♡162. Ähnlichkeiten

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„Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt", meinte Willow Potter und füllte das Glas, das vor ihm stand, mit eisgekühltem Kürbissaft auf. Er war direkt nach dem Frühstück zum Haus seiner Großeltern aufgebrochen und hier saß er nun auf der riesigen Terrasse zusammen mit seiner Großmutter, die sich bis auf die eine oder andere Falte und graue Strähne in ihrem immer noch roten Haar kaum verändert hatte.
„Es tut mir leid", sagte Harry in einem möglichst reumütigen Tonfall, doch Willow lächelte nur und täschelte ihm liebevoll die Hand.
„Ach, Harry, es gibt nichts, wofür du dich zu entschuldigen brauchst, im Gegenteil." Sie ließ den Blick kurz versonnen über den Garten streifen. „Wenn ich daran denke, was eigentlich geschehen sollte...." Willow stockte kurz und es war deutlich, dass sie sich die Situation nicht weiter ausmalen wollte. „Wie geht es dir damit, Harry? Mit dieser vollkommen veränderten Welt?", fragte sie stattdessen sanft.
„Ich weiß es nicht", antworte Harry ehrlich. „Einerseits bin ich unbeschreiblich glücklich darüber, dass ich plötzlich eine Familie habe. Die vielen Leben, die verschont wurden, das ist wunderbar. Aber wenn die eigene Erinnerung plötzlich nicht mehr der Wahrheit entspricht, ist das nicht so einfach. Eigentlich habe ich keine Ahnung mehr, wer ich bin." Er lächelte schief. „Hoffentlich klingt das nicht undankbar."
Willow sah ihn mitfühlend an und schüttelte leicht den Kopf.
„Nein, oh, nein, das ist nicht undankbar. Durch die Visionen deiner Mutter kennen wir einen Teil deiner Vergangenheit, Harry. Ich kann mir also zumindest ein wenig vorstellen, was du durchgemacht hast und wenn jemand das Recht hat, ein wenig Ruhe zu bekommen, dann du."
Harry dachte einen Moment über die Worte nach. „Etwas Ruhe wäre nicht schlecht", sagte er mit einem leichten Grinsen, das so typisch für die Männer seiner Familie war und Willow sehr an den jungen James erinnerte. „Aber wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass Ruhe und der Familienname Potter zusammenpassen."
„Das hast du ziemlich gut erkannt. Schön zu sehen, dass du deinen Humor nicht verloren hast", erwiderte Willow lachend. „Unsere Familie gehört nicht unbedingt zu denen, die ihren Zauberstab, die Füße oder sonst etwas stillhalten können. Da hast du bisher keine Ausnahme gebildet, auch wenn du bei Weitem nicht so viel Unfug in Hogwarts angestellt hast wie dein Vater und dein Großvater. Das Gen hat bei euch eindeutig Morgan abbekommen."
Harry, der gerade einen tiefen Schluck von seinem Kürbissaft genommen hatte, musste sich beherrschen, diesen nicht wieder prustend auszuspucken.
„Morgan?", fragte er schließlich hustend und mit hochrotem Kopf, während die Augen seiner Großmutter amüsiert funkelten.
„Oh ja, unsere kleine rothaarige Prinzessin hat es faustdick hinter den Ohren, das kannst du mir glauben, auch wenn sie aussieht, als könne sie kein Wässerchen trüben. Dazu kommt, dass Morgan und Regulus ungefähr genauso gute Freunde sind wie James und Sirius. Und er ist seinem Vater in vielen Dingen sehr ähnlich."
„Die beiden spielen also Streiche?", fragte Harry vollkommen ungläubig und Willow gluckste vor Vergnügen.
„Sagen wir es mal so, du, Ron und Hermine hattet immer den Hang, unverschuldet in Schwierigkeiten zu geraten, während Morgan und Regulus sie gemeinsam mit ihren beiden Freunden Julie und Brian
geradezu zu suchen scheinen."
„Unfassbar", murmelte Harry. Er hatte zwar schon gemerkt, dass seine Schwester nicht auf den Mund gefallen war. Aber ein Unruhestifterin? Das klang ja fast so, als hätte sie den Weasley-Zwillingen Konkurrenz gemacht. „Weißt du, wie Morgans ZAG ausgefallen sind? Sie ist gestern vor Ginny nicht so recht mit der Sprache rausgerückt und hat sich dafür die ganze Zeit mit Regulus gekabbelt."
