Obscura

By 00elem00

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Fünf Elemente. Eine Schule. So heißt es zumindest. Was kaum einer weiß: Auf dieser Welt gibt es so viel mehr... More

Prolog - Einige Jahre zuvor ✅
Kapitel 1 - 16 Jahre später ✅
Kapitel 1.2 - 16 Jahre später ✅
Kapitel 2 - Der Angriff ✅
Kapitel 2.2 - Der Angriff ✅
Kapitel 3 - Der Brief und die Wahrheit? ✅
Kapitel 3.2 - Der Brief und die Wahrheit? ✅
Kapitel 4 - Neuanfänge ✅
Kapitel 4.2 - Neuanfänge ✅
Kapitel 5 - Eine grüne Ankunft ✅
Kapitel 6 - Außenseiterin und dunkle Überraschungen ✅
Kapitel 6.2 - Außenseiterin und dunkle Überraschungen ✅
Kapitel 7 - Das Element "Geist" ✅
Kapitel 7.2 - Das Element "Geist" ✅
Kapitel 8 - Von Jägern, Hass und Brüdern ✅
Kapitel 8.2 - Von Jägern, Hass und Brüdern ✅
Kapitel 9 - Elementtraining ✅
Kapitel 9.2 - Elementtraining ✅
Kapitel 10 - Schwarz wie die Nacht ✅
Kapitel 10.2 - Schwarz wie die Nacht ✅
Kapitel 12 - Danach ✅
Kapitel 13 - Abstand ✅
Kapitel 15 - Damon Firelights Geschichte ✅
Kapitel 16 - Die Beichte ✅
Kapitel 16.2 - Die Beichte ✅
Kapitel 17 - Mondnacht ✅
Kapitel 17.2 - Mondnacht ✅
Kapitel 18 - Ich hasse dich nicht ✅
Kapitel 18.2 - Ich hasse dich nicht ✅
Kapitel 19 - Schreie, Tod und Tränen ✅
Kapitel 19.2 - Schreie, Tod und Tränen ✅
Kapitel 22 - Familie ✅
Kapitel 22.2 - Familie ✅
Kapitel 23 - Vater und Kontrolle ✅
Kapitel 23.2 - Vater und Kontrolle ✅
Kapitel 24 - Als der Wald verstummte ✅
Kapitel 24.2 - Als der Wald verstummte
Kapitel 25 - Tagebuch eines Jägers
Kapitel 25.2 - Tagebuch eines Jägers
Kapitel 26 - Catch me if you can
Kapitel 26.2 - Catch me if you can
Kapitel 27 - Hass und Kälte
Kapitel 27.2 - Hass und Kälte
Kapitel 28 - Lune James
Kapitel 28.2 - Lune James
Kapitel 29 - Das Darkstone Internat
Kapitel 29.2 - Das Darkstone Internat
Kapitel 30 - Desdemona MacKenzie
Kapitel 30.2 - Desdemona MacKenzie
Kapitel 31 - Der Großkotz
Kapitel 31.2 - Der Großkotz
Kapitel 32 - Kräuter und wie man sie anwendet
Kapitel 32.2 - Kräuter und wie man sie anwendet
Kapitel 33 - Aufgeflogen?
Kapitel 33.2 - Aufgeflogen?
Kapitel 34 - Von Wut und Schuldgefühlen
Kapitel 34.2 - Von Wut und Schuldgefühlen
Kapitel 35 - Team Mi...-Lune
Kapitel 35.2 - Team Mi...-Lune
Kapitel 36 - Die Feinde unter uns
Kapitel 36.2 - Die Feinde unter uns
Kapitel 37 - Familiengeheimnisse und bevorstehende Bedrohung
Kapitel 37.2 - Familiengeheimnisse und bevorstehende Bedrohungen
Kapitel 38 - Ariadne Glacials Geschichte
Kapitel 38.2 - Ariadne Glacials Geschichte
Kapitel 39 - Die eisige Katze
Kapitel 39.2 - Die eisige Katze
Kapitel 40 - Der Plan
Kapitel 41 - Newcastle Airport
Kapitel 42 - Die Großstadtmetropole London
Kapitel 43 - Besuch bei den Glacials
Kapitel 44 - Verfolgungsjagd
Kapitel 45 - Das Glacial Trio
Kapitel 45.2 - Das Glacial Trio
Kapitel 46 - Zurück zum Darkstone Castle
Kapitel 46.2 - Zurück zum Darkstone Castle
Kapitel 47 - In den Kellergewölben
Kapitel 47.2 - In den Kellergewölben
Kapitel 48 - Die Katze im Turm
Kapitel 48.2 - Die Katze im Turm
Kapitel 49 - Richtig und Falsch
Kapitel 49.2 - Richtig und Falsch
Kapitel 50 - Zurück in die Kerker
Kapitel 50.2 - Zurück in die Kerker
Kapitel 51 - Wie Liam die Wahrheit erfuhr
Kapitel 51.2 - Wie Liam die Wahrheit erfuhr
Kapitel 52 - Zurück Zuhause
Kapitel 52.2 - Zurück Zuhause
Kapitel 53 - Wiedersehen
Kapitel 53.2 - Wiedersehen
Kapitel 54 - Nicht allein
Kapitel 54.2 - Nicht allein
Kapitel 55 - Ein neuer Schüler
Kapitel 55.2 - Ein neuer Schüler
Kapitel 56 - Nawin und Desdemona
Kapitel 56.2 - Nawin und Desdemona
Kapitel 57 - Zimmer 93
Kapitel 57.2 - Zimmer 93
Kapitel 58 - Kellererinnerungen
Kapitel 58.2 - Kellererinnerungen
Kapitel 59 - Nachtluft
Kapitel 59.2 - Nachtluft
Kapitel 60 - Desdemonas Rede
Kapitel 60.2 - Desdemonas Rede
Kapitel 61 - Ariadnes Plan
Kapitel 61.2 - Ariadnes Plan
Kapitel 62 - Mikas Plan
Kapitel 62.2 - Mikas Plan
Kapitel 63 - Mitternacht
Kapitel 63.2 - Mitternacht
Kapitel 64 - Sechs kleine Schafe
Kapitel 64.2 - Sechs kleine Schafe
Kapitel 65 - Der Kampf im Wald
Kapitel 65.2 - Der Kampf im Wald
Kapitel 66 - Das Verhör
Kapitel 66.2 - Das Verhör
Kapitel 66.3 - Das Verhör
Kapitel 67 - Damons Erinnerungen
Kapitel 67.2 - Damons Erinnerungen
Kapitel 68 - Auge in Auge
Kapitel 68.2 - Auge in Auge
Kapitel 69 - Der Plan
Kapitel 69.2 - Der Plan
Kapitel 70 - Vorbereitungen
Kapitel 70.2 - Vorbereitungen
Kapitel 71 - Mission: Saimon
Kapitel 71.2 - Mission: Saimon
Kapitel 71.3 - Mission: Saimon
Kapitel 71.4 - Mission: Saimon
Kapitel 72 - Das Haus der Klahans
Kapitel 72.2 - Das Haus der Klahans
Kapitel 73 - Von Jägern und Ghosts
Kapitel 73.2 - Von Jägern und Ghosts
Kapitel 74 - Saimon
Kapitel 74.2 - Saimon
Kapitel 74.3 - Saimon
Kapitel 75 - Verlangen nach Antworten
Kapitel 75.2 - Verlangen nach Antworten
Kapitel 76 - Beste Freunde
Kapitel 76.2 - Beste Freunde
Kapitel 77 - Die Ruhe vor dem Sturm
Kapitel 77.2 - Die Ruhe vor dem Sturm
Kapitel 77.3 - Die Ruhe vor dem Sturm
Kapitel 77.4 - Die Ruhe vor dem Sturm
Kapitel 78 - Der Sturm
Kapitel 78.2 - Der Sturm
Kapitel 78.3 - Der Sturm
Kapitel 78.4 - Der Sturm
Kapitel 78.5 - Der Sturm
Kapitel 78.6 - Der Sturm
Kapitel 79 - Die Leere danach und die endgültige Aufklärung
Kapitel 79.2 - Die Leere danach und die endgültige Aufklärung
Kapitel 79.3 - Die Leere danach und die endgültige Aufklärung
Kapitel 79.4 - Die Leere danach und die endgültige Aufklärung
Epilog
Danksagung und Schlusswort

Kapitel 11 - Schock ✅

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By 00elem00

Ich. Ich hatte das getan. Ich hatte es wirklich getan. All mein Mut, all meine Gleichgültigkeit und Kälte schienen mit einem Mal von mir abzufallen. Erst jetzt begann ich zu realisieren, was gerade passiert war. Die dunkle Wolke, von der ich bis gerade eben nicht gewusst hatte, dass sie da war, verschwand wieder und ließ meinen Verstand klar werden.

Nicht mehr ganz so kalt und zufrieden starrte ich auf die den toten Mann zu meinen Füßen. Auf die Leiche. Meine Augen nahmen wieder ihre normale Farbe an. Schwarz wich sturmgrau. Augenblicklich erfasste mich die Panik, ließ mich zittern, wechselte zwischen heiß und kalt. Schien mich mit ihren langen, dürren Fingern fast zu zerquetschen. Ich bekam kaum Luft. Was hatte ich getan?

Langsam setzte sich das Geschehen in meinem Kopf wie ein Puzzle zusammen. Ich hatte jemanden getötet! Ermordet! Ich war eine Mörderin! Fassungslos starrte ich auf die Leiche des Feuerelementars. Ich hatte ihn wirklich getötet. Und dafür hatte ich ihn noch nicht einmal berühren müssen. Verdammt, was hatte ich getan?

Eine weitere Hitzewelle überkam meinen Körper. Meine Beine zitterten unkontrolliert. Auf einmal fühlte ich mich ganz schwach. Als hätte ich kaum Kraft, mein eigenes Gewicht zu tragen. Das Atmen fiel mir unglaublich schwer. Hektisch versuchte ich, nach Luft zu schnappen. Was herauf kam, war allerdings ein unkontrollierbares Schluchzen.

Ich hatte ihn getötet. Umgebracht. Ermordet!

Meine Beine wollten mich nicht mehr halten. Kraftlos sank ich auf die Knie und zitterte unkontrolliert. Die Hitze wich der Kälte. Ich atmete ungleichmäßig, es klang mehr nach einem Schnappen. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Dann liefen mir unkontrollierte Wasserfälle die Wangen hinunter. Wie sollte ich das nur jemals rechtfertigen? So war ich doch eigentlich nicht? Was war nur aus mir geworden? Noch vor wenigen Tagen war ich bloß Mika gewesen. Die gewöhnliche Mika Keaton, Einzelgängerin und Mathe-Versagerin. War ich doch das Monster, das meine Mitschüler in mir sahen?

»Nein«, wisperte ich verzweifelt und meine Fingernägel krallten sich Halt suchend in meine langen schwarzen Haare. »Nein!« So wollte ich nicht sein! Das war ich nicht! Die Macht regte sich in mir. Es war, als würde sie mich verhöhnen. Und auf einmal fühlte sie sich fremd an. Vollkommen fremd. Als wäre sie gar nicht meine. Ein fremdes Monster. Ein Parasit, der sich in mir festgesetzt hatte und der noch immer die Kontrolle über sich selbst hatte. Ein Parasit, der tat, was er wollte und am Ende konnte ich noch nicht einmal sagen, ob er es getan hatte oder ich.

Schwarze Flecken tanzten vor meinen Augen.

»Nein!«, weinte ich. Meine Stimme klang rau und brüchig. Sie war kaum mehr als ein einsamer Windhauch, der in der großen weiten Welt unterging. »Nein, das kann nicht sein!« Tränenüberströmt sank ich zu Boden, sodass meine Stirn den Erdboden berührt. So hockte ich nun allein in der finsteren Nacht und weinte.

»Nein, nein, nein.«, schluchzte ich. »Das war ich nicht!« Ich war keine schlechte Person. Ich tötete niemanden. Geschweige denn, dass ich es überhaupt konnte. Ich war Mika Keaton. Nicht mehr und nicht weniger. Panik machte sich in mir breit, wollte mich ertränken. Selbstgefällig brodelte meine Macht unter meiner Haut, die sich nicht mehr wie etwas anfühlte, das ich kontrollieren konnte. Nicht mehr anfühlte, als stammte sie von mir. Sie kam mir auf einmal wie etwas Böses vor. Es war zu viel.

Mein gequältes Wimmern klang mehr nach dem Jaulen eines Hundes. Raben kreischten auf, erschreckt durch mein Wimmern und flogen in den Himmel davon.
Ich krallte meine Finger stärker in mein Haar. Tränen liefen wie Sturzbäche aus meinen Augen. Ich wollte nicht das Monster sein, das andere seit dem Kampftraining in mir sahen.

Hatte ich wirklich geglaubt, auf dem Elementar Internat könnte alles besser werden? Dass ich Freunde finden könnte? Hätte ich doch niemals zugestimmt, mein altes Leben aufzugeben und hierher zu kommen! Lieber wäre ich weiter in meinem Einzelgänger-Leben versunken und hätte mich mit Josies Wut, weil ich ihre Klausur abgeschrieben hatte, auseinandergesetzt. Das erschien mir weniger katastrophal, als noch vor ein paar Tagen.

Mir war es egal, dass immer noch etwas oder jemand im Wald war und mich beobachtete. Im Moment war mir alles egal. Außer eines. Was ich getan hatte, konnte ich nicht einfach vergessen. Zumal ich immer noch vollkommen verzweifelt neben einer Leiche hockte. Ich wollte wegsehen, konnte es aber nicht. Ich wollte gehen, aber meine Beine gehorchten mir nicht. Hatten mich verraten.

Ich weinte. Ich wollte nicht. Ich wollte einfach nicht. Ich wollte es nicht wahr haben. Aber es war wahr. Geschehen und unmöglich, rückgängig zu machen. Ich hatte einen Mann ermordet.

Es war mir unmöglich, mich zu bewegen. Festgewachsen an Ort und Stelle. Mein Blick ging ins Leere. Mir war zugleich heiß und kalt und doch spürte ich gar nichts.
Was sollte ich nur tun? Die Leiche konnte ich doch nicht einfach hier liegen lassen. Und was sollte ich nun tun? Was würde man mit mir machen? Mich konnte man doch nicht frei herumlaufen lassen. Würde ich überhaupt so tun können, als wäre nichts gewesen? Wie sollte ich den anderen nur je wieder ins Gesicht blicken? Wie konnte ich das leugnen, was sie mir stumm vorwarfen?

Und mein Bruder und Claire! Wie sollte ich ihnen jemals wieder gegenübertreten können? Die Antwort war genauso einfach wie schwer: Nie. Nie wieder würde ich ihnen ins Gesicht sehen können.

Mittlerweile lag ich nicht mehr am Boden, sondern saß auf meinen Knien und schluchzte. Ich glaubte nicht, dass ich mich jemals mehr von hier fortbewegen könnte. Bis zum Morgen würde ich jämmerliches Häufchen Elend hier sitzen und warten, bis jemand die Leiche und mich fand. Alles war vorbei. Es gab keine Hoffnung mehr.
Bald würde ich eine Ausgestoßene sein. Würde flüchten müssen. Würde man mich einsperren? Ich war doch erst sechzehn! Mein Leben war noch nicht vorbei! Noch lange nicht!

Ich zitterte am ganzen Körper. Stumme Tränen quollen aus meinen Augen und mein Wimmern und Schluchzen ließen meinen gesamten Körper beben. Urplötzlich nahm ich die Gestalt wahr, die auf einmal vor mir stand. Die Gestalt aus dem Wald. Ich wagte es kaum, aufzusehen. Wollte die Verurteilung sowie die Abscheu in ihren Augen nicht sehen.

Dennoch zwang ich mich, meinen Blick zu heben. Und was ich sah, ließ mich erstarren. War es denn nie vorbei? War ich dazu verdammt, niemals meine Ruhe zu finden? Mit einem Mal waren alle Tränen ausgeweint. Auch mein Schluchzen verklang.

Die Gestalt vor mir war groß, hatte braun-rotes Haar und Augen wie die Abgründe der Hölle. Wortlos blickte Damon Firelight auf mich herab. Seine Miene war nicht zu lesen. Aber das brauchte ich auch gar nicht. Das im schwachen Licht des Mondes blitzende Messer in seiner Hand sagte bereits alles. Und ich hatte nicht mehr die Kraft, um mich zu widersetzen. Ich war vollkommen leer. Da war nichts mehr, wovon sich mein Parasit nähren konnte, um meine Haut zu retten.

Düster ragte der Feuerelementar vor mir auf. Jetzt fehlten bloß noch die schwarzen Flügel und ich hätte ihn für den Teufel persönlich gehalten. Doch überraschenderweise verspürte ich keine Angst. Ich war nur müde. Müde und nichts weiter. Mein Körper fühlte sich schwer an. Viel zu schwer. Und meine Augen waren verquollen und rot.

Ich wurde langsam ruhiger. Damals war ich noch unschuldig gewesen. Damals, im Wald. Damals, das nur wenige Tage her war. Aber es fühlte sich an, wie aus einer anderen Zeit. Jetzt war ich nicht mehr unschuldig. Jetzt hatte Damon wirkliche Gründe, mich zu töten. Ich war eine Gefahr für die Allgemeinheit. Ich war eine Mörderin. Er selbst war Zeuge.

Langsam und bedrohlich beugte er sich zu mir hinunter. Es würde schnell gehen. Ein sauberer Schnitt über meine Kehle und dann wäre es das gewesen. Dann wärees vorbei. Etwas in mir schrie, rüttelte an der Panik und der Furcht. Gab ihnen einen ordentlichen Tritt, sodass ich entsetzt keuchte. Ruckartig und mit deutlich mehr Energie, als ich noch vor wenigen Sekunden gehabt hatte, wich ich im Knien zurück. Doch es kam, wie es kommen musste. Selbstverständlich kippte ich um.

Verbittert verfluchte ich meine Hilflosigkeit. Vorhin noch hatte ich mir gesagt, dass ich nie wieder hilflos sein wollte. Dass ich mittlerweile stark war. Und jetzt? Jetzt mutierte ich wieder zu demselben Häuflein Elend, das ich auch schon damals im Wald gewesen war.

Das funkelnde Messer kam mir gefährlich nahe. Doch plötzlich hielt Damon inne. Irgendetwas hatte ihn dazu bewegt, in seinem Tun innezuhalten. Nachdenklich, aber noch immer schweigend, betrachtete er mich. Diese unheimlichen schwarzen Kleckse Finsternis, die seine Augen waren, schienen sich in meine hineinzubohren. Ich schluckte. Meine Kehle war ganz trocken. Mein Herzschlag pochte so laut in meinen Ohren, dass ich glaubte, sogar er müsste ihn hören.

»Nicht heute.«, sagte er.

Verwirrt starrte ich ihn an. »Was?«, krächzte ich. Wieso brachte er mich nicht um? Solch eine Chance würde er vermutlich nie wieder haben. War es aus Mitleid? Aber weshalb sollte er Mitleid mit mir haben? Im Wald war ich ein unschuldiges sechzehnjähriges Mädchen gewesen. Ein Mädchen, das keine Ahnung hatte von der Welt. Wieso also hatte er zu dem Zeitpunkt kein Problem damit, mich töten zu wollen, jetzt aber, wo ich einen Feuerelementar ermordet hatte, schon?

»Nicht heute.«, wiederholte er und ließ sein Messer verschwinden.

»Wieso?«, brachte ich hervor. Meine Stimme fühlte sich an wie Schmirgelpapier.

»Du erscheinst mir nicht bösartig.«, behauptete er ruhig. Ich konnte ihn nur entgeistert anstarren.

»Nicht bösartig?« Meine Stimme klang erbärmlich. Wie konnte er so etwas sagen? Er hatte doch beobachtet, was ich getan hatte! Wie konnte er das nicht »bösartig« nennen? Mit zitterndem Finger deutete ich auf die Leiche neben mir. Es bedurfte keiner weiteren Worte.

Er jedoch zog nur skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. »Willst du mir etwa doch einreden, dass du bösartig bist? Dir ist schon klar, dass ich dich ohne zu zögern töten würde, wäre dem so. Mir kommt es schon fast so vor, als würdest du um deinen Tod betteln.« Augenblicklich zuckte ich zurück. Ich wollte nicht sterben! Auf keinen Fall! Auch, wenn ich nicht wusste, wie mein Leben jetzt aussehen sollte.

Damon seufzte. »Wärst du bösartig, würdest du dich jetzt nicht so quälen, weil du jemanden getötet hast.«, meinte er gleichgültig.

Aber töteten die Jäger uns Geistelementare nicht auch ohne die Rechtfertigung, dass wir bösartig seien? War ihnen nicht schon Grund genug, dass wir mächtig waren und demnach gefährlich werden konnten? Jeder von uns könnte potenziell böse sein oder sich eines Tages dazu entschließen? Wieso nicht die Gelegenheit ergreifen, solange man sie noch hatte?

Aber ich sagte nicht. Für heute war ich noch davongekommen. Außerdem ließen mich Damons Worte »Noch nicht.« bereits ahnen, dass er mich im Auge behalten würde. Sollte sich seine Meinung über mich ändern, würde er es beenden. Er würde der Tod sein, der mir im Nacken saß. Der Richter über Leben und Tod, der mein Urteil fällen würde.

Dennoch traute ich dem Ganzen nicht. Damon hatte im Wald nicht gezögert. Hatte sich nicht gefragt, ob das, was er tat, gerechtfertigt war. Weshalb benötigte er jetzt einen Grund, um mich zu töten? Weshalb wollte er abwarten? Bisher war er mir nicht so erschienen, als achte er großartig auf Gerechtigkeit.

Außerdem erinnerte ich mich noch zu gut an den erschreckenden Hass in seinen Augen. Wieso sollte der auf einmal verschwinden?

»Steh auf.«, befahl er. Aus Angst, dass ich ihn verärgern könnte und er seine Entscheidung, mich fürs erste am Leben zu lassen, änderte, erhob ich mich schwerfällig. Es benötigte all meine Konzentration, auf meinen zitternden Beinen stehen zu bleiben.

Ich wollte nicht hinterfragen, weshalb Damon, der ein Jäger war, den toten Feuerelementar nicht rächen wollte. Ganz offensichtlich war auch er ein Jäger gewesen.

»Du gehst jetzt zum Krankensaal.«, entschied er.

»Warum?« Die Worte kamen erschreckend kraftlos über meine Lippen. Damon jedoch warf mir nur einen skeptischen Blick zu.

»Weil du einen Schock hast.«, sagte er knapp. Dann wandte er sich dem Leichnam zu. Sein Gesicht verfinsterte sich, je länger er ihn betrachtete und ich fürchtete schon, die Rachsucht würde ihn doch noch einholen. Aber so war es nicht. »Ich begleite dich. Sonst kippst du noch um. Danach beseitige ich die Leiche.«


Und er hielt sein Wort. Er tötete mich nicht. Er krümmte mir kein Haar, ja, er drohte mir noch nicht einmal. Schweigsam führte er mich in den Krankensaal, sprach kurz mit der Krankenschwester, wobei er ihr vermutlich irgendeine Lüge auftischte, was ich jedoch kaum mehr mitbekam, denn endlich betäubte mich die Dunkelheit und schenkte mir einen traumlosen Schlaf.

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