♡147. Von anderen Zauberstäben und Hogsmeade Wochenende

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Unentschlossen blickte Harry zu dem windschiefen Haus vor sich. Er wusste nicht, warum er geflüchtet war und was ihn hierher getrieben hatte, aber es kam ihm auch komisch vor, einfach so an die Tür zu klopfen. Nicht einmal in der Vergangenheit, an die er sich erinnern konnte, hätte er das gemacht. Und heute wusste er nicht einmal, in welchem Verhältnis er genau zu den Weasleys stand...

„Harry?", erklang eine Stimme vom Haus. Die Küchentür hatte sich geöffnet und Mrs Weasley steckte ihren roten Haarschopf heraus. „Ist alles in Ordnung? Warum stehst du da draußen und kommst nicht rein?"
Dankbar eilte Harry auf das Haus zu und trat in die Küche der Weasleys, die scheinbar gerade das Abendessen beendet hatten, denn das Geschirr wusch sich in der Spüle selbst ab und Mr Weasley saß noch mit Fred und George am Tisch. Sie lächelten ihn alle freundlich an, als er eintrat.
„Sowohl Ron als auch Ginny sind in ihrem Zimmer, je nachdem wen du suchst, Harry", sagte Fred. Harry glaubte zumindest, dass es Fred war. Eigentlich hatte er darauf gehofft, dass vielleicht auch Hermine im Fuchsbau war, aber leider schien dem nicht so.
„Danke", antworte Harry und ging leise die Treppe nach oben. Vorsichtig klopfte er an Rons Tür, damit Ginny ihn nicht hörte. In diesem Moment schien es ihm einfacher, mit Ron zu sprechen als mit ihr. Schließlich wusste Ginny bisher nicht einmal, dass er keinerlei Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit hatte, zumindest nicht an die gleiche Vergangenheit.

In Rons Zimmer sah es aus wie immer, jedenfalls auf den ersten Blick.
„Harry!" Überrascht sprang Ron vom Bett, wo er gerade gesessen und in einer Quidditch-Zeitschrift geblättert hatte. „Alles in Ordnung mit dir?"
Harry schüttelte den Kopf und hielt Ron seinen Zauberstab unter die Nase.
„Hatte ich diesen Zauberstab schon immer?"
Ron musterte seinen besten Freund einen Augenblick.
„In der Vergangenheit, in der deine Eltern leben, ja" antworte Ron schließlich.
„Du kannst dich also auch an mehr erinnern."
Wieder ließ sich der Rothaarige einen Moment Zeit mit seiner Antwort.
„Ja, das kann ich. Wie Hermine habe ich niemals mit jemandem darüber gesprochen. Es ist seltsam, ein wenig, als hätte man zwei Leben gehabt."
„In gewisser Weise ist das auch vielleicht so", meinte Harry nachdenklich und ließ sich auf Rons Bett fallen. „Ich... ich habe gerade meine Familie einfach so beim Abendessen sitzen lassen und bin davon gerannt. Alles ist anders. Natürlich ist es unbeschreiblich toll, dass meine Familie am Leben ist und ich will das auf keinen Fall eintauschen. Aber ich weiß nicht, wie ich mit all dem umgehen soll. Nichts ist so wie in meiner Erinnerung. Nicht einmal mein Zauberstab." Geistesabwesend musterte er seinen Zauberstab, der sich eigentlich ziemlich gut in seiner Hand anfühlte, wenn er wirklich ehrlich zu sich war. Ron sagte nichts. Nicht weil er nichts zu sagen hatte, sondern weil er wusste, dass sein Freund in diesem Moment einfach nur jemanden brauchte, der ihm zuhörte.
„Bin ich anders?", fragte Harry in die Stille hinein.
„Was meinst du mit anders?"
„Bin ich wie Malfoy? Arrogant? Selbstherrlich? Nur weil ich in einer reichen und berühmten Familie aufgewachsen bin?" Nun hatte er es ausgesprochen. Das, was ihm wirklich auf der Seele gelegen hatte. Doch Ron schüttelte sofort den Kopf.
„Nein, du bist nicht wie Malfoy, zumindest nicht, wenn du sein Verhalten in der, ich nenne es mal 'anderen Realität' meinst. Aber natürlich bist du anders. Aber nicht im negativen Sinne. Du bist selbstbewusster, glücklicher, kannst voller Vertrauen in eine Zukunft schauen. Du wusstest immer genau, was du wolltest. Es war niemals die Angst vor Voldemort da und du bist bei liebevollen Eltern in deiner Welt aufgewachsen, Harry. Wie kannst du da nicht anders sein?" Er ließ Harry einen Moment Zeit, die Worte zu verinnerlichen. „Glaubst du wirklich, ausgerechnet deine Mutter, von der bekannt ist, wie sehr sie sich über die Arroganz deines Vaters geärgert hat, hätte dieses Verhalten bei ihrem Sohn toleriert? Egal, wo wir hinkommen, Harry, es heißt immer, du hättest vieles von beiden deiner Eltern in dir."
Harry nickte bedächtig. Natürlich hatte sein bester Freund Recht. Er hatte seine Eltern in den letzten beiden Tagen erlebt, hatte Morgan erlebt. Sie war genauso aufgewachsen wie er selbst. Lily und James Potter hätten es niemals geduldet, wenn ihre Kinder sich auf den Reichtum und die Erfolge ihrer Vorfahren etwas eingebildet hätten.
„Danke, Ron", sagte er und erhob sich.

