♡163. Sirius' neues Leben

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Es war Dorcas, welche Harry strahlend die Eingangstür öffnete.
„Hallo Harry, komm rein", forderte sie ihn auf. „Regulus hat angekündigt, dass du heute vorbeikommen wolltest." Sie trat zur Seite und ging dann voran ins helle Hausinnere. Schnell schloss Harry die Haustür und folgte Dorcas in die Wohnküche, einem freundlichen Raum mit Holzmöbeln und einem Edelstahlherd, auf dem ein großer Topf vor sich hin blubberte und einen wunderbaren Geruch verströmte.
„Sirius kommt jede Minute. Möchtest du etwas essen oder trinken?"
„Hm, nein, danke", antworte Harry leicht verunsichert und war froh, als er Schritte auf der Treppe hörte und Sirius den Raum betrat. Ein Lächeln erhellte seine Gesichtszüge, als er Harry entdeckte.
„Habe ich doch richtig gehört. Harry, mein Lieber", sagte er und zog ihn kurzerhand fest in die Arme, so dass Harry fast die Luft weg blieb. „Seit wann sagst du vorher Bescheid, dass du uns besuchen möchtest? Sonst kommst du einfach vorbei." Er musterte seinen Patensohn eindringlich. „Was sagst du dazu, wenn wir uns zwei schöne kalte Butterbier schnappen und uns draußen an den Strand setzen?", schlug er vor. Harry nickte und kurz darauf saßen sie im warmen Sand und betrachteten den Sonnenuntergang. Sirius drängte ihn nicht, sondern wartete einfach schweigend, bis Harry schließlich so weit war zu sprechen.

„Es tut mir leid, Sirius", brach es schließlich aus ihm heraus. „Ich wollte nicht, dass du... In dieser Nacht im Ministerium... Ich dachte wirklich, sie hätten dich bereits in ihrer Gewalt. Ich hätte mehr Geduld bei der Legilimentik haben müssen. Mich besser gegen Voldemort verschließen müssen."
Keine einzige Sekunde kam ihm in den Sinn, dass Sirius seine Worte überhaupt nicht verstehen würde, weil er gar nicht realisierte, was er von sich gab.
„Nichts davon muss dir leid tun, Harry. Du warst fast noch ein Kind, viel zu jung zum Kämpfen. Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, als Molly es mir vorhielt, habe ich doch oft James in dir gesehen." Erst bei Sirius' Antwort verstand Harry, dass er selbst gerade mit der Tür ins Haus gefallen war.
„Du erinnerst dich?", fragte er fassungslos und sah Sirius zum ersten Mal in die grauen Augen. Jene Augen, in denen in seiner Vergangenheit kaum Freude gelegen hatte, sondern die meistens stumpf in die Welt gesehen hatten. Nun glänzten sie, als würde Sirius mühsam die Tränen zurückhalten, aber trotzdem konnte Harry Lebensfreude entdecken.
„Ja, ich erinnere mich, Harry. Ich erinnere mich leider an die ganzen Jahre in Askaban und auch daran, wie es war zu wissen, dass Lily und James nicht mehr am Leben waren. Aber wenn ich mir mein heutiges Leben ansehe, weiß ich, dass jenes, das ich in den Monaten nach meiner Flucht hatte, nur ein Schatten war. James war mein Bruder, ein Teil meiner Seele. Ich hätte niemals ein erfülltes Leben ohne ihn führen können, genauso wenig wie ich es ohne Dorcas könnte. Voldemort hat mir so viel genommen, dass ich manchmal nicht wusste, wie ich weitermachen soll." Sirius starrte hinaus auf die Wellen und während die Sonne im Meer unterging, hingen die beiden ihren traurigen Erinnerungen nach. „Es gab damals nur einen einzigen Grund für mich zu überleben, Harry, und das warst du. Ich hatte James und Lily versprochen, dich zu schützen, notfalls mit meinem Leben, und du warst alles, was mir von ihnen geblieben war. Es ist nicht deine Schuld, dass es im Ministerium zu dem verhängnisvollen Angriff gekommen ist. Voldemort hat viele deutlich erfahrenere Zauberer als dich hinters Licht geführt. Er kannte deine größte Schwäche, die zugleich deine größte Stärke ist."
„Liebe", sagte Harry leise. „Du klingst wie Dumbledore."
„Wirklich?" Ein leichtes Lächeln trat auf Sirius' Gesichtszüge. „Ich werde wohl alt und senil."
Harry grinste. Das klang sehr nach dem Sirius, wie er ihn kannte.
„Wenn du mich so direkt auf diese Erinnerungen ansprichst, Harry, musst du mir allerdings auch verraten, was es damit auf sich hat."
„Lass mich raten, du hast mit niemanden darüber gesprochen?"
„Nein, natürlich nicht, wahrscheinlich hätte man mich für verrückt erklärt und nach St. Mungos gebracht."
„Es gibt noch mehr Menschen mit diesen Erinnerungen, Sirius", sagte Harry kopfschüttelnd. „Keiner hat mit irgendwem darüber gesprochen. Dumbledore, Ron, Hermine, Ginny, du und ich. Wir alle können uns an diese Vergangenheit erinnern."
Sirius sah seinen Patensohn verwirrt an.
„Aber warum, Harry, warum? Was ist die Wahrheit? Was genau ist passiert?"
„Erinnerst du dich an die Visionen meiner Mutter während des Krieges?"
Sirius runzelte nachdenklich die Stirn.
„Ja....", sagte er gedehnt. „Allerdings erinnere ich mich nur an eine Vergangenheit, in der deine Mutter diese Visionen hatte."
Harry erläuterte Sirius die Zusammenhänge zwischen den Visionen, dem Denkarium und der geänderten Vergangenheit.
„Bei Merlin, Harry. Das ist schier unfassbar. In den Verlauf der Zeit einzugreifen ist selbst für unsere Welt äußerst ungewöhnlich." Sirius schüttelte kurz den Kopf. Es war deutlich, dass es auch ihm nicht leicht fiel, diese neuen Informationen zu verarbeiten, doch dann hatte er sich schnell wieder gefasst. „Wie konntest du auch nur eine Sekunde annehmen, dass ich sauer auf dich sein würde, wegen dem, was im Ministerium geschehen ist?"
„Du bist durch meine Schuld gestorben", sagte Harry leise.
„Ich hatte eigentlich angenommen, dass du mich gut genug kennen würdest, um zu wissen, dass ich dir niemals einen Vorwurf daraus machen würde. Vielleicht war ich dir aber in den letzten achtzehn Jahren nicht so ein guter Patenonkel, wie ich dachte, wenn du so wenig Vertrauen zu mir hast."
„Ich kann mich nicht erinnern, Sirius. Ich habe keinerlei Erinnerung an diese geänderte Zeit", stieß Harry hervor, sprang auf und lief ein paar Schritte den Strand entlang. Sirius' Worte hatten ihn tief getroffen. Mangelndes Vertrauen! Ein harter Vorwurf, aber vielleicht ein gerechtfertigter. Er hatte sich sein ganzes Leben lang mehr auf sich selbst verlassen als auf andere, hatte selbst Ron und Hermine in den entscheidenden Momenten von sich gestoßen. Sicherlich ein Relikt seiner lieblosen Kindheit im Haus der Dursleys...

