Kapitel 51.2 - Wie Liam die Wahrheit erfuhr

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Claire schien nicht zu verstehen, dass die Person auf dem Foto, ihre Mörderin, sich hier mit ihr in ein und demselben Raum befand. Claire hatte ich nicht vergessen. Wie könnte ich auch? Sie war das aller erste Mädchen gewesen, dass mit mir befreundet sein wollte. Ehe sie mich verriet und  mit ihrem Leben bezahlte. Ob ich ihren Tod bereute? Ich wusste es nicht. Ich wusste es ehrlich nicht. Was ich allerdings bereute war, dass Will das mit ansehen musste. Will und Damon. Dadurch hatte Damon vermutlich gesehen, was für ein Monster ich war. Ob er schon von Anfang an vorgehabt hatte, zu den Jägern zurück zu kehren? Falls er denn je aufgehört hatte, für sie zu arbeiten. Egal, dieses Thema gehörte jetzt nicht hier her. Ich hatte momentan ganz andere Probleme.

"Dein Name ist gar nicht Lune James.", riss mich Liams Stimme aus meinen Gedanken. Er klang recht trocken. Dem Anschein nach schien es ihn nicht wirklich zu interessieren. Doch ich wusste es besser. Genau wie ich versuchte er seine wahren Emotionen unter Kontrolle zu halten. Doch was er nun wirklich empfand vermochte ich nicht zu sagen.
Langsam schüttelte ich meinen Kopf. "Nein. Mein Name ist nicht Lune James.", bestätigte ich Liams Aussage. Meine Stimme war leise und rau. Es fiel mir schwer zu sprechen. Es fühlte sich an, als hätte ich Steine in meinem Magen und einen Kloß in meinem Hals.
Liams kalter Blick lag schwer auf mir. "Dein richtiger Name ist Mika. Mika Lunar-Eclipse.", sprach Liam die Wahrheit aus. Noch immer lag sein Blick auf mir. Abwartend. Wollte die Bestätigung hören. Claires Geist - ich war mir sicher, dass es ihr Geist war - sah mich lauernd an. Sie hatte sich ein wenig zurück gezogen und wartete genau wie Liam auf meine Bestätigung.
"Ja.", sagte ich leise. Dieses eine Wort brachte Claire dazu, ihre toten Augen weit aufzureißen und vor mir entsetzt zurückzuweichen. Liam dagegen presste bloß seine Lippen fest aufeinander, sodass sie nur noch eine schmale Linie in seinem Gesicht waren.
Ich wagte es nicht Claire anzusehen. Es war meine Schuld. Das wusste ich. Und ich hatte auch nicht vor, mich irgendwie vor ihr zu rechtfertigen, warum ich ihr das angetan hatte. Ich glaubte, dass konnte sie sich selbst denken. Auch, wenn es kein wirklich guter Grund gewesen war.
Desdemona sah Liam tadelnd an. "Sie ist keine schlechte Person!", verteidigte sie mich.
"Wie lang weißt du es schon?", presste Liam hervor und ignorierte das, was sie gesagt hatte. Als Desdemona ihm keine Antwort gab, wandte er sich von ihr ab. "Schön.", sagte er bitter. "Schön."
"Liam ...", versuchte Desdemona es beschwichtigend, doch er ignorierte sie vollkommen. Stattdessen wandte Liam sich mir zu. "Und du. Wieso bist du überhaupt hier? Was willst du hier?" Abfällig sah er mich an und rümpfte seine Nase. Ich wusste nicht, was schlimmer war. Seine Worte oder seine Geste? Ich wollte bloß noch im Boden versinken und nie wieder jemals auftauchen. Manchmal glaubte ich, dass Worte eine bessere Waffe waren, als jede Klinge dieser Welt. Worte konnten messerscharf sein und alles beenden. Und genau wie mir schien es auch Desdemona zu gehen.
"Du brauchst deine falsche Maske nicht mehr tragen. Lege sie ab.", befahl Liam. "Jetzt zeige endlich dein wahres Gesicht!" Diese Wut in seinem Gesicht. Dieser Hass in seinen Augen. Diese Abscheu in seinen Gesten.
