Kapitel 52.2 - Zurück Zuhause

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Desdemonas Gesicht verdüsterte sich. Ihre Augen wurden kalt. Oh, oh. Ich ahnte Schlimmes. Ich spannte mich an. Bereit, einzugreifen, falls es denn nötig sein würde. Doch das, was sie tatsächlich tat, hätte ich nicht erwartet.
Sie behielt ihre äußere Ruhe bei und lächelte ein kühles Lächeln. "Ich möchte nicht darüber reden.", sagte sie mit einer unglaublich festen Stimme.
Mein Vater nickte. "Natürlich. Das verstehe ich.", sagte er. "Es tut mir leid."
Desdemona nickte nur kurz und sah dann wieder zu mir. Als sie bemerkte, dass ich sie besorgt ansah, wank sie das mit einem Lächeln ab. "Mach dir keine Sorgen. Sieh jetzt erst einmal zu, dass du deine Probleme in den Griff bekommst." Sie meinte das nicht böse. Und das wusste ich auch. Ich konnte ihr nicht böse sein. Ich seufzte und wandte mich meinem Vater zu. "Es tut mir leid, dass ich einfach verschwunden bin.", begann ich, doch mein Vater hob seine Hand und brachte mich somit dazu, aufzuhören. "Meinst du, ich verstehe nicht, aus welchen Gründen du gehandelt hast?", fragte er mich. Auf seinen Lippen lag ein trauriges Lächeln. "Da irrst du dich. Ich verstehe es. Ich verstehe es sogar sehr gut." Er deutete auf das Sofa. "Na los. Setzt euch." Wir gingen zum Sofa und ließen uns beinahe zeitgleich in das weiche Polster fallen. Mein Vater verschwand kurz in der Küche und kam mit drei Tassen Tee zurück, die ihm gehorsam hinterher schwebten. Kurz darauf landeten sie vor uns auf dem Tisch. Mein Vater setzte sich uns gegenüber.
"Wo sind Mum, Cecile und Arthur?", fragte ich, während ich die warme Teetasse mit meinen Händen umschloss.
"Sie holen Will von der Schule ab. Ab heute sind Ferien.", antwortete mir mein Vater. Ich erbleichte. Will. Vor seiner Reaktion hatte ich am meisten Angst. Ich glaube, ihm glich mein Verschwinden einem Verrat.
"Wann kommen sie zurück?", fragte ich. Desdemona würde nicht zulassen, dass wir früher gingen, ohne dass ich dem Rest meiner Familie gegenübergestanden habe. Mein Vater blickte auf die alte Standuhr, deren Pendel hin und her schwang. "Eigentlich müssten sie jeden Moment zurück sein.", meinte er. Desdemona legte ihren Arm um mich.
"Ich werde nicht abhauen. Notfalls halte ich sie alle ab, auf dich einzuprügeln.", sagte sie beruhigend. Nur, dass es mich keineswegs beruhigte. Dad grinste und zwischen Desdemona und mir hin und er. "Es scheint mir, dass du endlich eine wirkliche Freundin gefunden hast!", sagte er und klang dabei ziemlich stolz. Ich lächelte leicht. "Ja, das habe ich." Ich bemerkte, dass ich mit meinen Worten auch Desdemona ein Lächeln auf die Lippen gezaubert hatte.
"Nun sag aber, Mika.", begann mein Vater und lehnte sich leicht vor. "Wie seid ihr beide hier her gekommen? Ich dachte, dass du weit weg gegangen bist."
Ich starrte in meine Tasse, die noch immer bis obenhin gefüllt mit Tee war. "Nun ja ... Kennst du das Darkstone Internat? Ich war auf der Suche nach einer neuen Schule."
Er nickte verstehend. "Ich meinte von diesem Internat gehört zu haben. Allerdings soll es ziemlich gut versteckt sein."
Desdemona verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust und schaute grimmig drein. "Darin ist meine Tante ein Genie."
"Dad?", fragte ich langsam. Jetzt kam der schwierige Teil. Ich musste es ihm sagen. Wenn ich es ihm jetzt sagte, bevor der Rest unserer Familie kam, konnte er sich noch kurz vor dem Schock erholen und mir anschließend dabei helfen, es den anderen beizubringen, dass ich keineswegs normal war. In keiner Weise.