Abrupt wandte er sich um und nahm wieder nehmen Sirius im Sand Platz.
„Du hast so viel mehr von James, als alle dir glauben machen wollen", meinte dieser sanft und ohne jeden Vorwurf in seiner Stimme. „James ist als Junge auch immer erst einmal trotzig weggelaufen, wenn es unbequem wurde. Lass dir bloß nicht einreden, du seist genau wie Lily. Ich erkenne in dir so viel von deinem Vater." Er tippte Harry mit dem Zeigefinger auf die Stirn. „Keine Erinnerung also? Wie ist denn die einhellige Meinung unserer Gelehrten dazu? Ich bin mir nämlich sicher, dass sie eine Theorie haben und ich mein kleines, einfältiges Gehirn nicht auch noch zermartern muss, oder?"
Harry grinste. Sirius schaffte es immer wieder, mit seinem Humor den Situationen ihre Spitze zu nehmen.
„Ihre Theorie ist, dass ich keine Erinnerung habe, weil ich – also dieser Körper hier – niemals in der Vergangenheit gelebt hat."
„Klingt einleuchtend. Und was gedenken sie dagegen zu tun?" Sirius blickte Harry mit schief gelegtem Kopf an.
„Im Moment brauen sie einen Zaubertrank. Trank der vergessenen Erinnerungen, heißt er wohl. Morgan hat ihn zusammen mit Willow entdeckt und bereitet ihn jetzt mit Mom zu. Allerdings haben sie keine Ahnung, ob er wirkt. So eine Situation gab es noch nie."
„Allerdings nicht", pflichte Sirius ihm bei, „aber wenn es jemand hinbekommt, dir deine Erinnerungen wiederzugeben, dann deine Mutter und Willow." Zuversicht schwang aus seiner Stimme mit. „Kann ich irgendetwas für dich tun?"

Wieder einmal überraschte Sirius damit, dass aus dem ungestümen Jungen aus dem kalten Elternhaus ein sensibler, einfühlsamer Mann geworden war.
„Mir die Welt erklären", sagte Harry spontan, schüttelte dann aber den Kopf. „Danke, Sirius, aber ich glaube, das wäre im Moment nicht gut. Mom und Dad scheinen eine genaue Vorstellung davon zu haben, was ich wann und wie erfahren soll und ich vertraue ihnen voll und ganz."
Sirius nickte.
„Wenn du mich brauchst, weißt du, wie du mich findest."
„Danke, Sirius."
Sirius lachte.
„Dafür nicht, Harry, dafür nicht. Du hast mir mein Leben wieder gegeben. Wenn hier jemand zu Dank verpflichtet ist, dann bin ich es."

James Potter und das Erbe GryffindorsOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz