Kapitel 73 - Von Jägern und Ghosts

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"Ich sehe, du beginnst an dem, was du glaubst zu wissen, zu zweifeln.", stellte Manou zufrieden fest. "Immerhin siehst du ein, dass du womöglich falsch liegen könntest." Sie sah sich in dem Zimmer um, entdeckte den Staub überzogenen Sessel und ließ sich darauf nieder. Anschließend legte sie ihr rechtes Bein über ihr Linkes. "Bist du auch bereit, die Wahrheit zu akzeptieren?" Etwas skeptisch und ohne Manou aus den Augen zu lassen, ging ich auf das Sofa zu. Das stand gegenüber dem Sessel. Bevor ich mich jedoch setzte, ließ ich den Staub auf dem Sofa sich erheben und er legte sich auf dem Boden nieder.

Fassungslos sahen Desdemona und Nawin mich an. "Du willst dir doch nicht wirklich ihre Lügen anhören?!", rief Desdemona außer sich. "Du glaubst ihr doch nicht! Oder?" Zweifelnd musterte sie mich.
Auch Nawin schien meine Entscheidung, Manou zuzuhören, nicht gut zu heißen. Als Desdemona und Nawin allerdings meinen Blick sahen, seufzten sie.
"Du willst dir das tatsächlich anhören.", stellte Nawin kopfschüttelnd fest.
"Na schön.", willigte Desdemona düster ein. "Hören wir uns mal an, was die Jägerin zu sagen hat." Mit vor der Brust verschränkten Armen ließ sie sich neben mir auf dem Sofa nieder und sah mürrisch zu Manou. "Wenn du lügst und ich es merke ...", drohte sie. Manou schien davon nicht beeindruckt.

Langsam gesellte sich auch Nawin zu uns. Sein Shirt hatte sich um das Messer herum schon dunkelrot gefärbt. Schwerfällig ließ er sich neben Desdemona auf das Sofa fallen.

"Hau raus, Jäger.", sagte Desdemona. Ihre Worte ließen Manou grinsen.

Manou fühlte sich hier sichtlich wohl. Sie rutschte noch ein wenig auf ihrem Platz umher, um auch die gemütlichste Position zu finden. Fehlte bloß noch Kaffee und Kuchen.

"Wie soll ich anfangen? - Ah! Fange ich einfach mal damit an, dass die Jäger fast zur gleichen Zeit auftauchten wie die Ghost Elementary.", begann Manou. "Jahrhundertelang existierten sie im Hintergrund. Sie waren noch keine feste Organisation. Zu der Zeit waren sie noch ein geheimer Orden, der im Schatten agierte."

"Aber Edward Cornelius Firelight -", wollte ich erwidern, doch wurde von Manous Schnauben unterbrochen.
"Der? Nein. Alles begann noch lange vor seiner Zeit.", widersprach Manou. "Viele glauben, dass er die Jäger gegründet hatte. Das glauben auch manche Jäger. Aber das stimmt nicht. Edward Firelight war ziemlich extrem. Er glaubte vermutlich selbst, dass er der Gründer der Jäger gewesen ist. Leider repräsentiert er das Bild der Jäger. Deshalb weiß kein Außenstehender, was die Jäger einst wirklich ausgemacht hat." Manou seufzte. Ihr Blick lag in weiter Ferne. Sehnsucht spiegelte sich in ihren Augen. "Die richtigen, die ersten, Jäger waren ehrenvolle Leute.", erzählte sie. Ihre Stimme klang bewundernd und weich. "Sie waren eine ausgewählte Elite, die für den Frieden und die Gerechtigkeit kämpften." Manous Miene verdüsterte sich. "Allerdings sind diese Jäger in Vergessenheit geraten und die falschen Leute wurden die neuen Repräsentanten, die alles in den Dreck zogen." Sie sah traurig aus. "Meine Familie stammt von den ersten Jägern ab. Und noch heute sind wir stolz auf das, was wir sind.", sagte sie und sah zu mir. "Ich würde den Jägern niemals den Rücken kehren. Die Jäger sind ehrenvolle Leute. Die richtigen Jäger." Manou sah an uns vorbei hinaus aus dem Fenster. "Die heutigen Jäger haben vergessen, was sie einst waren. Sie nahmen sich die damalige Aufgabe der Jäger und formten sie und ihren Hintergrund nach ihren Vorstellungen. So, wie Edward Firelight es zu seiner Zeit getan hat."

Ich runzelte meine Stirn. "Sie haben uns immer noch nicht erzählt, weshalb es die Jäger damals überhaupt gab. Und was das mit uns zutun hatte.", merkte ich an.

Manou nickte. "Nur die Ruhe, Ghost Mädchen. Dazu komme ich noch.", sagte sie. "Ich versuche euch gerade nur zu erklären, dass die Gründung der Jäger eigentlich nicht darauf beruhte, euch alle grundlos zu vernichten. Und dass die Jäger durch Edward Firelight vom richtigen Weg abgekommen sind."

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