♡179. Lilys Vorurteil

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Am Gleis 9 ¾ wimmelte es bereits von Menschenmassen. Zauberer und Hexen, gekleidet in Umhängen aller möglichen Farben, wuselten umher oder standen bereits wartend auf dem Bahnsteig. Obwohl viele von ihnen voller von Vorfreude geprägter Aufregung waren, blieben doch einige der Passanten stehen, als sie die Potters erblickten. James hatte seinen Arbeitsumhang noch nicht abgelegt und unter dem Wappen des Ministeriums prangte sein Orden des Merlin, welchen er heute aufgrund einer offiziellen Veranstaltung hatte tragen müssen. Als sie nun an den Wartenden vorbei gingen, verrenkten sich einige fast die Köpfe, um einen besseren Blick zu erhaschen.
„Ich hätte mich doch umziehen sollen", raunte James Lily zu.
„Und du glaubst wirklich, das hätte etwas geändert?", antworte sie skeptisch.
„Wahrscheinlich nicht."

Ein Pfeifen kündigte den Hogwarts-Express an und dieses Mal war es Harry, der gar nicht genug sehen konnte. Er lehnte sich so weit wie möglich auf dem Arm seines Vaters nach vorne, um ja den besten Blick zu erhaschen.
„Zug", verkündete er und James lachte.
„Nicht nur irgendein Zug", erklärte er seinem Sohn. „Dieser Zug wird dich und Morgan später zur Schule bringen."
„Was ist eine Sch..Schule?" Harry wirkte sichtlich verwirrt.
„Das ist da, wo Mommy arbeitet."
„Dann will ich da auch hin", bekräftigte Harry und sah seine Mutter erwartungsvoll an.
„Bald, mein Schatz, bald. Erst einmal musst du älter werden."
„Wie alt?"
„Elf."
Harry machte runde Augen.
„Das ist aber ganz schön alt."

„Einen wunderbaren Sohn haben Sie da, Professor Potter", erklang neben ihnen eine Frauenstimme. Als Lily sich umwandte, stand sie einer Hexe gegenüber, die vielleicht nur zehn, fünfzehn Jahre älter war, als sie selbst. „Und eine wirklich bildhübsche Tochter."
„Vielen Dank", antworte Lily freundlich.
„Meine Tochter Aurelie hat in den höchsten Tönen von Ihnen geschwärmt."
„Aurelie Wadd?", hakte Lily nach.
Die andere Hexe nickte.
„Sie haben ein hervorragendes Namensgedächtnis", freute sie sich. „Meine Tochter hofft inständig, dass Sie im neuen Jahr zurückkehren werden."
„Das ist sogar sehr wahrscheinlich. Richten Sie Ihrer Tochter aus, dass ich mich sehr freue, dass ihr der Unterricht so viel Spaß macht."
„Vielen Dank, Professor Potter, das werde ich. Wir bewundern Sie und ihren Mann alle. Für ihren Mut."
Die Hexe lächelte noch einmal freundlich und entschwand.

„Das war seltsam", sagte Lily leise.
„Wieso?" James setzte Harry auf dem Bahnsteig ab, als der Zug zum Stehen kam, und sah seine Frau an.
„Aurelie Wadd ist eine Slytherin und ihre Mutter bewundert uns?" Lily zog skeptisch die Augenbrauen nach oben.
„Lily Potter", schimpfte James sie gespielt. „Warst du es nicht, die mir während unserer Schulzeit Jahr um Jahr erklärt hat, dass Slytherins und Gryffindors sehr wohl befreundet sein können? Und jetzt hast du selbst solche Vorurteile."
Sie erbleichte, kaum, dass er die Worte ausgesprochen hatte.
„Du hast Recht", sagte sie reumütig.

Unmengen Kinder und Jugendliche strömten aus dem Zug auf den Bahnsteig und wurden lautstark von ihren Familien begrüßt. Einige riefen Lily ein „Frohe Weihnachten, Professor" zu, andere wiederum ließen es sich nicht nehmen, gemeinsam mit ihren Eltern ihnen kurz die Hand zu schütteln. Und darüber vergaß Lily fast, nach ihm Ausschau zu halten. Während eine ältere Dame gerade auf sie einredete, ließ Lily beiläufig den Blick über den Bahnsteig gleiten und entdeckte ihn, als er gerade als Letzter aus dem Zug stieg. Ein Lächeln legte sich auf ihre Gesichtszüge, während er auf sie zu kam. Gerade als er vor ihnen stand, hatte sich die Dame gemeinsam mit ihrer Enkelin verabschiedet.
Lily zog Severus in ihre Arme.
„Willkommen in der Freiheit", sagte sie ganz leise und ein Grinsen schlich sich auf Severus' Gesichtszüge, wie Lily zu ihrer Überraschung feststellte.
James reichte ihm höflich die Hand, um ihn zu begrüßen. Severus sah ihm fest in die Augen und musste eingestehen, dass darin keinerlei Abscheu oder Hass zu lesen war.
„Hallo, Sev", wurde er sogar von dem kleinen Harry begrüßt. Einen Moment kniete Severus sich hin, um den Kleinen ebenfalls zu begrüßen.
„Ich habe dir etwas mitgebracht", sagte Lily fröhlich und nahm etwas aus ihrer Umhangtasche. „Frohe Weihnachten."
Severus griff nach der Schatulle, die sie ihm reichte. Auf einem Samtkissen lag sein Zauberstab. Andächtig strich er mit den Fingerkuppen über das leicht raue Holz.
„Mein Zauberstab", krächzte er bewegt.
„James hat ihn vorhin aus dem Ministerium mitgebracht, weil er dachte, du könntest es kaum noch abwarten."
„Danke", sagte Severus und James nickte.
„Gerne geschehen. Einer der Vorteile, wenn man Leiter der Aurorenabteilung ist", feixte James, aber im Gegensatz zu früher lag in seinen Worten nicht ein Hauch von Prahlerei.

