♡100. Ein Brief

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Harry erwachte wie aus einer Art Trance. Er wusste nicht, wie lange er in diesen Erinnerungen versunken war. Er wusste nur eins, endlich hatte er Gewissheit. Gewissheit über seine Vergangenheit und seine Familie. Er zitterte am ganzen Leib.
Die Erinnerungen seiner Eltern an die letzten Jahre ihres Lebens, sein wichtigstes Erbe. Nie hatte er angenommen, so viel über sie zu erfahren. Aber wie er nun herausgefunden hatte, war ihnen bewusst gewesen, was auf sie zukommen konnte. Eine Welle von Stolz und Liebe durchfuhr ihn. Sie hatten gewusst, dass sie sterben würden, aber um ihren Sohn und ihre Freunde zu retten, waren sie diesen Weg erhobenen Hauptes gegangen. Aber das Wichtigste war, sie hatten ihn, ihren Sohn, von ganzem Herzen geliebt. Was immer andere gesagt hatten, seine Eltern waren wunderbare Menschen gewesen. Und ihre Liebe zueinander einmalig. Nichts hätte dies zerstören können, nicht einmal der Tod.
Plötzlich machte vieles Sinn. Warum ausgerechnet er der Auserwählte war und nicht Neville Longbottom. Es hatte nie eine Alternative zu ihm, Harry Potter, gegeben. Schon lange vor der Geburt seiner Eltern hatte festgestanden, dass er irgendwann gegen Voldemort würde kämpfen müssen. Eine Wahl hatte es nie gegeben. Schon vor seiner Geburt hatten seine Eltern fürchten müssen, ihren Sohn nicht aufwachsen zu sehen. Trotzdem hatten sie ihre Träume nicht aus den Augen verloren, wie Willow es Lily vor langer Zeit geraten hatte. Nun konnte er auch das Verhalten von Dumbledore in einem anderen Licht sehen. Er hatte soviel verloren. Seine besten Freunde – Willow und Primus-, seine eigene Familie und schließlich auch noch seinen Patensohn und dessen Frau. Er hatte Harry mit all dem nicht belasten wollen, um ihm zumindest eine schöne Jugend zu ermöglichen. Wahrscheinlich hatte Dumbledore sein Möglichstes getan, um nicht zu viele Gefühle für Harry zu entwickeln aus Angst, ihn ebenso zu verlieren.
Harry dachte an Severus Snape. Ob er wohl an dem Tag nach Weihnachten zum Todesser wurde, nachdem er den Bericht über James und Lily im Tagespropheten lesen musste? Hatte er vermutet, dass Lily James heiraten würde und aus Trauer diesen furchtbaren Schritt gemacht? Für ihn musste der Artikel einem Weltuntergang gleich gewesen sein. Trotzdem hatte er nach so vielen Jahren Lilys Sohn das Leben gerettet.
Dumbledore hatte immer Recht gehabt: Liebe war das Mächtigste auf dieser Welt. Liebe konnte die Kräfte von Zauberern verändern und Geliebte vor dem Tod retten. In einem allerdings hatte sich Dumbledore geirrt. Voldemort hatte zumindest in Teilen sehr wohl die Macht der Liebe verstanden, auch wenn er die Liebe nicht verstand. Er hatte sehr genau gewusst, dass er James und Lily trennen musste, um eine Chance gegen sie zu haben. Deswegen hatte er einen Moment abgepasst, in dem James sich aus Liebe selbst opfern würde, um seine Frau und ihren Sohn zu retten und Lily keine Möglichkeit hatte, ihrem Mann beizustehen.
Harry griff nach dem Pergament, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Es hatte ihn heute erreicht. Pünktlich zu seinem achtzehnten Geburtstag. Es war schon leicht zerknittert, weil er es so oft gelesen hatte. Es war ihm morgens von einer Eule gebracht worden, während er im Fuchsbau beim Frühstück saß. Die verblüfften Gesichter der Familie Weasley ignorierend, war er aufgesprungen und davongeeilt. Nun, nachdem er sich die Erinnerungen angesehen hatte, begann er, es erneut zu lesen.

