Kapitel 17 - Mondnacht ✅

14.8K 1.1K 116
                                    

Ich hob wieder meinen Blick. Dieses Mal entschlossen. Ich würde die Dinge so lassen, wie sie waren. Ich würde sie nicht versuchen zu ändern. Bei dem Versuch würde ich doch ohnehin bloß scheitern.

»Ich will dich nie wiedersehen.«, kam es leise von Claire. »Wage es nicht noch einmal, mir unter die Augen zu treten!« Ihre Worte fühlten sich an wie Messerstiche auf meiner Seele, bohrten sich tief in mich hinein, ließen mich bluten. Giftige Worte voller Hass und Abscheu. Claire hinterließ mir nur Gift, ehe sie davonrannte.

Natürlich hatten ihre Worte mich verletzt. Aber was sollte ich schon groß ändern? Ich würde es akzeptieren wie es war. Trüb und leer gab ich mich dem hin. Wenn Claire wieder zu mir wollte, konnte sie das tun. Und wenn sie auch noch wieder mit mir befreundet sein wollte, konnte sie das auch. Aber ich würde nichts daran zu ändern versuchen wie es jetzt war, so lange sie nicht den Anfang machte. Es war ihre Entscheidung. Ich wollte sie zu nichts zwingen, was ich eigentlich durchaus konnte.

Nun waren Will und ich wieder alleine. Ich drehte mich zu ihm um. Er sagte nichts. Er sah mich auch nicht an. Und dann wandte er sich einfach ab und ging in sein Zimmer. Ohne ein einziges Wort zu sagen. Seltsamerweise verletzte mich das deutlich mehr, als Claires angewiderte Worte. Mir war, als stieße er mich mit seinem Verhalten gleichgültig über eine Klippe. Einen emotionalen Abgrund, der mir jede Kontrolle entriss.

In mir zerbrach etwas klirrend in unzählige Einzelteile. Meine Frage blieb dennoch weiterhin unbeantwortet. Hasste er mich jetzt oder nicht? Egal. Wenn er mich hasste, konnte ich das sowieso nicht mehr ändern. Meine geistigen Scherben schob ich zusammen und tunkte sie in Kleber. Redete mir ein, dass der Haufen wieder ganz war. Ich würde es akzeptieren müssen, wie auch alles andere. Auch das, was vielleicht noch folgen mochte. Wer konnte wissen, ob Claire auch ihren Mund über ihre neue Erkenntnis hielt?

Es konnte auch sein, dass bis morgen die ganze Schule wusste, was ich getan hatte. Aber ich würde dazu stehen. Ich würde mich nicht weiter verkriechen und wieder von der Wahrheit davon laufen. Wer weiß? Vielleicht traf ich irgendwann ja doch mal auf meine leiblichen Eltern und sie akzeptierten mich? Und wenn nicht, würde es mich zwar traurig stimmen, aber dann wäre es halt so. Ich hatte sechzehn Jahre ohne sie gelebt. Also werde ich auch weiterhin ohne sie leben können.

Die Ferien waren schon bald und ich würde Mutter wiedersehen. Dann würde ich ihr alles erzählen. Ohne etwas auszulassen. Ich hoffte, sie würde mich nicht hassen. Sie würde, wenn alles gut ging, vielleicht ein paar Tage nicht mit mir reden und mir aus dem Weg gehen und erst einmal alles überdenken, dann würde sie wieder mit mir reden. Sie liebte mich. Sie war schließlich meine Mutter. Was blieb ihr anderes übrig?

Ich würde noch mindestens zwei Jahre bei ihr bleiben, bis ich achtzehn wurde. Na gut, und einige Zeit auch auf dem Internat verbringen, bis auf in den Ferien. Also hätte sie mich trotzdem noch einige Zeit am Hals. Sei denn, sie entschloss sich, mich zur Adoption freizugeben. Aber das glaubte ich eher nicht von ihr. Sie war nicht so ein Mensch. Sie war eine gutherzige, fröhliche, warme Person. Anders, als ich. Klar konnte ich auch so sein wie sie. Aber nicht durchgehend. Ich war schließlich nicht sie.