Sie apparierten gemeinsam nach Lions High. Severus würde, wie bereits im Sommer, die nächsten Tage zu Gast im Hause der Potters sein, bis er eine eigene Bleibe gefunden hatte, doch dieses Mal wirkte er deutlich zufriedener als noch vor wenigen Monaten.
„Wir feiern traditionell einen Weihnachtstag hier bei James' Eltern, am anderen Tag treffen sich alle bei uns zum Essen. Wir würden uns freuen, wenn du bei beidem dabei wärst. Das gilt auch für die Silvesterparty, die wir für all unsere Freunde geben." Lily konnte in Severus' Augen lesen, dass er ablehnen wollte, doch sie kam ihm zuvor: „Ich lasse keine Ausrede gelten, Severus." Mit diesen Worten ließ sie ihn in Willows Obhut zurück und machte sich mit ihrer Familie auf den Weg nach Hause, doch nur, um früh am nächsten Morgen mit ihrer kleinen Tochter auf dem Arm zurückzukehren.
Severus saß noch mit Willow gemeinsam beim Frühstück in der großen, aber wohnlichen Küche, als Lily hineinschlenderte.
„Guten Morgen", sagte sie fröhlich und bevor sie am Esstisch Platz nehmen konnte, hatte ihr eine Hauselfe schon Kaffee gebracht und ihr Morgan abgenommen. „Danke, Abby", rief Lily der Elfe hinterher, die mit ihrer vergnügt glucksenden Tochter nach oben entschwand.
„Die drei Herren haben Morgan und mich mit den Worten verlassen, dass das Schlagen eines Weihnachtsbaums nur etwas für richtige Männer sei." Sie wackelte mit den Augenbrauen. „Ich bin gespannt, was James nächstes Jahr macht, wenn seine niedliche kleine Tochter ihn mit großen Augen anfleht sie mitzunehmen."
„Er wird einknicken wie ein morscher Besen", vermutete Willow.
Lily grinste.
„Und was machen wir drei, während sich die Herren im Wald vergnügen?"
„Also Severus hat, bevor du kamst, darum gebeten, einen Blick in mein Arbeitszimmer werfen zu dürfen. Er wollte ein paar Ratschläge bezüglich verschiedener Heiltränke."
„Das ist eine ganz hervorragende Idee", befand Lily und so saßen sie wenig später im Kreis um Willows Kessel.

Lily schmökerte in einem der besonders alten Trankbücher, die Willow ihr Eigen nannte, während Severus ihre Schwiegermutter über verschiedene Heiltränke ausfragte.
„Ich habe gehört, es soll gelungen sein, einen Heiltrank für Werwölfe zu brauen?", platzte er schließlich heraus.
Willow kräuselte die Lippen.
„Leider nein", sagte sie dann. Ihre Stimme klang betrübt. „Damocles Belby ist es gelungen, einen Wolfsbanntrank zu brauen, allerdings bewirkt dieser nur, dass die Werwölfe bei der Verwandlung ihr menschliches Bewusstsein behalten. Es ist kein Heilmittel."
„Hast du ihn schon gebraut?"
Willow nickte, ging zu ihrem Schreibtisch und reichte Severus dann das Rezept.
„Getrocknete Nesseln, Haar von einem Einhornschwanz, Rosendornen, Salamanderblut...", murmelte Severus, während er die Zutaten las. „Bei Merlin, das ist ein komplizierter Trank."
„Er gehört nicht gerade zu den Tränken für Anfänger", bestätigte Willow.
„Ich würde gerne lernen ihn zu brauen, falls es in St. Mungo jemals Bedarf dafür gibt."
Ohne ein weiteres Wort stand Willow auf , ging zu ihrem Vorratsschrank und nahm die erforderlichen Zutaten heraus.

„Chrm", erklang es irgendwann von der Eingangstür und Lily schrak aus ihren Gedanken. Sie war so vertieft in das Zaubertrankbuch gewesen, dass sie vollkommen die Zeit vergessen hatte. Nun sah sie ihrem grinsenden Ehemann ins Gesicht, der am Türrahmen lehnte.
„Wenn ihr euch nicht beeilt, hat Harry den Weihnachtsbaum alleine geschmückt."

James Potter und das Erbe GryffindorsWhere stories live. Discover now