Kapitel 62.2 - Mikas Plan

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Aber konnte man Theodor vertrauen? Schließlich würde er dann auch sehen wozu ich fähig war, würde er mitkommen. Konnte ich das riskieren? Ich kannte Theodor nicht. Und zu vertrauen war gefährlich. Allerdings konnte eine weitere Person im Kampf gegen die Jäger nicht schaden. Denn ich würde nicht nur gegen die Jäger, die sich hier in der Nähe aufhielten, etwas tun müssen. Eine kleine Gruppe wäre also nicht schlecht. Aber das sollte ich lieber einmal mit Desdemona und Liam klären. Ariadne hatte sowieso nicht wirklich etwas zu sagen, so lange es mit Töten und nur uns beiden als Gruppe zu tun hatte. Außerdem war sie gerade ziemlich unfreiwillig Mitglied in unserer Gruppe geworden. Und da ich wusste, dass sie sich um ihre Geschwister Sorgen machte, würde sie das bis zum Ende mit uns durchstehen. Ja, es war fies, sie damit später erpressen zu wollen. Aber bleib mir denn groß eine andere Wahl?

"Hast du eigentlich Lust, demnächst einmal wieder gegen mich zu spielen?", fragte Theodor Desdemona. "Du bist eine ebenbürtige Gegnerin." Er grinste und Desdemona tat es ihm gleich.
"Klar. Wieso nicht? Immerhin bist du auch nicht so übel.", stichelte sie.
"Nicht so übel?", fragte Theodor gespielt enttäuscht. "Und ich dachte, ich sie überragend!" Desdemona lachte. "Davon träumst du nachts!"
Liam schien nicht allzu verwirrt von diesem Gespräch. Bestimmt hatte er die beiden schon vor dem Bildschirm erwischt, als er gestern Abend zu Desdemona gegangen war, um mit ihr zu reden.

Unsicher sah ich von einem zum anderen. Sollte ich es wirklich wagen und Theodor zu unserer Gruppe hinzufügen? Ich war mir alles andere als sicher. Aber andererseits hatte ich das Gefühl, dass wir mit Theodor irgendwie komplett waren. Es war schwer zu beschreiben.

Plötzlich verstummte das Gespräch zwischen Desdemona und Theodor. Ich konnte förmlich spüren wie er mich anstarrte. "Hast du etwas?", wollte Theodor Stirn runzelnd wissen. "Du wirkst so nachdenklich." Kaum hatte er das gesagt, schon lag auch die Aufmerksamkeit von Liam, wie auch die von Desdemona auf mir.
"Na ja ...", meinte ich und überlegte, wie ich am besten anfangen sollte. Meine Hand strich über meinen Nacken. Sollte Theodor alles wissen oder reichte nur ein Bruchteil der gesamten Geschehnisse?

Als sich Desdemona erhob erlöste sie mich von der schweren Aufgabe zu antworten. "Hör mal, Theodor, das was du jetzt vermutlich hören wirst, ist nicht für alle Ohren bestimmt.", begann sie mit gesenkter Stimme. Ihre Augen huschten über die anderen, fröhlich oder grimmig essenden Schüler. "Das sollten wir wo anders besprechen." Desdemona schien der selben Meinung wie ich zu sein, dass Theodor ein potenzielles Mitglied unseres Teams sein könnte.

Mit einer auffordernden Geste brachte sie Theodor dazu aufzustehen. Liam und ich erhoben uns ebenfalls.

"Okay.", sagte Theodor langsam. Seine Augen huschten zwischen und dreien hin und her. "Was wird das? Was ist los?" Ich konnte es ihm nicht verübeln misstrauisch und vorsichtig zu sein. Ich an seiner Stelle würde nicht anders reagieren.

Desdemona packte den großen Jungen am Handgelenk und schleifte ihn hinter sich her. Etwas irritiert starrte Theodor auf sie herab. Ruckartig blieb Desdemona stehen, weshalb Theodor sie beinahe über den Haufen rannte. Sie ignorierte das, oder aber bemerkte das noch nicht einmal. Abwartend sah sie Liam und mich an. "Na los, worauf wartet ihr noch?", forderte sie uns auf und erst jetzt bemerkte ich, dass ich sie ziemlich überrumpelt anstarrte. Also nickte ich schnell und setzte mich in Bewegung. Wortlos folgte mir Liam.

Desdemona führte uns durch die zahlreichen Gänge. Sie achtete scheinbar überhaupt nicht darauf, wohin sie ging. Aber anscheinend fanden ihre Füße den Weg von ganz allein. Theodor stellte den gesamten Weg über keine Fragen. Das war vermutlich auch besser so.
Während Liam gedankenverloren hinter uns her schlenderte, versuchte ich mit Desdemona Schritt zu halten, doch sie hatte ein beachtliches Tempo drauf. Der einzige, der wohl kein Problem mit Desdemonas Geschwindigkeit hatte, war wohl Theodor, der durch seine langen Beine nur einen Schritt benötigte, wenn Desdemona bereits zwei oder drei Schritte gemacht hatte.
Obwohl, Liam schien auch kein Problem damit zu haben. Immerhin bemühte er sich nicht einmal mit ihr Schritt zu halten. Dennoch war er immer in unserer Nähe.

