Kapitel 34 - Von Wut und Schuldgefühlen

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Desdemona sagte überhaupt nichts. Sie sah mich einfach nur an. Ich war am Verzweifeln. Verdammt, was sollte ich nur machen? Das war kein gutes Zeichen! Obwohl ... Bei Desdemona wusste man ja nie genau. Oder?

Ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Leise murmelte sie ein Wort. Es ließ mich erstarren, meine Augen weit aufgerissen. Nein!

"Mörder." Ein einziges Wort. Dieses eine Wort. Und sofort brach meine Welt über mir ein. Klar, ich wusste bereits, dass ich eine Mörderin war, aber Desdemona genau das aussprechen zu hören ... das war mir zu viel. Ich hasste es. Kraftlos sank ich auf mein Bett und vergrub mein Gesicht frustriert in meinen Händen. Nein.

Irgendwas veranlasste mich dann dazu, doch noch einmal meinen Kopf zu heben. Desdemona saß immer noch auf ihrem Bett. Doch plötzlich hoben sich ganz langsam ihre Mundwinkel. Sie grinste. Verdammt, sie grinste!

"Du siehst total fertig aus.", lachte sie leise grinsend, "Natürlich vertraue ich dir!"

Ich fühlte mich wirklich fertig. Kraftlos, elendig. Es war mies.

"Natürlich.", schnaubte ich und erhob mich, während ich aufgebracht auf und ab lief, "Natürlich vertraust du mir."

Wütend wandte ich mich an sie. Sie schaute mich vollkommen belustigt an. Dennoch erkannte ich dieses dumpfe Gefühl in ihren Augen. Allerdings konnte ich nicht genau sagen, was es war. Und das machte mich nervös.

"Es ist ja auch so natürlich einer Mörderin zu vertrauen, Desdemona!", zischte ich sie an, wobei wieder einmal meine verfluchten Eckzähne zum Vorschein traten.

Desdemonas Grinsen erlosch. Sie erhob sich, stellte sich mir genau gegenüber. "Ich wollte dich nicht verletzen, indem ich dich Mörder genannt haben, aber ich sagte es dir bereits, nenne mich nicht Desdemona! Fang nicht auch noch wie Liam an!" Konnte ich nun leichte Wut in ihren Augen erkennen?

Ich verschränkte meine Arme vor der Brust. Provozierend sah ich sie an. Ich war immer noch wütend und aufgebracht. Was dieses eine Wort nur in mir auslösen konnte. Das gefiel mir nicht. Es glich einer Schwäche.

"Das fand ich überhaupt nicht lustig, Desdemona! Und nächstes mal, denkst du nach, bevor du irgendetwas sagst! Und ich nenne dich, wie ich will, verstanden?! Ich lasse mich nicht herumkommandieren. Und ganz ehrlich? Deine ständigen Stimmungsschwankungen kotzen mich an!" Nun war es Desdemona, die ziemlich erstaunt und verdutzt da stand. Sie sah mich einfach nur an.

Ich wandte mich ab und wollte sie alleine lassen, um auch selbst erst einmal wieder herunter zu kommen, doch Desdemona hatte anscheinend andere Pläne.

"Wie heißt du?" Ich blieb stehen, schluckte. Das wollte sie jetzt nicht ernsthaft wissen? Würde mein Name nicht alles ruinieren? So weit ich wusste, musste die Sache mit mir bereits in den Nachrichten der normalen Menschen und der Elementary ausgestrahlt worden sein. Das bedeutete, jeder sollte bereits meinen Namen kennen.

Desdemona stand immer noch dort, wo sie schon vorhin stand. Doch ich spürte ihren bohrenden Blick in meinem Rücken. "Wie heißt du wirklich, Lune?"

"Dir sollte der Name Mika Lunar-Eclipse bekannt vorkommen." Mit diesen Worten verschwand ich aus dem Zimmer und ließ eine nachdenkliche Desdemona MacKenzie hinter mir.

Fluchtartig lief ich durch die Gänge. Doch es hatte einen ganz anderen Grund, als man vielleicht denken mochte. Panik stieg in mir auf. Wieso? Wieso jetzt? Wieso überhaupt? Die Hand vor den Mund gepresst, rannte ich fluchtartig durch die düsteren Gänge des Darkstone Internats. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein! Ein brennender Schmerz machte sich in meiner Kehle breit. Sie schrie. Schrie nach einer warmen, lebendigen Flüssigkeit. Nach etwas, zu dem ich nicht bereits war und bezweifelte, es je zu sein. Blut. Ich brauchte Blut.

In diesem Moment verfluchte ich den Teil Vampirblut, der durch meine Adern floss, wie Wasser in einem Fluss. Der Teil Hexenblut in meinen Adern hatte mir noch keine Probleme bereitet. Er war ähnlich wie der Rest Ghostelementary Blut in meinen Adern. Warum musste es ausgerechnet Vampirblut sein, dass meine Vorfahren mir vererbt hatten?

Ich würde kein Blut trinken. Auf gar keinen Fall. So jemand war ich nicht. Und würde es auch nie sein. Hoffentlich. Ich zweifelte an mir. Wer würde das nicht? Doch dieses mal würden mir meine Familie nicht beistehen. Sie wussten nichts von dem, was ich war. Sie konnten mir nicht helfen. Außerdem konnte ich mir gut denken, dass sie sich von mir hintergangen fühlten. Doch jeder reagierte auf so etwas verschieden. Bei Will konnte ich mir gut vorstellen, dass er unheimlich wütend war. Während Mum wahrscheinlich komplett enttäuscht war.

Ich fühlte mich schlecht. Ich fühlte mich vollkommen schlecht. Stumm blieb ich stehen. Ich musste sie sehen. Entschlossen blitzte mein rechtes Augen dunkellila auf und ich befand mich scheinbar nicht länger im Darkstone Schloss. Ich befand mich im Elementary Internat, dem offiziellen Internat für "normale" Elementary.

Der Gang war voller Schüler, die auf dem Weg zu ihrem Unterricht waren. Doch plötzlich teilte sich die Menge schnell und ein großer düster wirkender Junge schritt ohne die anderen eines Blickes zu würdigen den Gang entlang. In seinen Augen erkannte ich Wut, Kälte, doch unter all dem verborgen auch Schmerz und Enttäuschung. Und worüber ich mich am meisten wunderte, auch Selbsthass. Das was ich sah entsetzte mich.

Einer der Schüler war jedoch nicht aus dem Weg gegangen, hatte nicht einmal bemerkt, dass die anderen Platz gemacht hatten. Ich bemerkte in allen Gesichtern die Angst. Will's Miene wurde nicht besser, als er den Jungen bemerkte. Doch statt selbst auszuweichen, stieß Will den Jungen mit kalter Miene einfach mit der Schulter aus dem Weg. Der Junge knallte gegen die Wand. Niemand rührte sich. Niemand wagte etwas zu sagen. Sie alle hatten Angst vor Will. Vor meinem Bruder. Was war bloß passiert? Weshalb war er so? Weshalb tat er das? War es meine Schuld? Das Herz wurde mir schwer. Das ging wohl auch noch auf meine Kappe.

"Will ...", hauchte ich und plötzlich blieb er ruckartig stehen. Seine Augen geweitet, er sah sich um. Erwartungsvoll, hoffnungsvoll. Doch er konnte nicht die Person finden, die er so unbedingt finden wollte. Und es war meine Schuld. Alles war meine Schuld.

Die Schüler senkten ihre Blicke, waren dennoch sichtlich verwirrt. Seine Miene verfinsterte sich wieder. Er wandte sich ab, schritt weiter.

"Es tut mir leid, Will.", flüsterte ich. Schlagartig stand er dort wie erstarrt, die Augen aufgerissen. Dieses mal war er sich sicher, dass es keine Einbildung war. Suchend sah er umher, suchte verzweifelt.

"Mika!", rief er, "Mika, verdammt, wo bist du?!"

"Es tut mir leid.", sagte ich erneut, langsam verblasste die Szene vor mir.

"Mika, bleib!", hörte ich ihn noch schreien, dann löste sich die Szene komplett vor mir auf. Ich vermisste Will.

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