Bevor Harry den Raum verlassen konnte, klopfte es leise an der Tür und er zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass es Ginny war, die dort vor der Tür stand. Er atmete kurz durch und nickte Ron dann kurz zu. Den Fuchsbau heimlich zu verlassen, würde einen Streit verursachen, zu dem ihm einfach die Nerven fehlten.
Auf Rons „Herein" stand Ginny im Raum. Sie lächelte und Harry nahm sich einen Moment Zeit, sie zu betrachten. Gestern war er viel zu verstört gewesen, um wirklich zu realisieren, dass er mit Ginny zusammen war.
„Ich habe deine Stimme gehört", sagt sie leise und Ron flüchtete an ihr vorbei aus seinem eigenen Zimmer. Gestern morgen hatte er sie zum letzten Mal gesehen – in seiner Erinnerung zumindest. Er hatte nach dem Frühstück mit ihr sprechen wollen. Das war bevor der Brief seiner Eltern ihn erreicht und alles auf den Kopf gestellt hatte. Und bevor Ginny später im Haus seiner Eltern plötzlich im Quidditch-Trikot vor ihm gestanden hatte...
„Ginny", brachte er endlich mit heiserer Stimme hervor und überbrückte die Distanz zwischen ihnen. „Du hast mir gefehlt", flüsterte er rau, bevor er sie sanft küsste.

„Gefehlt?", fragte Ginny leicht atemlos, als sie sich schließlich voneinander lösten. „Du hast mir auch gefehlt, Harry, auch wenn wir uns gestern erst gesehen haben. Ich habe keine Ahnung, wie das werden soll, wenn ich im September nach Hogwarts zurückkehre."
„Ich weiß es nicht", gab Harry ehrlich zu und hier in diesem Moment in Ginnys Nähe schien es das drängendste Problem zu sein, das er hatte. Er durchforstete sein Gehirn nach einer Idee, irgendetwas sinnvollem, aber da er nicht den leisesten Hauch einer Erinnerung an sein Abschlussjahr in Hogwarts hatte, wollte ihm nichts einfallen.
„Versprich mir, dass du mich jedes Wochenende, wenn du dienstfrei hast, besuchen kommst." Sie lächelte ihn strahlend an. Und dann kam Harry doch ein Gedanke. Ob es wohl immer noch so war wie zu Zeiten seiner Eltern und die Siebtklässler jedes Wochenende nach Hogsmeade durften? Er würde es herausfinden, aber ohne Ginny einzuweihen. Zumindest vorerst musste sie nicht erfahren, dass er sich an nichts erinnern konnte.
„Versprochen", sagte Harry und küsste sie erneut.
„Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du bald im Ministerium arbeitest und Auror wirst. Das ist so erwachsen", plapperte Ginny schließlich weiter und es tat Harry unsagbar gut, so zu sprechen, als sei nichts gewesen.
„Das stimmt allerdings", grinste er. „Ich muss jetzt leider los. Hast du morgen schon was vor?"
Ginny schüttelte den Kopf.
„Gut, dann lass uns was unternehmen. Ich melde mich." Er zog sie ein letztes Mal in seine Arme und verschwand dann mit deutlich besserer Laune aus dem Fuchsbau.

Er apparierte in das gleiche Waldstück in Godric's Hollow von welchem aus er den Ort auch verlassen hatte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass der Zauberstab beim Apparieren keinerlei Probleme gemacht hatte und ihm auch im Gegensatz zu sonst kein bisschen unwohl zu Mute gewesen war....
Harry besah sich den Stab in seiner Hand genauer. Niemals in seinem ganzen Leben würde er die Worte von Ollivander vergessen, damals als er mit Hagrid seinen Zauberstab dort ausgesucht hatte.
„Ich erinnere mich an jeden Zauberstab, den ich verkauft habe, Mr. Potter. An jeden einzelnen. Es trifft sich nun, dass der Phönix, dessen Schwanzfeder in Ihrem Zauberstab steckt, noch eine andere Feder besaß – nur eine noch. Es ist schon sehr seltsam, dass Sie für diesen Zauberstab bestimmt sind, während sein Bruder – nun ja, sein Bruder Ihnen diese Narbe beigebracht hat."
Harry erstarrte einen Augenblick, dann fuhr seine Hand zu seiner Stirn. Die Narbe....
Sie war weg...
Natürlich! Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen und er fragte sich, wie er hatte so dumm sein können. Voldemort hatte niemals den Todesfluch auf ihn gerichtet und damit hatte es auch keine Verbindung zwischen ihm und dem Dunklen Lord gegeben. Daher rührte auch der andere Zauberstab. Er war nicht mehr für den Phönixstab bestimmt. Harry wurde leicht ums Herz und beschloss, dem Zauberstab in seiner Hand eine Chance zu geben, schließlich schien diese Gegenwart ja auch viel besser zu sein als seine alte. Warum sollte dann der Zauberstab nicht auch viel besser sein? Grinsend lief er zurück zu seinem Elternhaus.

James Potter und das Erbe GryffindorsWhere stories live. Discover now