Kapitel 16.2 - Die Beichte ✅

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Will starrte mich an. Ich erwartete das Schlimmste. Und dann geschah es. Er lachte. Ja, er lachte. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn anzustarren. Wie konnte er jetzt lachen? Ich hatte ihm gerade wortwörtlich mein dunkelstes Geheimnis anvertraut!

»Guter Witz, Mika, guter Witz!«, lachte er. Er lachte mich aus. Dabei hatte es mir so schwergefallen, ihn auch nur anzusehen. Und nun hatte ich es ihm erzählt. Er lachte. Das konnte doch jetzt nicht sein Ernst sein! Ich riskierte hier gerade alles und er lachte einfach! Die aufkommenden Tränen brannten in meinen Augen, doch ich schluckte sie tapfer hinunter.

Dann sah Will mich wieder an. Mich und meine ernste Miene. Sein Lachen verhallte schlagartig. Stumm starrte mich mein Bruder an.

»Das meinst du ernst.«, stellte er fest.

»Hm, hm.«, machte ich, während ich auf den Boden starrte, der mir plötzlich so viel interessanter vorkam. Noch könnte ich es leugnen. Noch könnte ich das mit dem Witz aufgreifen. Die Verlockung genau das zu tun, war gewaltig. Doch ich blieb standhaft. Wir standen da und wussten beide nicht, was wir tun sollten. Es war eine unangenehme Situation. Am liebsten würde ich jetzt wegrennen, wie ich es so gerne vor meinen Problemen tat. Aber wegrennen half mir dieses Mal nicht weiter. Irgendwann hätte ich mich dem hier so oder so stellen müssen. Wieso sollte ich es also nicht jetzt gleich hinter mich bringen?

Besser jetzt schnell hinter mich bringen, als ewig davor zu flüchten und es nur vor mich herzuschieben, während ich mich dann die ganze Zeit über verrückt machte?

»Du hast ihn getötet.«, kam es von Will, der nun endlich wieder seine Sprache wiedergefunden hatte. Nun begann er zu realisieren. Langsam sickerte die Bedeutung meiner Worte in seinen Kopf. Langsam verstand er. Dieser gesamte Prozess war ihm nur zu gut anzusehen. Und es machte mir so Angst, dass ich glaubte, mich gleich übergeben zu müssen. Ich hatte mich ihm vollkommen ausgeliefert. Einem Bruder - einer Person - die ich kaum kannte.

»Hasst du mich jetzt?«, fragte ich leise und wagte es, zu ihm aufzusehen. Wenn er jetzt ja sagen würde, wüsste ich nicht, was ich tun sollte. Vermutlich wieder wegrennen und mich irgendwo verschanzen, während ich ihm dann aus dem Weg ging. Ich hatte meinen Bruder so gesehen gerade erst gefunden. Ich wollte ihn nicht schon wieder verlieren müssen und das nur, weil ich jemanden getötet hatte, um mich selbst zu schützen.

Aber so gesehen, hätte auch Damon mich beschützen können. Er hatte ja nur wenige Meter von mir entfernt im Wald gestanden. Hätte er mich gerettet, wäre ich dazu nicht in der Lage gewesen? Wenn ja, wäre ich jetzt keine Mörderin und er war ja immerhin ein Jäger. Er war mit dem Töten vertraut, war garantiert damit aufgewachsen. Für ihn wäre es kein Problem gewesen, jemanden zu töten. Aber er hasste meine Familie. Zwar hatte er gesagt, dass ich ihm (noch nichts) getan hatte, aber ganz bestimmt, würde er sich nicht seine Hände für mich schmutzig machen.

»Will?«, fragte ich leise. Will hatte wieder angefangen zu schweigen. Und er hatte auf meine Frage nicht geantwortet. Nervös sah ich zu ihm auf. Will mied meinen Blick. Er sah an mir vorbei, starrte etwas oder jemanden an. Als würde er meinen Anblick nicht ertragen. Kein Wunder. Nicht einmal ich selbst blickte mehr gerne in den Spiegel. Er verhöhnte mich. Zeigte etwas, das ich nicht sehen wollte.

Ein ungutes Gefühl beschlich mein Unterbewusstsein. Dennoch drehte ich mich um und blieb wie angewurzelt stehen.

Eine zierliche Gestalt mit goldblondem Haar. Claire. Was tat sie hier? Hier, im Westturm? Ich ging doch auch nicht einfach in ihren Gemeinschaftsraum bei den Luftelementaren.

Und sie hatte alles mit angehört. Alles! Dies hier war nur für Wills Ohren bestimmt gewesen. Erst nach ihm wollte ich mich ihr widmen. Nachdem ich mich wieder beruhigt hätte.

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