♡136. Professor Potter

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In den nächsten Stunden bewegte sich der Hogwarts-Express ratternd und dampfend durch die englische Landschaft immer weiter in Richtung Norden. Lily sah eine Zeitlang aus dem Fenster, vollkommen versunken in ihre Gedanken, doch je weiter sich der Zug von London entfernte, umso ruhiger wurde sie erstaunlicherweise. Irgendwann zog sie einige Unterlagen aus ihrer Tasche und arbeitete weiter an ihren Notizen für die nächsten Unterrichtsstunden. Sie hatte eigentlich geplant, die jeweils ersten Stunden mit jeder Klasse damit zu verbringen, ihnen einen ihrer Jahrgangsstufe entsprechenden Zaubertrank zu zeigen, der deutlich machen sollte, wie beeindruckend die Kunst der Zaubertrankbrauerei sein konnte. Sie wollte die Schüler begeistern für dieses Fach, welches leider eines der unbeliebtesten in Hogwarts war. Daher hatte sie einige komplizierte Zaubertränke bereits zuhause vorbereitet oder aus ihrem Vorrat entnommen, darunter Vielsafttrank, Felix Felicis, einen Liebestrank, das Euphorie-Elixier sowie für die Erstklässler eine ganz simple Funkenlösung, die sie gemeinsam brauen würden. Doch nach den Vorkommnissen auf dem Bahnsteig und den immer wieder an ihrem Abteil vorbeischleichenden Schülern war Lily sich sicher, dass sie in den ersten Stunden erst einmal viele Fragen würde beantworten müssen.

Langsam brach die Dunkelheit herein und es konnte nicht mehr allzu weit nach Hogwarts sein. Lily beschloss, nun ebenfalls einen kleinen Rundgang durch den Zug zu machen, um zu schauen, ob alle Schüler bereits ihre Umhänge angezogen hatten. Sie hatte das Abteil kaum verlassen, als ihr schon die ersten neugierigen Blicke folgten. Leises Gemurmel und fröhliches Gelächter folgten ihr über den Gang, während sie gelassen durch den Zug schlenderte.
„Je früher ich mich daran gewöhne, umso besser", sagte sie zu sich selbst.
Bis auf den einen oder anderen Sechst- und Siebtklässler, die Lily freundlich daran erinnerte, hatten alle Schüler bereits ihre Umhänge angezogen und kaum, dass Lily das Schulsprecherabteil wieder betreten hatte, fuhr der Hogwarts-Express in Hogsmeade ein. Langsam folgte Lily den Schülern aus dem Zug und atmete auf dem Bahnsteig tief die kalte Luft ein, während ihr Blick über den kleinen Bahnhof glitt. Hogsmeade lag unter einer dicken Schneeschicht begraben, aber das war auch bereits vor vier Wochen, als Lily gemeinsam mit Sirius und Albus die Horkruxe vernichtet hatte, nicht anders gewesen. Ihr Blick wanderte zu der Stelle, an der die Kutschen standen, welche die Schüler nach Hogwarts brachten und einen Moment erstarrte sie. In Pflege magischer Geschöpfe hatten sie natürlich die Thestrale behandelt und sie hatte immer gewusst, dass die Kutschen nicht mit Magie fuhren, aber diese Geschöpfe nun mit eigenen Augen zu sehen, war etwas vollkommen anderes. Geduldig standen sie vor den Kutschen und schienen nur darauf zu warten, dass die Schüler diese besetzten.