„Wenn du wissen willst, ob deine Schwester eine gute Schülerin ist: Ja, das ist sie. In schulischer Hinsicht schlägt Morgan allerdings eher nach deiner Mutter als nach James, wohingegen du charakterlich viel mehr von Lily hast", meinte Willow. „Alles andere solltest du sie besser selbst fragen. Morgan ist etwas empfindlich, was dieses Thema angeht."
Harry nickte bedächtig und dachte einen Moment über die Worte seiner Großmutter nach. „Ich höre seit Jahren, dass ich zwar aussehe wie Dad, aber außer den Augen viel von meiner Mutter geerbt habe. Selbst du sagst das..." Er zögerte einen Moment, doch Willow verstand ihn auch so.
„Du willst wissen, was damit gemeint ist? Nun, du hast dir die Erinnerungen im Denkarium angesehen, aber ich glaube, du weißt bisher wenig über deinen Vater in seiner Kindheit." Sie zögerte einen kurzen Moment. „Und vor Allem weißt du im Moment nichts über die Familien, aus denen Primus und ich stammen. Das werden wir bei Gelegenheit ändern. Nur so viel: Potentia und ich wurden sehr streng erzogen mit sehr wenig Freiraum für uns selbst. Als ich schwanger wurde, habe ich mir geschworen, dass mein Kind niemals die Kühle und Härte, die ich zu Hause ertragen musste, zu spüren bekommen würde. Ich fürchte, das hat dazu geführt, dass ich manches Mal die Zügel vielleicht etwas zu locker gelassen habe. Primus' Eltern haben ihren einzigen Enkel auf jeden Fall nach Strich und Faden verwöhnt. James wusste immer, dass er abgöttisch geliebt wird, aber auch, dass er mit vielen Privilegien geboren wurde. Eines davon war, dass er, wenn er nicht wollte, eigentlich niemals würde arbeiten müssen. Natürlich ist er durch die damals klassische Reinblut-Erziehung gegangen, wozu auch Benimmunterricht und Tanzstunden gehören. Dazu kam noch, dass praktisch überall darüber gesprochen wurde, was man von ihm alles erwarten könne, als Sohn von Willow und Primus Potter. Als wir seinen Zauberstab bei Ollivander gekauft haben, hat dieser sein außerordentliches Talent angesprochen und das alles ist James leider zu Kopf gestiegen. So kam er als Elfjähriger nach Hogwarts: Ein reicher, arroganter Bengel aus DER Gryffindor-Familie, mit mehr Talent gesegnet als für ihn gut war, allerdings mit der tiefen Überzeugung im Herzen, dass die Abstammung eines Zauberers oder einer Hexe vollkommen unwichtig ist und dass sein Name und Reichtum eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft beinhaltet." Willow sprach vollkommen ruhig ohne jeglichen vorwurfsvollen Unterton in ihrer Stimme, doch Harry konnte deutlich spüren, dass sie sich selbst jede Menge Vorwürfe dafür machte. „Ehrlicherweise habe ich gedacht, er würde innerhalb von einer Woche riesige Schwierigkeiten bekommen. Stattdessen vertiefte er seine Freundschaft zu Remus Lupin, einem Außenseiter und freundete sich noch am ersten Tag mit Sirius an. Du kannst dir nicht vorstellen, wie überrascht wir waren, als wir Albus' Brief bekamen, dass James und Sirius ein Herz und eine Seele wären." Ein Lächeln erschien auf ihren Gesicht. „Die Arroganz deines Vaters ist geblieben. Viele Jahre lang. Vielleicht hat gerade seine Freundschaft mit Sirius dazu beigetragen, die beiden schienen sich auf jeden Fall gesucht und gefunden zu haben. Rückblickend betrachtet war bei den beiden die Arroganz reiner Selbstschutz. Bei James aus Angst zu Versagen und bei Sirius wegen seiner Familie. Was uns zu deiner Mutter und deiner Frage bringt. Ich kann dir natürlich nicht aus eigener Erfahrung sagen, wie Lily als Kind war, schließlich habe ich sie erst kennengelernt, als sie bereits mit James zusammen war, aber natürlich habe ich mit der einen oder anderen Person gesprochen, die Lily schon sehr lange kennen. Jeder einzelne von ihnen hat mir Lily als charmant, liebenswürdig, überaus wissbegierig und sehr wahrheitsliebend beschrieben. Sie hasst Ungerechtigkeit, Vorurteile und schlechte Behandlung besonders von Schwächeren, das genau sind auch die Momente, in denen ihr Temperament mit ihr durchgeht. Missstände prangert sie mit ihrer scharfen Zunge von jeher offen an und setzt alles daran, sie zu ändern. Sie hat immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte anderer, besonders natürlich für die ihrer engsten Freunde. Ein Satz ist mir besonders im Gedächtnis haften geblieben: Lily hat die Gabe, die Schönheit in den Menschen zu sehen, auch wenn, oder besonders gerade dann, diese es selbst nicht mehr sehen konnten." Willow sah ihren Enkel an und ließ ihre Worte einen Moment wirken. „Niemand, der deine Eltern in ihrer Kindheit streiten sehen hat, hätte es wohl für möglich gehalten, dass die Beiden sich perfekt ergänzen würden. Wo Lilys Temperament mit ihr durchzugehen droht, hält James' ruhige Art sie auf dem Boden. Seine Arroganz war von dem Tag an wie weggewischt, als Lily einen festen Platz in seinem Leben eingenommen hat. Sie teilen ihre Grundwerte und ihre tiefsten Überzeugungen und sind doch unterschiedlich genug, um sich immer wieder herauszufordern und zu neuen Leistungen anzuspornen." Ein Lächeln trat auf ihr Gesicht. „Manchmal erinnern mich die beiden sehr an Primus und mich früher..."