Es widerstrebte mir. Vor allem, da Claire auch hier war. Doch war das nicht egal? Sie wusste doch sowieso schon, wer ich war. Was machte das also jetzt aus?
Langsam verfärbte das helle, blonde Haar schwarz. Meine Augen nahmen ihre eigentliche Farbe an. Sturmgrau und violett. Mein Körper wuchs um einige Zentimeter. Liam musterte mich stumm. Claire hatte mit Schrecken mein andersfarbiges Auge entdeckt. Stimmt. Das kannte sie ja noch nicht.
Verdammt. Mir fiel ein, dass Liam die ganze Wahrheit über mich immer noch nicht kannte. Die eine Sache mit den Hexen- und Vampirvorfahren. Das mussten Desdemona und ich ihm auch noch irgendwie beibringen. Doch würde er weiter zuhören? Nein. Nein würde er nicht. Für ihn war die Sache beendet. Das sah ich in seinen Augen. Er wusste alles, was er hatte wissen wollen. Und es würde auch nichts an seinem Verhalten mir gegenüber ändern, wenn er den Rest auch noch wissen würde.  
Ich wünschte einfach nur noch, dass ich nicht mehr hier war. Hier, in Gegenwart von Liam und Claire. Es war für mich noch immer ein Rätzel warum sie hier war. Sie war definitiv tot. Und das hier war definitiv ihr Geist. Doch wie konnte das möglich sein? Ich wusste nicht ob sie oder Liam der Hauptgrund war, weswegen ich verschwinden wollte. Am besten wollte ich mich plötzlich in Luft auflösen und weg sein. Doch wo? Wohin würde ich wollen? Ehe ich verstehen konnte was geschah, bemerkte ich, wie plötzlich alles um mich herum verschwamm und zu verblassen anfing. Was passierte hier gerade? Erschrocken riss ich meine Augen weit auf und zum zweiten mal an diesem Tag krallten sich meine Finger krampfhaft in die Lehne dieses Sessels. Doch dieses mal war es, weil ich das Gefühl hatte, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
"Mika?", fragte Desdemona besorgt. "Alles okay?"
"Ja. Ja, natürlich.", brachte ich keuchend heraus und zwang mich zu einem kurzen Lächeln. Doch sie runzelte nur ihre Stirn. Wieso habe ich es überhaupt versucht? In meinem Sichtfeld tauchten nun schwarze Flecken auf. Ich blinzelte. Desdemona machte vorsichtig einen Schritt auf mich zu. "Ist dir schwindelig?" Besorgnis blitzte in ihren grünen Augen auf.
"I-Irgendwie ...", murmelte ich und stützte mich noch ein wenig mehr an der Sessellehne ab. Ich blinzelte erneut. Es wurden immer mehr schwarze Flecken, die mein Sichtfeld abdunkelten. Hinzu kam, dass sie sich jetzt auch noch bewegten und vor meinen Augen zu tanzen anfingen. Kurz flackerte rechts das Bild einer grünen Wiese auf, ehe es auch schon wieder verschwand. Verwirrt kniff ich für einen Augenblick meine Augen zusammen, doch als ich sie wieder öffnete, war keine grüne Wiese zu sehen. Doch meine Umgebung verschwamm immer mehr und schien zu verblassen, ich spürte einen Windhauch, obwohl es hier oben im Turm keine offenen Fenster gab. Und plötzlich kam eine Art Nebel auf, der mich umhüllte. Ich bemerkte, wie sich irgendetwas bewegte. Doch es war nicht ich. Meine Umgebung verschwamm immer wieder mit dieser Wiese. Das letzte was ich sah, war wie Desdemona auf mich zu sprintete, ihren Arm nach mir ausstreckte, laut meinen Namen rief und Liam, dem die Gesichtszüge entwichen und er nach Desdemona rief, während er versuchte, sie zu erreichen, bevor sie mich erreichte. Danach war der Raum im Turm verschwunden.

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