Abrupt blieb Desdemona vor einer unscheinbaren Tür stehen. "So.", sagte sie. "Da sind wir." Ohne uns weiter zu erläutern was das für ein Raum war, stieß sie die Tür auf uns ließ uns zuerst eintreten. Auf den ersten Blick wirkte der Raum wie eine gewöhnliche Rumpelkammer, doch auf den zweiten Blick bemerkte ich, dass es sich hierbei um einen ehemaligen Gemeinschaftsraum handelte. Es gab Sessel und zwei Sofas, die vor einem alten Kamin standen. Das alles befand sich allerdings im hinteren Teil des Zimmers, weswegen ich das nicht sofort gesehen hatte. Der vordere Teil war voll gestellt mit allerlei alten, teilweise auch kaputten, Dingen.

"Setzt euch.", sagte Desdemona und ließ sich als erste auf einem der Sessel nieder. Ich ließ mich auf das Sofa fallen. Theodor setzte sich neben mich und Liam blieb einfach mit vor der Brust verschränkten Armen stehen.
Desdemona wandte sich an Theodor. "Okay, zu aller erst solltest du wissen, dass ..." Desdemona sah ratlos zu mir. "Ja, was eigentlich?" Indirekt hatte sie so das Wort an mich weiter gegeben. Seufzend setzte ich mich ein wenig gerader hin. Fragend sah mich Theodor an.
"Was läuft hier eigentlich?", wollte er wissen. "Erst stürmt ihr beiden wie Verrückte in mein Zimmer und dann verstummt ihr auf einmal alle, kaum habe ich mich an euren Tisch gesetzt. Und jetzt das." Er blickte einmal in die Runde. Was soll das Ganze?"

"Pscht!", machte Liam. "Jetzt lass sie doch erst einmal ausreden!" Ungeduldig und wie üblich ein wenig schlecht gelaunt sah er uns an.

Etwas nervös rutschte ich auf meinem Platz hin und her. Doch dann begann ich von Ariadne zu erzählen. Was für einen Vorschlag sie mir gemacht hatte und was ich dafür hätte tun müssen. Desdemona runzelte missbilligend während meiner Erzählung die Stirn. "Die ist doch vollkommen irre.", meinte ich sie grummeln zu hören. Liam, der das ebenfalls gehört hatte, nickte leicht. Theodor schien überhaupt nicht zu reagieren. Sein Gesicht blieb ausdruckslos und es war, als wollte er erst einmal die gesamte Geschichte hören, ehe er urteilte. Ich war davon ziemlich beeindruckt.

Als ich davon erzählte, wie ich Ariadne vor die Wahl stellte und von meinem eigenen Plan erzählte, erschien auf Desdemonas Lippen ein breites Grinsen. Es war nicht zu übersehen, dass sie sich freute. Ich hatte Ariadne widersprochen und ihr keine andere Wahl gelassen, als sich meinen Bedingungen zu fügen. "Nun ja, und deswegen kam sie dann auch nicht mehr zurück zum Frühstück.", beendete ich meine Erzählung.

Skeptisch zog Theodor seine Augenbrauen hoch. "Und du willst, dass ich mit komme?", harkte er nach. Desdemona schnaubte. "Hast du etwa nicht zugehört?"
Theodor hob abwehrend die Hände. "Doch, natürlich habe ich das!", verteidigte er sich. "Aber wieso ich?" Daraufhin verdrehte Desdemona ihre Augen. "Na, denk doch mal nach! Wir können jede Hilfe im Kampf gegen die Jäger gebrauchen! Außerdem hast du diese" Sie machte eine Kunstpause und grinste. "elektrisierenden Kräfte!"
Theodor lehnte sich seufzend zurück. "Ha ha.", machte er tonlos. "Du weißt schon, dass ich bisher nur Geräte damit repariert habe, oder?"
Mit einer wegwerfenden Handbewegung war die Diskussion für Desdemona beendet, denn sie kam sogleich auf den Punkt. "Also." Sie lehnte sich im Sessel zurück und schlug ihre Beine lässig übereinander. "Seid ihr jetzt dabei oder nicht?" Dabei sah sie Liam und Theodor an.
Liam trat einen Schritt vor. "Natürlich!", meinte er entschlossen. "Den Jägern würde ich nur allzu gern einmal meine Meinung sagen!" Er konnte sich gerade noch davon abhalten, demonstrativ auf den Boden zu spucken.

Nun lagen alle Blicke auf Theodor. Dieser schien hin und her gerissen. Unentschlossen knetete er seine Hände. Würde er ablehnen, konnte ich nicht sagen, ob er uns an einen Lehrer verraten würde oder nicht. Konnte ich ihm überhaupt so etwas zutrauen? Intensiv musterte ich den schlaksigen Jungen. Ich wusste es nicht. Dafür musste ich ihn erst einmal kennen.
Doch als überraschender Weise ein entschlossenes Grinsen auf Theodors Gesicht erschien, waren all meine Zweifel wie weggeblasen.

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