Egal, wo er gelandet war, er wollteier nie wieder hier weg. Sein Blick schweifte durch den Raum. Er selbst lag auf einem Bett und um ihn herum standen einige Personen. Hermine hatte er ja schon gehört. Doch sie war wohl nicht alleine gekommen, denn direkt neben ihr stand Ron. Beide hatten einen erleichterten Gesichtsausdruck. Doch es waren noch weitere Personen im Raum. Harry riss die Augen auf, als er sie erkannte. Sirius war hier, Remus ebenfalls. Sein Blick glitt weiter und dort, neben seiner Mutter, stand niemand anderes als James Potter, sein Vater.
„Bin ich tot?", fragte er, während er in die braunen Augen seines Vaters blickte, die ihm so vertraut und doch so fremd waren. „Wenn ja, möchte ich es diesmal gerne bleiben."
„Tot? Wie kommst du denn darauf?" James hatte die Augenbrauen leicht gehoben und warf einen sorgenvollen Blick hinüber zu seiner Frau. „Nein, du warst nur ohnmächtig. Auch wenn wir nicht genau wissen, warum. Allerdings meinte Mom, dass es vielleicht mit einer Überforderung durch zu viele fremde Erinnerungen zusammenhängen könnte."
Harry schüttelte den Kopf.
„Deine Mutter? Willow ist nicht tot?"
Lily kniete sich neben das Bett und nahm Harrys Hand. Es war ein schönes Gefühl, zu spüren, dass es die eigene Mutter war, die sich Sorgen um ihr Kind machte.
„Harry, ich weiß nicht, warum du denkst, alle seien tot. Ich kann dir versichern, die ganze Familie ist putzmunter. Willow ist gerade unten und braut einen Stärkungstrank für dich. Und Primus ist zusammen mit einigen weiteren unten. Sie wollten nicht, dass du erschrickst, wenn zu viele Personen in deinem Zimmer sind. Ginny ist auf dem Weg und sollte jeden Moment eintreffen." Ihre grünen Augen sahen Harry liebevoll an, aber Harry konnte sehen, dass sie Angst hatte. „Es ist also alles gut." Auch wenn Harry das gerne glauben wollte, konnte er es nicht einfach akzeptieren.
„Aber wieso lebt ihr alle? Niemand außer Ron, Hermine und Ginny sollte am Leben sein. Ihr wart alle tot. Ich habe einige mit eigenen Augen sterben sehen." Er stellte selbst fest, dass seine Stimme leicht panisch klang. Was ging hier nur vor? Träumte er immer noch? Lag er vielleicht im Koma? Oder war er doch wahnsinnig? Harry hatte keine Antwort auf diese Fragen. Doch er kannte jemanden, der immer auf alles eine Antwort gehabt hatte.

„Kann ich vielleicht einen Augenblick mit Hermine alleine reden?" Harry konnte die verwunderten Blicke aller Anwesenden förmlich spüren, doch sie gaben seinem Wunsch sofort nach. Hermine zog sich einen Stuhl heran und Harry setzte sich im Bett auf.
„Hermine, was ist hier los? Bin ich der Einzige, dem diese Situation seltsam vorkommt?" fragte er seine beste Freundin, kaum nachdem alle den Raum verlassen hatten. Die braunhaarige Hexe lächelte ihn an, doch das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Er kannte diesen Ausdruck in ihren Augen, sie hatte ihn immer dann, wenn sie ihm etwas verheimlichte.
„Sag mir bitte die Wahrheit. Ich kann sehen, dass etwas nicht stimmt." Hermine zögerte einen weiteren Moment, bevor sie schließlich nach seiner Hand griff.
„Harry, ich weiß ehrlicherweise auch nicht, was los ist. Es ist ein wenig, als hätte ich zwei Leben gelebt. Ich kann mich dunkel an eine Schlacht in Hogwarts erinnern bei der Remus, Tonks und viele andere gestorben sind, aber ich weiß auch, dass Remus Lupin uns als unser Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste vor gerade einmal vier Wochen zu unseren UTZ gratuliert hat. Ich habe zweierlei Erinnerungen daran, wie wir uns angefreundet haben. Und ich weiß auch, dass du in einer dieser Erinnerungen als Waisenkind nach Hogwarts kamst." Sie atmete tief ein. Sie wirkte ebenfalls verunsichert, doch ihre vertraute Stimme gab Harry Sicherheit. „Ich habe mit niemanden darüber gesprochen. Es klingt so verrückt."
„Hermine, ich habe nur eine einzige Erinnerung. Und in dieser haben wir keinen Abschluss gemacht, sondern gegen Voldemort gekämpft. Ich bin gestorben und wiedergekommen und dann habe ich ihn endlich besiegt." Er konnte sehen, dass Hermine bei seinen Worten Tränen in die Augen traten.

James Potter und das Erbe GryffindorsWhere stories live. Discover now