Harry beobachtete sie so geduldig wie möglich, war sich aber immer noch nicht sicher, worauf seine Großmutter hinauswollte.
„Wenn du dich selbst beschreiben müsstest, Harry, welche Worte würdest du wählen?", fragte sie ihn nun zu seiner vollkommenen Verblüffung und er starrte sie ratlos an.
„Ich..." Sekundenlang fiel ihm nichts ein. Wie sollte er sich beschreiben? Er hatte nicht die geringste Ahnung. „Hilfsbereit", schoss es schließlich aus ihm heraus.
Willow nickte. „Gut", lobte sie. „Weiter."
„Zuverlässig", fiel ihm nach kurzem Nachdenken ein. „Mir ist der Charakter von Menschen wichtiger als Äußerlichkeiten, aber ich habe ein ziemlich hitziges Gemüt. Mehr fällt mir nicht ein."
Willow lächelte. „Wie wäre es mit tapfer? Ausdauernd? Talentiert? Bescheiden? Selbstlos?"
Harry zuckte bei ihren Worten zusammen. Keines davon hätte er benutzt, um sich selbst zu beschreiben. Seiner Großmutter entging diese Regung nicht.
„Ich weiß, das hörst du nicht gerne, Harry, aber tatsächlich bist du all das. Und natürlich hast du genau wie jeder andere Mensch deine schlechten Seiten. Du hast in der Schule über die Stränge geschlagen und deine Grenzen gesucht, genau wie dein Vater, das ist kein Geheimnis. Aber erinnert dich die Beschreibung von dir nicht an irgendwen?"
Mittlerweile war sogar bei Harry der Sickel gefallen.
„An meine Mutter."
„Ganz genau", nickte Willow zustimmend. „Du hast so viel mehr von Lily geerbt als nur ihre Augen. Ihr überschäumendes Temperament, ihren ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, ihre Selbstlosigkeit und auch ihre Bescheidenheit."

Als Harry das Lions High Stunden später verließ, um sich zum Haus der Blacks zu begeben, schwirrten tausende Gedanken in seinem Kopf herum. Willow hatte ihm unzählige Informationen mit auf den Weg gegeben, aber vor Allem hatte sie ihm zum ersten Mal die Augen über ihn selbst geöffnet und er würde darüber noch lange nachdenken müssen. Nun aber stand ihm etwas viel schwierigeres bevor: Er musste mit Sirius sprechen. Mit einem kleinen Seufzer disapparierte er und tauchte nur Sekunden später ein paar Orte entfernt von Godric's Hollow an der Küste Cornwalls wieder auf.
Kurz stockte ihm der Atem, als er das Anwesen erblickte, das Sirius und Dorcas kurz vor ihrer Hochzeit erworben hatten. Ein Haus aus grauen Steinen thronte einsam und fast königlich auf einem Felsen über dem Meer. Der nächste Ort war weit genug entfernt, um Zauberern ihre Privatsphäre zu geben und das riesige Grundstück tat sein übriges. Doch obwohl sich keineswegs verleugnen ließ, dass die Besitzer des Hauses eine Stange Muggelgeld für ihren Besitz hatten hinblättern müssen, wirkte das Haus überhaupt nicht versnobt oder protzig sondern einladend. Das perfekte Haus für Dorcas und Sirius Black, stellte Harry fest, während er an die Tür klopfte.

James Potter und das Erbe GryffindorsOn viuen les histories. Descobreix ara