Kapitel 25.2 - Tagebuch eines Jägers

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Ich schien einfach nur hinter Damon zu stehen und auf das alte Pergament zu starren. Hexe. Ich. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Das konnte doch nicht wahr sein!

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Damon zuckte zusammen. Ein griesgrämiger Mann erschien im Türrahmen.

"Firelight, was tust du hier? Du hast hier keinen Zutritt! Das Archiv darf nur von hochrangigen Jägern betreten werden!", knurrte er schlecht gelaunt.

Auf Damons Lippen erschien ein finsteres Grinsen. Eines, das mich erschaudern ließ. So hatte er mich angegrinst, als er mich damals im Wald verfolgt hatte. Dieses höhnische, finstere Grinsen.

Mich durchzuckte ein Gedanke. Was, wenn Damon wieder ein Jäger war? Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Bitte nicht!

Damon erhob sich und kam dem anderem Jäger bedrohlich nahe. Dieser bekam merklich Angst, versuchte sie aber zu unterdrücken.

"Meine Familie hat diese Organisation gegründet, also habe ich sehr wohl das Recht, mich hier unten aufzuhalten." Damons Stimme klang drohend und der besorgte Ton, wenn er mit mir sprach war gänzlich verschwunden. Ebenso das Sanfte in seinen Augen, wenn er mich ansah.

Dieser Damon da, war scheinbar ein ganz anderer, als den, den ich kennengelernt hatte. Das hier, war wieder der Jäger Damon Firelight und nicht mehr der gute Freund von mir, den ich mit der Zeit kennengelernt hatte.

Der ältere Jäger verschwand schnell und die Tür knallte ins Schloss. Damon seufzte und massierte sich die Schläfe. Er setzte sich wieder an das Pult, starrte auf das Pergament und seufzte.

"Wieso?", hörte ich ihn flüstern, "Wieso musst ausgerechnet du eine Ghost Elementary und auch noch eine mit solchen Vorfahren sein?"

Meinte er etwa mich? Es war ihm doch egal gewesen, dass ich eine Ghost war.

Ich schluckte. Aber ich war nicht mehr einfach eine normale Ghost. Wieder füllten sich meine Augen mit Tränen. Wenn ich je eine Elementary gewesen bin. Wieso hasste mich diese Welt so?

Wäre wenigstens diese Lillian noch irgendwo da draußen ... Dann hätte sie mir helfen können. Sie hätte mir helfen können, es zu verstehen. Sie hätte mir irgendwie helfen können, mit diesen neuen Erkenntnissen klarzukommen.

Damon stützte seinen Kopf in seinen Händen.

"Wieso, Mika? Wieso?"

Ich fühlte mich elendig. War er tatsächlich wieder dieser Jäger geworden? War er deswegen ohne eine Erklärung und eine Verabschiedung gegangen?

Ich habe doch gesehen, wie dieser Junge sein konnte! Ich habe doch gesehen, wie sehr er sich um mich sorgt! Ich habe doch gesehen, dass er auch anders als dieser Jäger von damals sein kann! Wieso?

Ich hatte nicht bemerkt, dass mir die Tränen nun über das Gesicht liefen.

Damon hatte angefangen, mit dem Messer herumzuspielen. Ich erkannte ein eingraviertes "F" für Firelight, ein Jägermesser. Er rollte das Pergament zusammen und schob es sich in den Rucksack, der neben dem Pult lag.

Wie es sich einfach alles verändert hatte. Ich nun keine normale Ghost Elementary mehr und Damon wieder ein Jäger. Dabei habe ich mich doch ... Ach. Egal. Es macht sowieso keinen Sinn.

Damon sah nun ziemlich fertig aus. Er fuhr sich dauernd durch das Haar und wirkte zugleich auch noch ziemlich nervös.

"Ich kann das nicht, ich kann das nicht!", hörte ich ihn murmeln, während er begonnen hatte auf und ab zu gehen.