"Mein geliebter Sohn,
leider haben wir uns viel zu kurz gekannt, denn solltest Du dies hier irgendwann lesen müssen, dann wurde uns die Möglichkeit genommen, Dich aufwachsen zu sehen. Wir hatten wirklich gehofft, es verhindern zu können. Aber leider war die dunkle Seite stärker.
Harry, wir können nur schwer in Worte fassen, wie sehr wir Dich geliebt haben. Du warst und bist die Erfüllung unserer Liebe zueinander. Trotz der dunklen Zeiten haben James und ich uns ein Kind gewünscht, auch wenn dies vielleicht egoistisch war. Der Tag Deiner Geburt war neben unserer Hochzeit einer der schönsten in unserem Leben. Deine Großeltern, sie waren so stolz. Ich wünschte, zumindest sie wären Dir geblieben. Und James erst. Ich habe gedacht, er platzt fast vor Stolz und Glück. Selbst Sirius, der hartgesottene Black, war den Tränen nahe, als er Dich zum ersten Mal kurz nach der Geburt im Arm hielt. Es war immer klar, dass er der Patenonkel unseres Kindes werden würde. Wir sind uns sicher, dass er Dich in unserem Sinne aufgezogen hat und Dir ein guter Ersatzvater war. Und Remus wird ihn sicherlich bei all dem unterstützt haben. Auch wenn wir nicht blutsverwandt waren, so waren sie doch unsere Brüder. Dass Sirius Dein Patenonkel ist, ist auch einer der Gründe warum er nicht unser Geheimniswahrer war. Wir wollten sicher sein, dass zumindest einer von uns überlebt. Remus hat es abgelehnt, weil er Angst hatte, dass er die Kontrolle verlieren würde, wenn er sich verwandelt. Wir haben das sehr bedauert, aber durchaus verstanden. Remus hat immer so viel erdulden müssen, aber er ist ein durch und durch guter Mensch. Sicherlich hat er Dir von seinem kleinen pelzigen Problem berichtet.
Egal was passieren sollte, wir waren uns immer einig, dass Du unsere Geschichte kennen solltest. Alleine schon, damit Du weißt, wie sehr Du geliebt worden bist. In solch dunklen Zeiten konnten wir uns leider nicht sicher sein, dass wir es Dir selbst zeigen und erzählen können. Sirius kennt natürlich einen großen Teil unserer Geschichte und wird Dir alles, sollten wir es nicht mehr können, berichten. Allerdings wollten wir sicher gehen, falls auch ihm etwas zustoßen sollte. Darum hat uns Albus beigebracht wie man seine Gedanken und Erinnerungen loslässt, um sie später in einem Denkarium ansehen zu können.
Wir haben unsere Erinnerungen für Dich gesammelt, mein Sohn, damit Du uns kennenlernst. Bei Merlin, ich hoffe, Du wirst es nie benötigen, beziehungsweise wir werden uns dies irgendwann gemeinsam ansehen. Nachdem das Ministerium gefallen war und Willow, Primus und Potentia erkrankt waren, wurde es für uns zu gefährlich, das Haus zu verlassen. Zu diesem Zeitpunkt wussten nur noch Sirius, Remus, Albus und Peter und ein Teil des Ordens, wo wir uns aufhalten. Sirius und Remus sind abwechselnd vorbeigekommen, um die Erinnerungen abzuholen und sie zu unserem Familienverlies zu bringen. Leider mussten wir sie am heutigen Tag, dem dreißigsten Oktober 1981, bitten, nicht mehr zu kommen. Es wird zu gefährlich. Es wurde uns berichtet, dass Voldemort verstärkt nach uns sucht und natürlich weiß er ganz genau, wer unsere engsten Freunde sind. Peter, als unser Geheimniswahrer, hält sich schon seit Wochen versteckt. Wir wollen keinen von ihnen in direkte Gefahr bringen, nur um unser Leben zu schützen. Das Einzige was zählt bist Du! Leider werden damit auch die Erinnerungen aufhören, die wir in Sicherheit bringen konnten.