Schließlich nahm Lily zusammen mit drei Gryffindorjungs, vermutlich Viertklässler, in der letzten Kutsche Platz. Die Gespräche der Schüler verstummten sofort und alle sahen sie an. Lily konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
„Prima, wenn das zukünftig immer passiert, wird es ja wunderbar einfach, dafür zu sorgen, dass ihr mir im Unterricht zuhört", stellte sie trocken fest.
Die Schüler starrten sie einen Moment lang an, dann musste der erste ebenfalls lachen. Das Eis war gebrochen. Auf dem Weg zur Schule erfuhr Lily, dass Connor Salisbury, Nicolas Ellis und Elyan McCalam - so hießen die drei Jungs - tatsächlich Viertklässler waren und der Vater von Connor im Zaubereiministerium arbeitete. Nicolas war ein Halbblut und seine beiden Freunde waren voller Freude, weil er endlich wieder in Hogwarts sein konnte. Nicolas hingegen hatte etwas Bedenken, weil er so viel Unterricht verpasst hatte. Denn nur, weil sie Mutter ihn zuhause weiterhin unterrichtet hatte, musste er nun kein ganzes Jahr in Hogwarts wiederholen, sondern konnte in der Klasse mit seinen Freunden bleiben und hatte nur den Unterrichtsstoff seit Schuljahresbeginn aufzuholen.
„Keine Angst, Mr Ellis", beruhigte Lily ihn, „wir bekommen das schon hin. „Ich werde Ihnen gerne mit anderen Schülern ihres Jahrgangs zusammen Nachhilfestunden in Zaubertrankkunde geben und wenn Sie möchten, Ihnen auch gerne in jedem anderen Fach behilflich sein."
Nicolas lächelte Lily dankbar an, während die Kutsche vor dem Schloss hielt.
Lily zögerte einen Moment, bevor sie den Schülern ins Schloss folgte. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, dass sie gemeinsam mit James, ebenfalls nach den Weihnachtsferien, in einer dieser Kutschen gesessen hatte. Sie würde nie vergessen, wie viel Angst sie damals selbst verspürt hatte und James' Versprechen, dass sie bald wissen würde, wohin sie gehörte. Und nun war sie wieder hier. Lily Potter, Muggelgeborene, Mitglied einer der bedeutendsten magischen Familien und nun Professorin an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei. Es klang so unwirklich und einen Moment fühlte sie sich an ihren ersten Schultag erinnert. So stolz sie damals gewesen war, nach Hogwarts zu gehen, so viel Angst hatte sie zugleich gehabt, dass man sie nicht akzeptieren würde. Sie atmete einmal tief durch und begab sich in das Schloss. Die meisten Schüler saßen schon an ihren Haustischen und unterhielten sich lautstark und angeregt, als Lily gemeinsam mit Minerva McGonagall das Lehrerpodium betrat. Die Professorin hatte sie abgefangen und ihr den Weg durch das kleine Hinterzimmer gezeigt. Nun nahm Lily auf ihrem Stuhl direkt neben Minerva Platz, zu ihrer Linken war noch ein Platz frei. Zu Minervas Rechten saß Albus, der Lily freundlich lächelnd begrüßte. Der veränderte Blick auf die große Halle war etwas ungewohnt und erneut stiegen Erinnerungen in Lily auf. Schließlich waren auch die letzten Schüler in der Großen Halle eingetroffen. Nur der Stuhl neben Lily blieb frei. Gerade in dem Moment, als Dumbledore sich erheben wollte, um seine übliche Rede zu halten, ging allerdings die Tür hinter dem Lehrertisch auf und Severus nahm den Platz neben Lily ein. Ein vorsichtiges Lächeln trat auf sein Gesicht.
„Hallo Lily", sagte er leise. Lily musterte ihn einen Moment. Er wirkte verändert. Die dunklen Schatten auf seinem Gesicht waren verschwunden und seine Augen hatten wieder etwas Glanz.
Guten Abend, Severus", sagte sie ebenso leise. Zu mehr fühlte sie sich im Moment nicht bereit, auch wenn ihr klar war, dass sie würde mit ihm reden müssen, schließlich sollte er ihr im Unterricht assistieren. Doch sie hätte auch nicht viel mehr sagen können, denn in diesem Moment stand Albus auf und trat zum Rednerpult.
„Willkommen, willkommen zurück in Hogwarts. Ein ganz besonders herzliches Willkommen möchte ich allen Schülern zukommen lassen, die aufgrund der traurigen und dunklen Situation nicht bei uns sein konnten, so sehr wir dies bedauert haben. Umso glücklicher sind wir heute, die meisten von Ihnen wieder hier in Hogwarts begrüßen zu dürfen. Ich bin mir sicher, jeder einzelne Schüler und Lehrer wird Euch dabei helfen, Euch wieder in den Schulalltag einzufinden. Was mich dazu bringt, dass ich Euch allen unser neuestes Mitglied des Lehrerkollegiums vorstellen möchte, auch wenn ich gehört habe, dass die Gerüchteküche im Zug bereits schneller war." Dumbledore lächelte in die Runde. „Bitte heißt mit mir gemeinsam Professor Lily Potter willkommen, die ab sofort das Fach Zaubertränke unterrichten wird." Lily erhob sich und errötete ob es lauten Applauses, den ihr die Schüler zuteil werden ließen, bis schließlich Dumbledore mit seiner Rede fortfuhr: „Professor Potter war selbst bis vor einigen Jahren Schülerin dieser Schule und schon zu diesem Zeitpunkt ein herausragendes Talent besonders beim Brauen von Zaubertränken. Wir möchten ihr alles Gute für ihren Start wünschen."
Dumbledore nahm Platz und zeitgleich erschienen auf den Tischen Berge von Essen. Lächelnd stellte Lily beim ersten Bissen fest, dass sich das Essen in Hogwarts in keiner Weise verändert hatte. Sie unterhielt sich eine Weile mit Minerva, die ihr nach dem Essen ihr Büro zeigen wollte.
„Keine Angst, Albus hat dich nicht in den Kerker verbannt, Lily. Du hast ein wunderschönes Büro im zweiten Stock mit Blick auf den See bekommen."
„Ich dachte, du würdest dich sicherlich im Kerker nicht wohlfühlen", mischte sich Albus in das Gespräch ein. „Außerdem ist Severus ebenfalls im zweiten Stock untergebracht und liegt somit in der Nähe von deinem und nicht allzu weit entfernt von meinem Büro.
„Danke, Albus. Ich weiß es sehr zu schätzen."