Was konnte er nicht? Mich töten? Ich würde es ihm auch nicht leicht machen. Aber verletzen würde ich Damon niemals können. Dazu bedeutete er mich zu viel. Wieso verdammt hatte er auch wieder die Seiten gewechselt?

"Ich habe dir vertraut.", sagte ich leise und wandte mich ab. Ich bemerkte noch, wie Damon schlagartig stehen blieb und in meine Richtung schaute. Er hauchte meinen Namen, konnte mich aber natürlich nicht sehen.

Ich kehrte sozusagen zurück zum Auto, wo ich eigentlich die ganze Zeit gesessen hatte. Die Straße vor uns war leer. Ich wischte mir mit meinem Ärmel die Tränen weg.

Wir fuhren eine ganze Weile, bis wir irgendwann vor meinem zu Hause hielten. Ich stieg aus und meine Augen hörten auf zu glühen. Der Fahrer kam wieder zu sich und sah sich verwirrt um.

"Wo ...?", doch dann fiel sein Blick auf mich und er verstummte.

"Danke.", sagte ich bloß und kehrte ihm den Rücken zu. Ich wusste, dass er gerade ziemlich verwirrt und ängstlich war, da er sich an nichts erinnern konnte, seit ich ihn in meine Kontrolle gebracht hatte. So schnell wie möglich drückte er aufs Gaspedal und sein Wagen fuhr mit quietschenden Reifen davon. Seufzend drehte ich mich zum Haus. Komisch. Es fühlte sich nicht so an, als würde ich nach Hause kommen.

Ich drückte auf die Klingel. Eine Weile lang passierte nichts, doch dann hörte ich jemanden kommen. Mir wurde die Tür geöffnet. Meine Pflegemutter stand vor mir. Sie starrte mich eine Weile an, dann schien sie zu realisieren, wen sie da vor sich hatte. Ihre Augen weiteten sich und entsetzt starrte sie mein rechtes Auge an.

"M-Mika, w-was ...?", stammelte sie entsetzt und ihre Hand legte sich vorsichtig an meine rechte Wange, während sie mit ihrem Daumen vorsichtig über die Narbe strich.

Vorher war da zwar auch eine Narbe gewesen, aber nicht so eine. Sie musste jetzt denken, dass die im Internat sonst was mit mir angestellt hätten. Sie zog mich ins Haus und schloss die Tür hinter mir. Dann führte sie mich ins Wohnzimmer und drückte mich auf das Sofa.

"Es scheint mir, als hättest du mir viel zu erzählen.", sagte sie und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Allerdings sah ich trotz ihrem strengen Getue, dass sie sich um mich sorgte.

Ich holte einmal tief Luft, dann begann ich zu erzählen. Von meiner Ankunft, wie ich behandelt wurde, davon wie ich meine Kräfte entdeckte, wie ich auf Will traf, wie er zu mir hielt und allen verkündete und sagte, dass ich seine Schwester bin. Als ich bei der Stelle ankam, sah ich Hanne lächeln. Ich fuhr fort damit, wie ich und Damon uns anfreundeten und wie ich den Jäger tötete und somit Will und Claire aus dem Weg ging. Ich erzählte, dass Will mich dann nicht verurteilte, während Claire alles erzählte. Und so ging es weiter. Ich tötete Claire, zerstörte die Halle, floh in den Wald und traf auf den nächsten Jäger. Hanne verzog bei diesen Stellen das Gesicht und ein Ausdruck der Angst blitzte in ihren Augen auf. Angst vor mir. Es schmerzte mich das zu sehen. Aber ich ließ mir nichts anmerken. Wir kamen an dem Teil an, wo ich im Anwesen meiner Familie aufwachte und es endete mit meinem Verschwinden und dem, was ich über mich und meine Familie herausgefunden hatte.

Nun war ich gespannt, was Hanne wohl sagen würde, wie sie insgesamt reagieren würde. Doch sie starrte mich einfach nur an. Und dann brach sie in Tränen aus.  

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