Kapitel 60 - Desdemonas Rede

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Das Feuer züngelte fauchend in die Höhe, doch Damon schien es nicht einmal zu bemerken. Er konzentrierte sich vollkommen auf mich. Ich sehnte mich danach und fürchtete mich zugleich ihm in sein Gesicht zu sehen. Ich sehnte mich danach wieder normal und vertraut mit ihm reden zu können und hasste es aber, was aus ihm geworden war.

Damon war nicht mehr weit davon entfernt mir wie damals mit seiner lodernden Faust ins Gesicht zu schlagen. Und in diesem Moment wünschte ich mir, er würde mich erkennen und sein Feuer erlöschen lassen. Obwohl das wohl kaum der Fall sein würde, würde er mich erkennen.

"Damon", meine Stimme zitterte, genauso wie mein Körper, als ich langsam meine Hände hob. "Bitte tu's nicht." Er starrte mich bloß an. Es war mir als loderte hinter der Schwärze seiner Augen irgendetwas. Doch ich konnte nicht erkennen was es war. Ich wusste auch nicht ob ich es überhaupt wissen wollte. "Damon, bitte.", flüsterte ich und wandte mein Gesicht ab. Wartete auf den brennenden Schmerz. Ich könnte mich wehren. Könnte. Doch tat es nicht. Weshalb auch immer. Es war mir schleierhaft. Weshalb sollte ich den Schmerz bevorzugen als ihn zu verletzen um mich selbst in Sicherheit zu bringen?

Es gefiel mir nicht zu flehen. Denn das tat ich gerade. Ich flehte um mein Leben. "Bitte." Es war erniedrigend. Es war schwach. Und ich hasste es schwach zu sein. Schwach war ich schon zu oft gewesen.

In mich zusammengesunken wartete ich auf den Schmerz. Doch er kam nicht. Ließ auf sich warten. Plötzlich ließ Damon seine Faust sinken und das Feuer wurde schwächer. Ich wagte es kaum zu ihm zu sehen. Dennoch tat ich es. Damon starrte vollkommen ausdruckslos auf meine Narbe, auf die ich ihn unbewusst aufmerksam gemacht hatte, indem ich mein Gesicht abgewandt hatte und sie ihm somit gezeigt hatte. Damon schien gedanklich weit entfernt zu sein. An einem anderen Ort. Zu einer anderen Zeit.

Sein Feuer flackerte leicht, die Flammen schrumpften. "Geh." Mehr sagte er nicht. Nur dieses eine Wort. Drei Buchstaben. Ich konnte ihn nur anstarren. "Was?", brachte ich krächzend hervor. Der Ausdruck kehrte in Damons Augen zurück und es war mir wieder als würden sie, tief in ihm verborgen, lodern. "GEH!", schrie er mich plötzlich an. "GEH!" Erschrocken sprang ich auf, drehte mich um und rannte. Rannte als würde mein Leben davon abhängen. Vielleicht tat es das auch. Ich würde es nicht erfahren. Ich sah nicht zurück, achtete nicht darauf ob er mir folgte. Ich rannte einfach. Zweige schlugen mir ins Gesicht und hinterließen rote Kratzer. Wurzeln brachten mich ins Stolpern. Ein paar mal wäre ich beinahe gestürzt. Ich achtete nicht auf den Weg, den ich einschlug. Achtete bloß darauf so viel Abstand wie nur möglich zwischen den Jäger und mich zu bringen. Anscheinend hatte ich jedoch den richtigen Weg genommen, denn vor mir erschien das Darkstone Internat. Noch nie war ich glücklicher gewesen es zu sehen. Ich setzte zum letzten Sprint an, die Türen schlugen auf und als ich drinnen war fielen sie von selbst zu.

Keuchend lehnte ich mich gegen die Tür und legte meinen Kopf in meinen Nacken. Ich schloss meine Augen und wünschte mir, niemals das Schloss verlassen zu haben. Dann wäre ich Damon nicht begegnet und mir wäre das alles erspart geblieben. Wäre, wäre, wäre. Es kam doch immer das selbe heraus. Wieso tat ich es also noch immer? An das zu denken, was passiert wäre, wenn ich anders gehandelt hätte. Wut kam in mir auf. Feste schlug ich mit meiner Faust gegen die Tür, an der ich lehnte. Ich war so wütend auf mich selbst. Immer musste ich etwas vollkommen Dummes tun. Wieso lernte ich aus meinen Fehlern nicht?