"Ja?", fragte mein Vater und sah mich lächelnd an. Ich biss mir auf die Lippe und wusste nicht, wie ich es ihm erzählen sollte. Er schien mein Dilemma zu bemerkten und reagierte verständnisvoll. "Lass dir ruhig Zeit.", meinte er und überlegte. "Oder, so verzweifelt wie du gerade aussiehst ... Lässt du mich deine Gedanken lesen?" Ich schluckte. Immerhin fragte er. Und vermutlich wäre das sogar einfacher, wenn ich es ihm zeigte. Nach kurzem Überlegen nickte ich. Desdemona sah uns aus großen Augen an. Der heiße Tee aus der Tasse, die sie gerade schief hielt, tropfte ihr auf die Hand. Kaum realisierte sie die Hitze, schrie sie erschrocken vor Schmerz auf und machte, dass sie die Tasse schnell fluchend zurück auf den Tisch stellte. Sie reib sich ihre Hand und sah uns weiterhin an.
"Entspann dich, Mika.", sprach mein Vater ruhig. "Versuch dich nicht zu wehren, wenn du bemerkst, dass ich in deinen Kopf bin."
"Okay.", sagte ich. Ich würde es versuchen. Ich ließ mich tiefer in das Polster des Sofas sinken und versuchte so entspannt wie nur möglich zu sein. Ich bemerkte, wie der Geist meines Vaters meinen Kopf durchsuchte. Ich half ihm dabei, die richtige Erinnerung heraus zu suchen. Ich wählte die, wo ich Damon zusah, wie er in dem Tagebuch seines Vorfahren las. Mein Vater las ruhig mit. Ich spürte, wie Desdemona uns beobachtete. Ein wenig später war mein Vater aus meinem Kopf verschwunden und saß still in seinem Sessel.
Zweifelnd sah ich zu Desdemona, doch diese nickte mir aufmunternd zu. Nun bemerkte ich ein weiteres Augenpaar auf mir und sah auf. Die grünen Augen meines Vater blickten nun in die Meinen. Er seufzte schwer. "Lillian Lunar ... Ja ... Von ihr habe ich gehört.", sagte er langsam. Seine Augen lagen noch immer auf mir. "Und du? Du bist wie sie?"
Ich schien in dem Sofa in mich zusammen zu schrumpfen. "Fast", sagte ich leise.
"Wie meinst du das?", fragte Dad.
"Da war doch noch ... die Eclipse Familie.", versuchte ich indirekt das zu sagen, worauf ich hinaus wollte. Doch meinem Vater reichte das. Er sank sichtlich in sich zusammen. "Beides.", murmelte und stützte seinen Kopf in seinen Händen. "Beides. Ich glaub's nicht!"
"Dad?", versuchte ich es vorsichtig.
Gequält hob er seinen Kopf. "Meine einzige Tochter ist- ..."
"- Ein Monster?", unterbrach ich ihn.
Erschrocken weiteten sich seine Augen und er sah mich ungläubig an. "Nein! Woran denkst du? Du bist doch kein Monster, Mika!" Er wirkte vollkommen fassungslos. "Wie kannst du so etwas von dir sagen?"
Plötzlich bekam ich von Desdemona ihren Ellenbogen in die Rippen gestoßen.
"Was sollte das denn jetzt?!", fuhr ich sie leicht angesäuert an.
Sie zuckte mit ihren Schultern. "Ich wollte nur, dass du aufhörst so etwas von dir zu sagen. Nur ich darf das, denk daran, kleine Ghost!" Sie grinste mich an. Eiskalt. Ich warf ihr eines Todesblick zu. Sie griff sich daraufhin spielerisch ans Herz. "Uh, jetzt machst du mir aber Angst!" Ihr Grinsen wurde breiter und sie lachte. Ein leichtes Lächeln schlich sich nun auch auf meine Lippen.
"Na geht doch!", sagte Desdemona zufrieden.
Ich bemerkte, dass Dad lächelte. "Mika, du bist einzigartig. Und du wirst damit klarkommen. Du bist nicht allein." Als er das sagte, sah er zu Desdemona, die neben mir saß. "Das einzige, was mich an der Sache beunruhigt sind die Jäger. Wenn sie das wissen Mika, dann bist du in ziemlicher Gefahr." Sein Gesicht verdüsterte sich. "Ich dachte, Damon hätte sich geändert." Er sah kurz zu mir. "Ich dachte, er hätte sich für dich geändert." Da mein Vater das nun ansprach, verdüsterte sich auch mein Gesicht. Musste er über Damon sprechen?
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich die Haustür hörte, die aufgerissen wurde. "Bin wieder da, Dad!", hörte ich meinen Bruder rufen. Und er klang ganz und gar nicht gut gelaunt.

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