Kapitel 8 - Von Jägern, Hass und Brüdern ✅

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Ohne zu zögern stieß Will die Tür auf und betrat den Saal. Ich jedoch stand noch unschlüssig da. Ein paar sahen schon beiläufig zu der Tür. Als sie mich allerdings erkannten, begannen sie zu starren und zu tuscheln. Bald schon blickten alle zu mir. Am liebsten wäre ich im Boden versunken. Fragend drehte sich Will wieder zu mir um.
»Was ist? Willst du da Wurzeln schlagen?«, sagte er ungeduldig. »Jetzt komm!« Verwunderte Blicke wanderten zwischen Will und mir hin und her. Tatsächlich konnte ich diese Verwunderung verstehen. Eigentlich hatten Will und ich nichts gemeinsam. Und wir waren auch noch nicht wirklich zusammen gesehen worden. Allein dem Umstand, dass wir beide Geistelementare waren, war es zu verdanken, dass wir beide nun gemeinsam hier waren.

»Was hat Will mit der gruseligen Erstklässlerin zu tun?«, hörte ich, wie ein Mädchen aus der dritten Klasse ihre Freundin fragte.

»Hör einfach nicht hin.«, sagte Will, den das alles nicht zu interessieren schien und der nun wieder neben mir stand. Er setzte sich wieder in Bewegung und machte eine Geste, dass ich ihm folgen sollte. Schweigend liefen wir auf eine Tisch zu, an dem noch niemand saß. Er setzte sich und mit einer einzigen Handbewegung flog ein belegtes Brötchen zu ihm, um das es kaum merklich dunkel flackerte. Als es nahe genug war, fischte Will es aus der Luft und biss hinein. Mit gemischten Gefühlen betrachtete ich ihn dabei. Das würde ich auch gerne können. Aber soweit war ich noch nicht.

»Also ... Ich gehe mir jetzt was zu essen holen.«, murmelte ich und machte mich auf den Weg. Mir war verdammt unwohl. Ich spürte die vielen Blicke in meinem Rücken. Es war mir unangenehm. Vermutlich hatte das Geschehen auf dem Kampfplatz bereits die Runde gemacht. Zu allen Übels bemerkte ich auch noch Aiden, der am Buffet stand und sich mehrere Schokoriegel und Brötchen auf seinen Teller legte. Gerade wollte er sich umdrehen und zu einem der Tische gehen, als er mich erblickte.

Innerlich bereitete ich mich bereits auf seine fiesen Kommentare vor. Garantiert würde er nicht lange auf sich warten lassen und sobald ich nahe genug war, würde er wieder anfangen.
Doch es geschah nichts. Er starrte mich einfach nur an. Ich zwang mich, weiterzugehen und ihn zu ignorieren. Also steuerte ich weiterhin auf den Essenstisch zu.

»Du ...«, kam es plötzlich von Aiden. Ein eiskalter Schauer kroch meinen Rücken hinab. Zögerlich blieb ich stehen. Es fing wieder an. Würde er denn niemals aufhören? Langsam sah ich zu ihm. Er schien zu versuchen, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Aber dennoch spürte ich seine Angst.

»Du hast keines der vier Elemente.«, sagte Aiden schließlich, während er versuchte, seine Stimme fest klingen zu lassen. Doch er versagte. Er fürchtete mich. Das war offensichtlich.
Sollte er nur.

»Nein.«, sagte ich ruhig. Von ihm hatte ich nichts mehr zu befürchten. Das erleichterte mich ungemein. »Ich beherrsche das fünfte Element.« Von ihm werde ich mich nie wieder verhöhnen lassen. Wenn er sich überhaupt traute.

»Das fünfte Element?«, wiederholte Aiden mit hochgezogenen Augenbrauen. Ihm war anzusehen, dass er nicht wusste, wovon ich sprach. Aber Miss Johnson hatte bereits gesagt, dass jüngere Generationen meist nichts mehr darüber wussten. »Welches fünfte Element?«
Woher dieser plötzliche Mut kam, wusste ich nicht. Doch er schien wie Blut meinen gesamten Körper zu durchströmen. »Ich schulde dir nichts. Also bin ich dir auch keine Erklärung schuldig.«, sagte ich trocken, nahm mir ein Brötchen und ließ ihn stehen, ohne einen einzigen Blick zurückzuwerfen. Seinen Blick spürte ich weiterhin in meinem Rücken. Wusste denn wirklich niemand mehr was vom fünften Element? Dem Geist Element? Wie viele gab es, die davon noch wussten? Abgesehen von den Jägern natürlich.
Mit zügigen Schritten ging ich wieder auf den Tisch zu, an dem Will saß und auf mich wartete, als ich sie sah. Claire.

Dort saß sie und sah mich feindselig an. Feindselig und doch ängstlich. Ich musste schlucken. Sie hasste mich. Das war nicht schwer zu erkennen. Und ja, ich konnte es sogar verstehen. Sie machte Anstalten, sich von ihrem Tisch zu erheben, doch sie ließ es bleiben. Sie hatte sich wohl dazu entschlossen, mich lieber weiter mit ihren Blicken zu strafen. Und wie es aussah, hatte sie bereits eine neue Freundin gefunden. So wie diese wirkte, passte sie wohl besser zu Claire, als ich.

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