Kapitel 71.2 - Mission: Saimon

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Der Wind wehte eisig in dieser Nacht und brachte die Blätter der Bäume zum Rauschen. Eigentlich war nichts dabei, doch wenn ich es genauer betrachtete, sah es dann doch irgendwie unheimlich aus. Die Bäume standen vollkommen schwarz vor uns. Sie wirkten wie Schatten. Tanzende Schatten.

Desdemona und Nawin hatten ihre Blicke starr nach vorne gerichtet, sodass sie von dem was um sie herum geschah, gar nichts mitbekamen. Still folgte ich ihnen. Mir schwirrten die Dinge im Kopf umher, die Desdemona noch kurz zuvor zu mir gesagt hatte. Natürlich wusste ich selber, was ich tat und was ich nicht tat. Außerdem kannte ich mich gut genug selbst um zu erkennen, dass ich mich in dieser Hinsicht kein bisschen geändert hatte. Obwohl ich mir schon mehrmals vorgenommen hatte, vor nichts mehr davonzulaufen. So gesehen tat ich es noch immer. Zumindest was meine Fähigkeiten betraf. Und ich sollte das wirklich endlich sein lassen. Doch das war schneller gesagt als getan. Ich bemerkte nicht einmal mehr, wenn ich es unterbewusst doch tat.

Wir erreichten die Straße, die in vollkommener Dunkelheit vor uns lag. Keine einzige Straßenlaterne spendete ihr Licht. Generell konnte ich keine Straßenlaternen sehen. Es war still. Vollkommen still. Bis auf das Rauschen der Bäume im Wind war nichts zu hören.

"Es ist schon viel zu spät.", bemerkte Nawin trocken. "Jetzt wird es noch schwieriger, ein Auto zu finden." Hoffnungslos ließ er seinen Kopf hängen. Na, der verlor seine Hoffnung aber schnell! Vorhin noch hat er davon nur so gesprüht. Desdemona schien das zu nerven.

"Du warst noch nie so pessimistisch wie jetzt!", sagte sie abschätzend.
Nawin zuckte bloß mit seinen Schultern. "Ach, und du bist so viel besser? Ein Sonnenschein bist du nun auch nicht."
Jetzt war es an Desdemona, desinteressiert mit den Schultern zu zucken. "Na und?", sagte sie. "Das hat bisher niemanden gestört. Dann bin ich halt ein Mondschein."
Mit dieser Aussage wurde sie von Nawin und mir schief angesehen. "Mondschein?", hakte ich nach. "Das gibt es gar nicht als Redewendung."
Desdemona grinste bloß. "Dann gibt es sie halt jetzt."
Nawins Blick glitt wieder auf die dunkle Straße. "Mondschein ist viel zu fröhlich für dich.", meinte er und ignorierte Desdemonas genervten Blick, den er somit auf sich gezogen hatte.
"Halt doch deine Klappe.", brummte Desdemona und wandte sich an mich. "Willst du deine Meinung auch noch los werden? Dann leg mal los!" Abwartend betrachtete sie mich mit vor der Brust verschränkten Armen, während ihr rechter Fuß ungeduldig in unregelmäßigen Abständen auf den Boden trommelte.
Ich schüttelte meinen Kopf. "Nein, ich lasse es lieber."
"Ist auch besser so.", brummte Desdemona und ließ ihren Blick nun ebenfalls über die leere Straße schweifen.

Vermutlich wäre es doch besser gewesen, wenn wir bis zum Morgen gewartet hätten. Unsere Chancen hier, mitten im Nirgendwo, ein Auto zu sehen waren sowieso relativ gering. Doch da es jetzt auch noch mitten in der Nacht war ... Außerdem hätten wir den Schlaf alle gut gebrauchen können.

Der Geräusch eines Motors riss mich aus den Gedanken. Ruckartig sah ich auf und konnte in der Ferne schon das Licht zweier Scheinwerfer erkennen. "Hey, Leute!", rief ich, sodass die beiden nun auch in dieselbe Richtung sahen. Desdemonas Blick erhellte sich augenblicklich, während Nawin einfach nur fassungslos starrte.
"Tatsächlich. Ein Auto!", murmelte er. "Wer fährt denn um diese Uhrzeit noch hier lang?"
"Na endlich!", sagte Desdemona und gab mir einen kleinen Schubs in Richtung Straße. Nawin, dem das natürlich nicht entging, riss entsetzt seine Augen auf. "Desdemona, was soll das?! Willst du sie umbringen?!", rief er außer sich und wollte mich schnell wieder zurück an den Rand zerren, doch Desdemona hielt ihn zurück.
"Sie wird schon nicht draufgehen, Idiot.", beruhigt sie ihn ein wenig genervt. "Schließlich machen wir das nicht zum ersten mal. Und so blöd bin ich auch nicht, dass ich unsere Geheimwaffe ein paar Tage vor der Invasion der Jäger sterben lasse."
Nawin, der von der Sache definitiv nicht überzeugt war, beobachtete mich nun skeptisch.

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