Kapitel 13 - Abstand ✅

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Am nächsten Morgen wurde ich aus dem Krankensaal entlassen. Und ich wusste einfach nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Unterricht. Klar, aber danach?
Ich fühlte mich einfach elendig. Mich hatte jegliche Energie verlassen und jeder einzelne Schritt fiel mir schwer. Mir war, als steckten meine Füße in Betonklötzen.

Neben dem, was ich getan hatte, schwirrte auch ein gewisser Feuerelementar in meinen Gedanken umher. Würde er mich von nun an unablässig beobachten? Auf einen Fehler meinerseits warten? Und dann? Würde er mich sofort töten oder warten, bis ich allein war. Erst die Sache auf dem Trainingsplatz, jetzt das. Was auch immer geschah, es steigerte sich. Und das machte mir Angst. Was käme als nächstes? Wäre mein Gewissen irgendwann vollständig ausgelöscht? Während der Entdeckung meiner Kräfte und des Mordes hatte mein Gewissen sich verabschiedet. Was also, wenn das wieder geschehen würde, mit dem Unterschied, dass es nicht wieder zurückkehrte?

Schweigend und mit gesenktem Kopf lief ich die Gänge zum Essenssaal entlang.
Ich begegnete niemandem, worüber ich ausgesprochen froh war. Gerade, nur noch wenige Gänge von dem Essenssaal entfernt, hörte ich auf einmal, wie jemand meinen Namen sagte. Moment. Halt. Nicht mein Name.

»Geist!« Augenblicklich erstarrte ich. Das war Damons Stimme. Zähneknirschend drehte ich mich um und blickte genau in zwei dunkle Abgründe. Wie gestern sagte seine Miene rein gar nichts über sein Innerstes aus. Er war er doppelt und dreifach verschlossenes Buch und ich schätzte, dass genau das ihn auch gefährlich machte. Im Wald hatte ich die Wut gesehen. Explosiv und feurig. Zu dem Zeitpunkt hatte ihn ihn und seine Handlungen zumindest in Grenzen vorher ahnen können. Aber was sollte ich mit solch einer ausdruckslosen Miene anfangen? War ich in Gefahr oder hielt der momentane Frieden an?

»Ja?«, überwand ich mich.

»Denk an meine Worte.«, sagte er. »Die hast du doch nicht vergessen?« Eindringlich sah er mich an und mit seinen Augen war das alles andere als angenehm.

Wie könnte ich? »Nein.«, murmelte ich. Seine Worte waren noch allzu präsent. Und ich wusste auch nicht, ob ich sie jemals würde vergessen können. Denn sie erinnerten mich daran, dass Damon, mein persönlicher Richter, alles bewerten würde, was ich tun würde. Sollte er es als nötig empfingen, wäre er mein Henker. Wenn ich ihn ansah, war mir, als würde ich in die Zukunft sehen. In meine Zukunft. Und ich sah den Tod.

»Gut.«, meinte er und beäugte mich noch kurz. »Dir geht es besser.«

Nicht wirklich. »Ja.«, behauptete ich. Zumindest konnte ich wieder laufen ohne zu zittern und aus meinen Augen strömten nicht mehr pausenlos Wasserfälle. Wenn er das meinte, dann ja. Es ging mir besser.

»Gut.« Er nickte. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ließ mich allein. Dennoch konnte ich einfach nicht entspannen. Würde er mich jemals wirklich allein lassen? Wurde Will auch von ihm beobachtet? Und wenn ja, wusste er davon? Aber um Wills Sicherheit machte ich mir keine Sorgen. Will war gut. Da sah ich kein Risiko, dass er bösartig werden würde. Zumindest vor Damon war er sicher.

Mit schnellen Schritten setzte ich meinen Weg fort. Dabei musste ich mich zwingen, nicht immer wieder über meine Schulter zurückzublicken. Außer Atem kam ich bei der Tür an, die zum Essenssaal führte. Ich stieß sie auf und sofort kam mir Claire entgegen gerannt, die sich mir um den Hals schmiss. Ein überrumpeltes Schnaufen entwich mir.

»Mika!«, schrie sie.

Gequält verzog ich mein Gesicht. Wieso musste sie so schreien? War das nicht übertrieben? Zumal wir gerade mal seit ein paar Tagen befreundet waren. Wie konnte sie da so enthusiastisch sein, wenn sie mich sah?

Die ganze Halle sah uns an. Ebenso konnte ich Wills Blick auf mir spüren.
Verdammt. Ich wollte nur noch fort. Ihre stürmische, erdrückende Umarmung bereitete mir Unbehagen und eigentlich wollte ich nur alleine sein. Von ihr war das ja ganz nett gemeint, aber dafür hatte ich gerade nicht die Nerven.

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