"Lune?", ertönte auf einmal eine bekannte Stimme. Ruckartig öffnete ich meine Augen und erblickte Nawin. Er stand in der Nähe der Treppe und kam nun auf mich zu. Seine braunen Augen blickten in meine und zum ersten mal sah er mich nicht voller Misstrauen an. In seinen Augen blitzte Besorgnis auf. "Wieso weinst du?", wollte Nawin mit sanft klingender Stimme wissen. Ich zog meine Augenbrauen zusammen. "Ich weine doch gar nicht.", entgegnete ich.
"Doch. Doch, tust du.", sagte Nawin und zeigte auf seine Wangen. Verwirrt legte ich meine linke Hand auf meine linke Wange. Sofort spürte ich etwas Nasses. Tatsächlich. Ich weinte. Das hatte ich überhaupt nicht bemerkt. Verstimmt presste ich meine Lippen fest aufeinander. Es gefiel mir gar nicht, dass Nawin mich so sah. Allerdings stellte Nawin keine Fragen, anders als ich es erwartet hatte. Er wusste wohl, wann es besser war nicht nachzufragen. "Komm, ich bringe dich zurück auf dein Zimmer.", sagte er stattdessen. Ohne auf meine Zustimmung zu warten griff er nach meinem Handgelenk und führte mich vorsichtig und nicht zu hastig zur Treppe. Er passte sich meinem Tempo an und drängte nicht. Wir redeten nicht. Das brauchten wir auch nicht. In meinen Gedanken ging ich noch einmal das gerade Geschehene durch, auch wenn es besser wäre, ich würde es lassen. Da war es schon wieder. Wäre. Ich sollte wirklich damit aufhören.

"Wir sind gleich da.", murmelte Nawin vor sich hin und wir bogen in den Korridor ein, wo Desdemonas und mein Zimmer lag. Vor meiner Tür ließ er mein Handgelenk los und klopfte. Beinahe sofort hörte ich Schritte und Desdemona riss die Tür auf. Erwartungsvoll sah sie Nawin an, ehe sie bemerkte, wer er war. Sofort verdüsterte sich ihre Miene. "Was willst du, Klahan?", fragte sie genervt. "Ich habe dir nur deine beste Freundin vorbei gebracht.", sagte Nawin und ging einen Schritt beiseite, womit er die Sicht auf mich freigab. Desdemonas Augen weiteten sich als sie meine verquollenen Augen sah. "Mi-Lune!", rief sie erschrocken aus. Sie hatte sich im letzten Moment noch bremsen können, Mika zu sagen. Ihre Hand schnellte nach vorne, packte meine Hand und zog mich zu sich herein. Sie warf Nawin noch einen kurzen Blick zu, nickte knapp zum Dank und warf die Tür zu. Sofort wandte sie sich mir zu. "Was ist passiert?" Plötzlich schien ihr jedoch etwas einzufallen und sie schob mich auf mein Bett zu und drückte mich hinunter, sodass ich auf meinem weichen Bett saß. "Du musst es natürlich jetzt noch nicht sagen, wenn du es nicht willst.", schob sie schnell hinterher. "Ich kann auch bis morgen warten." Ihre grünen Augen musterten mich besorgt. "Hat es etwas mit Liam zu tun?", wollte sie wissen. Ich schüttelte meinen Kopf. "Nein, nicht mit Liam.", beschwichtigte ich sie. Auf einmal fiel mir etwas ein. "Hat er eigentlich mit dir geredet?" Desdemona nickte kurz, ehe sie ihre Hände in ihre Hüfte stemmte. "Aber das erzähle ich dir später. Erst sagst du mir, was vorgefallen ist!"

Innerlich wandte ich mich. Sie würde es nicht gut heißen, dass ich einfach so ohne sie mitzunehmen raus gegangen war. Doch schließlich gab ich nach. "Damon.", sagte ich ohne jeglichen Ausdruck in der Stimme. "Es hat etwas mit Damon zu tun." Kaum hatte ich das gesagt, veränderte sich Desdemonas Miene. Sie sah gerade so aus, als wollte sie irgendwen umbringen. Und dieser jemand würde wohl Damon sein. "Wo ist er und wann können wir ihn fertig machen?"

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