Ich schaute zu der Tür, hinter der mein Bruder verschwunden war. Ich sollte ihn in Ruhe lassen. Er sollte erst einmal über das nachdenken können, was er gerade erfahren hatte.

Also ging ich zu der Tür, die aus dem Turm hinaus führte und gelangte in den menschenleeren Korridor. Ich wusste nicht, wie spät es war, aber es war mir auch egal. Ich musste erst einmal raus und an die frische Luft. Vielleicht konnte ich dann besser nachdenken, wie es jetzt weitergehen sollte.

Bei meinem Pech würde ich auch noch auf den Jäger treffen, der mir eventuell sein Messer über die Kehle zog. Zwar hatte er gesagt, dass er das nur tun würde, sah er die Notwendigkeit. Aber so, wie die Dinge gerade liefen, könnte er sich auch einfach umentscheiden.

Ich stieß die Tür auf, die nach draußen in die Freiheit führte. Überrascht blickte ich in den Himmel. Dieser hing gleich eines dunklen Tuchs über dem Gelände des Internats, mit unzähligen hellen Stickereien, die die Sterne darstellten. Der Mond warf sein silbernes Licht auf die Welt und ließ alles so unwirklich wirken. Es wirkte alles wie verzaubert, was allein am Mondlicht lag.

Das sanfte, kräftige Silber des heutigen Vollmondes strahlte etwas Mystisches, Kraftvolles aus. Es gefiel mir. Es fiel mir schwer, mich von seinem wundervollen Anblick abzuwenden.

Der kühle Wind strich tröstend über meine Wange. Leise brachte er meine Umgebung zum Rascheln.

Vielleicht hätte ich nicht hinausgehen sollen. Noch zu präsent war das Geschehen mit dem fremden Jäger. Wenn er hier gewesen war, weshalb sollte nicht wieder einer von ihnen auftauchen? Hier war ich nicht sicher. Falls ich das jemals gewesen war, schließlich hockte mir Damon im Nacken.

Dennoch - als hätte ich nichts dazugelernt - ging ich meines Weges, ließ die sicheren Mauern des Schlosses hinter mir.

Ich umrundete das Schloss und stieß auf einen klaren, großen See, in dessen beinahe schon durchsichtigem Wasser sich der silberne Mond spiegelte. Ich setzte mich an das Ufer und betrachtete das ruhige Wasser. Dieser Ort erschien so friedlich, als würde er gar nicht zum restlichen Internatsgelände gehören. Als handelte es sich um eine kleine eigene Welt, abseits der Gegenwart.

Mit geschlossenen Augen atmete ich die kühle Nachtluft ein. Hier war alles so schön ruhig. Hier brauchte ich keine Angst haben, dass plötzlich Claire, Will oder die anderen Elementare hier auftauchten. Meinetwegen konnte ich hier Ewigkeiten sitzen bleiben. Aber allzu lange wollte ich nicht wegbleiben und ich wusste nicht, wie lange ich schon draußen war.

Plötzlich ertönten Schritte und neben mir ließ sich jemand ins Gras fallen. Für einen Augenblick war ich verärgert. Ich hatte doch nur meine Ruhe gewollt. Dann aber schaute ich neben mich. Schweigend saß er dort und schaute starr auf den klaren Spiegel des Sees, der das Mondlicht reflektierte.

»Damon.«, stellte ich fest. Innerlich war ich zerrissen. Einerseits wollte ich sofort von hier verschwinden, andererseits aber wollte ich hier bleiben. Noch wollte ich nicht zurück. »Was tust du hier?«

Zum ersten Mal wandte er seinen Blick von dem Wasser ab und blickte mir in die Augen. »Dasselbe könnte ich dich fragen.«

ObscuraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt