♡ 70. Verschwinde Potter

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Ein neuer Morgen dämmerte und James hatte sich nicht eine Sekunde vom Bett seiner Frau entfernt. Die Selbstvorwürfe, schuld an ihrer Situation zu sein, blieben. Zumindest hatte er das Gefühl, dass ihre Hände mittlerweile etwas wärmer wurden. Doch Lily schlief und schlief und schlief.
Nach zwei Tagen versuchte Willow, ihren Sohn mit Überzeugungskraft von Lilys Bett wegzubekommen, damit er wenigstens einmal ein paar Stunden vernünftig schlief. Doch James weigerte sich. Er schlief auf dem Stuhl an Lilys Bett, er aß dort und verließ ihn nur, um zu duschen oder zur Toilette zu gehen. Willow seufzte und brachte ihm immer wieder frische Kleidung und Essen. Eine Woche später glich Lilys Zimmer einem Blumenmeer, doch sie hatte noch kein einziges Mal die Augen geöffnet. James wich nicht von ihrer Seite, auch wenn die Heiler ihm vorsichtig versucht hatten beizubringen, dass Lily vielleicht wochenlang nicht aufwachen würde oder gar dauerhafte Schäden erlitten hatte. James weigerte sich, dies zu glauben. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst: Dunkle Augenringe, glanzloser stumpfer Blick und jegliche Freude am Leben waren verschwunden. Während er Stunde um Stunde an Lilys Bett wachte, hatte er, abgesehen von den vielen Besuchern, zu viel Zeit mit sich selbst. Es gab Momente, in denen er glaubte, alles verloren zu haben, was ihm wichtig war. Seinen besten Freund und die Frau, die er immer geliebt hatte, denn Sirius hatte immer noch kein Wort mit ihm gesprochen. Mit diesen Gedanken sackte er in der achten Nacht in einen wirren Schlaf.
„Potter, was bei Merlin suchst du hier?" weckte ihn eine schrille Stimme unsanft. Verwirrt blinzelte er gegen das einfallende Sonnenlicht.
„Lily! Du bist wach! Endlich." Er hätte vor Erleichterung weinen können.
„Ja, ich bin wach, sonst könnte ich ja nicht mit dir reden." Auf Lilys Stirn bildeten sich kleine Wutfalten und für eine Frau, die eine Woche in einer Art Koma gelegen hatte, klang sie sehr sauer und stark. „Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Was willst du hier?"
„Was ich hier will? Wo soll ich sonst sein?"
„Überall, nur nicht bei mir, Potter. Verschwinde." Die Wutfalten vertieften sich und James verstand die Welt nicht mehr.
„Lily, ich weiß, dass du sauer auf mich bist, weil ich einfach weggegangen bin. Ich kann dir nicht sagen, wie unglaublich leid mir dies tut."
„Ich habe nicht dir geringste Ahnung, wovon du sprichst, Potter. Bist du beim letzten Quidditchspiel vom Besen gefallen und hast dir den Kopf angeschlagen? Ich wäre bestimmt nicht sauer auf dich, wenn du weggehst, sondern einfach nur unendlich erleichtert, endlich meine Ruhe zu haben. Egal wie oft du mich noch fragst. Ich werde nicht mit dir ausgehen und du solltest dir dringend einen neuen Zeitvertreib suchen." Lily schüttelte den Kopf über seine Unverschämtheit. Konnte er nicht einfach damit aufhören, sie überall hin zu verfolgen. Sogar... Ja, wohin eigentlich? Wo war sie überhaupt? Sie dachte angestrengt nach und versuchte, sich zu erinnern. Aber da war nichts.
„Aber wenn du schon einmal hier bist, kannst du mir verraten, wo ich hier bin und warum", fauchte sie. James starrte sie ungläubig an. Was war nur los mit ihr. Es schien fast so, als könne sie sich an nichts erinnern.
„Du bist in St.-Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen. Du warst lange ohnmächtig und wir haben uns Sorgen gemacht." Er erhob sich und widerstand der Versuchung, ihr über das Gesicht zu streichen. In diesem Zustand würde ihr dies sicherlich nicht gefallen. „Ich gehe eben einen Heiler holen." Fast fluchtartig verließ er den Raum, dankbar darüber, dass sie aufgewacht war aber auch zutiefst verunsichert, weil sie sich scheinbar nicht an die letzten Monate erinnern konnte.

Nachdem er aus der Tür war, atmete Lily erleichtert aus. Warum hatte ausgerechnet Potter an ihrem Bett gesessen? Seine Nähe hatte sie beunruhigt. Mehr als sie bereit war zuzugeben. Dieser kindische Idiot würde wohl erst damit aufhören, sie zu nerven, wenn sie ihm nach dem Schulabschluss aus dem Weg gehen konnte. Und vielleicht sogar dann noch nicht. Lily entfuhr ein Seufzer, als sie an die Schule dachte. Wie viel Unterricht mochte sie verpasst haben? Ihre Gedanken kehrten zurück zu Potter. Einen Moment konnte sie nicht fassen, dass er nun auch schon ihren Geist beherrschte, aber sie musste zugeben, etwas war anders gewesen. Als sie aufgewacht war, hatte sie gespürt, dass jemand ihre Hand hielt. Es hatte sich unglaublich gut angefühlt, so als würde die Wärme dieser Hand auf sie selbst übergehen. Doch was ihr wirklich Sorgen machte, war, dass es sich sehr vertraut angefühlt hatte. Dann in der Erwartung, ihre Mutter zu sehen, hatte sie die Augen geöffnet und in das schlafende Gesicht von James Potter gesehen. Obwohl er schlief, hatte sie sehen können, dass es ihm nicht gut ging. Er wirkte grau und um Jahre gealtert, so als würde eine schwere Last auf seinen Schultern liegen. Doch darüber hatte sie nicht weiter nachdenken wollen, sondern ihn lieber unsanft geweckt.

Die Tür öffnete sich und ein Heiler kam herein, gefolgt von... Natürlich, James Potter! Warum konnte er sie nicht einmal im Krankenhaus alleine lassen? Und wo waren überhaupt ihre Eltern? Warum ließen sie es zu, dass dieser arrogante Kerl an ihrem Bett saß?
„Potter, wie oft denn noch? Verschwinde! Ich will dich nicht sehen. Geh und spiel mit Sirius oder nerv zumindest jemand anderen."
Doch Potter reagierte nicht, sondern trat hinter dem Heiler näher an ihr Bett. Der Heiler griff nach ihrem Handgelenk und es wirkte fast so, als würde er ihren Plusschlag messen.
„Sie sollten sich nicht so aufregen, Mrs. Potter...." Weiter kam er nicht, denn Lily kreischte laut auf.
„Mrs. Potter? Sind Sie vollkommen verrückt? Ich heiße Lily Evans und bin bestimmt nicht mit diesem Deppen verheiratet." Der Heiler nahm ihren Wutausbruch vollkommen gelassen hin. Lily riskierte einen Blick auf Potter und erstarrte einen Moment. Glitzerten da Tränen in seinen Augen?
„Ihre Vitalfunktionen sind ausgezeichnet, Mrs. Potter." Sie zuckte zusammen, als der Heiler sie erneut so ansprach. Was war hier nur los? „Sie haben uns viele Sorgen bereitet in der letzten Woche. Wir sind froh, dass Sie wieder unter uns weilen. Ich lasse Ihnen einen leichten Beruhigungstrank bringen, dann geht es Ihnen auch gleich etwas besser." Er wandte sich an Potter, der wie erstarrt hinter ihm stand.
„Es sieht leider so aus, als hätte sie eine Amnesie, so nennen die Muggel dies. Es ist ein Gedächtnisverlust, der nicht von einem Zauber hervorgerufen wird. Amnesie wird meist durch einen schweren Schock hervorgerufen. Sie kann dauerhaft sein, aber genauso gut können ihre Erinnerungen in kürzester Zeit wiederkehren." Der Heiler hatte James beruhigend eine Hand auf die Schulter gelegt, doch James hatte nur Augen für Lily. Sie hatte die Augen weit aufgerissen. Ihr Gesicht war wie erstarrt und kreidebleich. James hätte sie gerne in die Arme genommen und sie getröstet.
Genau in diesem Moment klopfte es an der Tür und Sirius betrat das Krankenzimmer. Lilys Erstarrung löste sich.
„Womit habe ich das verdient? Nun auch noch Black. Potter, nimm dein Anhängsel und verschwindet! Sofort!" Sie schrie und weinte gleichzeitig. Der Heiler sah sie kurz entsetzt an und eilte dann aus dem Raum, wahrscheinlich um einen Beruhigungstrank zu holen.
„Raus!!!" brüllte Lily erneut, nachdem weder James noch Sirius sich gerührt hatten. James griff nach dem Arm seines besten Freundes und zog ihn aus dem Zimmer. Er schloss die Tür hinter sich und glitt auf einen der Stühle, die im langen Flur des St. Mungo standen. Sirius fackelte nicht lange und umarmte seinen besten Freund. So sauer er auf ihn gewesen war, es war vergessen. James war zu Lily zurückgekehrt und er brauchte jetzt seinen besten Freund.

James Potter und das Erbe GryffindorsWhere stories live. Discover now