Heute ist Dein achtzehnter Geburtstag, mein Sohn, und Dein Dad und ich möchten Dir dazu ganz herzlich gratulieren. Wir sind sicher, Du bist ein toller junger Mann geworden. Hoffentlich schlägst Du, was die Streiche angeht, nicht allzu sehr nach Deinem Vater. Er hat so manches Mal die Lehrer in Hogwarts zur Verzweiflung getrieben. Den frühen Kindheitsfotos von James zufolge dürftest Du heute genauso aussehen wie er. Ich hätte Dir so gerne selbst gratuliert! Woher ich weiß, dass heute Dein achtzehnter Geburtstag ist? Wir haben verfügt, dass dieser Brief Dich an Deinem achtzehnten Geburtstag erreicht. Sirius hat ihn mitgenommen als er heute hier war. Die Kobolde von Gringotts haben ihn entsprechend verwahrt, denn es gibt laut Albus keinen sichereren Ort, da er annimmt, dass Voldemorts nächstes Ziel Hogwarts ist. Albus und der Orden bereiten sich schon lange auf diesen Angriff vor und sie sind sich sicher, ihn dann endlich besiegen zu können. Deinen Vater macht es derweil wahnsinng, nur hier zu sitzen und nichts tun zu können. Aber er weiß, dass es ausschließlich zu Deinem Schutz geschieht. Hin und wieder hat er es nicht ausgehalten, und ist, unter dem Tarnumhang versteckt, eine Weile geflogen. Aber Albus hielt dies für zu gefährlich und hat sich den Tarnumhang übergeben lassen. Ich denke, mittlerweile sollte er in deinem Besitz sein.
Zusammen mit diesem Brief sollte Dich ein Schlüssel erreichen. Es ist der Schlüssel zu unserem Familienverlies, dem Verlies, das noch von Godric Gryffindor selbst stammt. Außer ihm, James' Eltern, uns, Sirius und Remus hat diesen Raum kein menschliches Wesen je betreten und wir konnten uns keinen sichereren Ort vorstellen, um unsere Erinnerungen zu schützen. Diese Erinnerungen sind mehr wert als all das Gold im normalen Verlies, auch wenn es uns wichtig war, für Deine unmittelbare Zukunft zu sorgen. Den Schlüssel für das normale Verlies solltest Du an Deinem elften Geburtstag bekommen haben und es sollte mehr als genug Gold enthalten, damit Du Deine Ausbildung in Ruhe beenden kannst. Natürlich ist ja auch noch Sirius da, der für Dich sorgen wird.
Das Familienverlies enthält neben unseren Erinnerungen einige wichtige Gegenstände, die wir unbedingt schützen wollten. Neben vielen Dokumenten und Fotos sind dies viele Gegenstände aus dem Haus von James' Eltern. Leider mussten wir das Haus von James' Eltern aufgrund deren Krankheit verlassen. Außerdem ist unser kleines Haus viel besser zu schützen gewesen als das große Haus der Potters. Die Hauselfen sind allerdings dort geblieben und sollten sich um das Haus und Willow, Primus und Potentia kümmern. Albus wollte neben Sirius und Remus ein Auge darauf haben. Vielleicht hat James' Familie auch überlebt, leider ist es zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Aber das Haus sollte in einem bewohnbaren Zustand sein. Nichtsdestotrotz haben wir einige wertvolle Dinge in Sicherheit gebracht, wie die Bilder der Ahnengalerie und viele von Willows und Primus' Büchern. Außerdem wirst du dort den Familienschmuck und die Besitzurkunden für die Häuser der Potters finden. Das Haus von Primus und Willow wurde ebenfalls mit einem Fidelius geschützt. Albus ist der Geheimniswahrer. Im Verlies sind Pergamente der jeweiligen Geheimniswahrer, damit du die Häuser finden kannst. Allerdings ist nicht ganz klar, was mit dem Fidelius geschieht, wenn die Geheimniswahrer sterben sollten.
Mein Sohn, wenn Du soweit bist, besuch das Verlies und sieh Dir unsere Erinnerungen an, damit Du weißt, was Du uns bedeutet hast. Worte können dies unmöglich ausdrücken. In unserem Haus findest Du im Arbeitszimmer im Keller ein Denkarium, welches Du natürlich nutzen kannst.

Deine Dich liebenden Eltern
Lily und James"

James Potter und das Erbe GryffindorsWhere stories live. Discover now