Wenig später war das Dinner beendet und Albus schickte die Schüler ins Bett. Lily folgte Professor McGonagall hinauf in den zweiten Stock. Die Professorin öffnete die Tür zu einem mittelgroßen Raum, in dessen Mitte ein dunkelbrauner Schreibtisch thronte und verschwand dann wieder. Lily sah sich in aller Ruhe um. Hinter dem Schreibtisch stand ein bequem aussehender Schreibtischstuhl, davor zwei leicht abgewetzte Sessel als Besucherstühle. Durch zwei große Fenster hatte man einen wunderbaren Ausblick auf den See, der im Mondschein glitzerte. In einer Ecke des Raums befand sich ein Kamin, in dem die Hauselfen von Hogwarts bereits ein Feuer entzündet hatten. Vor dem Kamin stand ebenfalls ein Sessel mit kleinem Beistelltisch. Sogar an zwei extra Feuerstellen für das Brauen von Zaubertränken hatte man gedacht. Auf der anderen Seite gingen zwei Türen vom Raum ab. Lily öffnete die erste und fand einen großen begehbaren, aber dunklen Vorratsschrank mit unzähligen Regalbrettern, perfekt für die Aufbewahrung ihrer Zaubertrankzutaten. Die zweite Tür führte zu einem kleinen Schlafzimmer, das relativ spartanisch eingerichtet war. Lily vermutete, dass man durch die Fenster wohl auch die Ländereien und wahrscheinlich auch Hagrids Hütte sehen konnte, aber es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Ihre Koffer waren schon nach oben gebracht worden und so machte sich Lily direkt ans Auspacken. Sie hatte mit James vereinbart, dass sie die erste Nacht auf jeden Fall in Hogwarts verbringen wolle, um sich etwas einzurichten und um am nächsten Morgen ganz in Ruhe zum Unterricht gehen zu können. Sie räumte Zaubertrankzutaten in die Vorratskammer, Unmengen von Büchern in die dafür vorgesehen Regale im Büro und einige Kleidungsstücke in den Kleiderschrank. Danach räumte sie ihre eigenen Kessel, Rührlöffel und Waagen aus dem Koffer. Zur guter Letzt wanderten einige persönliche Gegenstände auf den Kaminsims und mehrere Bilder ihrer Familie auf den Schreibtisch. Nun würde sie bei Gelegenheit nur noch ein paar Teppiche und Pflanzen benötigen und schon wäre das Büro perfekt.

James Potter und das Erbe GryffindorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt