Kapitel 4.2 - Neuanfänge ✅

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Da morgen Montag war und ich einen Tag vor dem offiziellen Beginn des Schuljahres da sein sollte, war heute bereits der Tag der Abreise. Also hatte ich meinen Koffer gepackt. Dies hatte sich als deutlich schwieriger als sonst erwiesen. Normalerweise packte ich nie für mehr als zwei Wochen. Jetzt packte ich für mehrere Monate. Dementsprechend hatte ich einige Probleme herauszufinden, was ich mitnehmen sollte und was nicht. Hanne half mir dabei. Sie war ganz aufgeregt. Beinahe kam es mir vor, als wäre sie diejenige, die bald Schülerin an einer neuen Schule war, und nicht ich.

»Bereit?«, fragte sie mich lächelnd, als ich den nun fertig gepackten Koffer in den Flur hievte. Ihre blauen Augen funkelten aufgeregt. Im Gegensatz zu mir hatte sie ihre Jacke schon an. Nur die Schuhe fehlten noch. Doch nach diesen griff sie nun und setzte sich.
»Nein.«, sagte ich wahrheitsgemäß. Ich war absolut noch nicht bereit. Vor Nervosität waren meine Handinnenflächen ekelig feucht und mein Herz wollte nicht aufhören zu rasen.
»Das wird schon.«, lachte sie, während sie sich den ersten Schuh anzog. Schweigend tat ich es ihr gleich. Meine Hände zitterten. Es wäre das erste Mal, dass ich länger als eine Woche ohne Hanne verbringen würde. Mir war, als würde sich jetzt alles ändern. Und ich hasste die Ungewissheit, die es mit sich brachte. Beinahe automatisch machte ich mich fertig. Hanne ließ ihre Schlüssel klimpern und öffnete die Haustür. Bedrückt folgte ich ihr. Da ich keine Freunde hatte, die mich jetzt noch verabschieden könnten, marschierte ich direkt auf das Auto zu. Den Kofferraum hatte meine Mutter bereits für mich geöffnet. Mit ihrer Hilfe schaffte ich es auch, mein schweres Gepäck sicher zu verstauen.

»Na komm. Auf geht's! Ich bin sicher, es wird dir dort gefallen.«, sagte sie enthusiastisch. Angespannt ließ ich mich auf dem Beifahrersitz nieder. Hanne setzte sich hinter das Steuer. Dann startete sie den Motor. Es ging los. Es ging jetzt tatsächlich los. Viel zu schnell, nach meinem Geschmack. Gerne hätte ich mich innerlich zumindest ein paar Tage hier drauf vorbereitet. Vielleicht wäre ich dann gelassener als jetzt.

Wir würden jetzt zum Privatjet fahren. Erneut fragte ich mich, wer das alles finanzierte. Hätte es nicht gereicht, in ein Taxi zu steigen oder in die Bahn? Aber dann hätten wir ja den ungefähren Standort des Internats gekannt. Und das sollten wir nicht. Gab es deshalb Privatjets?

Dort würden bestimmt auch andere Elementare sein. Allein diese Vermutung beunruhigte mich. Musste ich so früh schon auf andere Elementare treffen? Wenn ich mich mit denen nicht verstand, wäre das ein toller Start. Vor Nervosität hielt ich es kaum aus. Und sie wurde von Minute von Minute schlimmer. Hinzu kamen die Bauchschmerzen, die dadurch verursacht wurden. Hanne manövrierte den Wagen aus der Einfahrt.


Wir fuhren schon eine halbe Stunde. Die Landschaft zog an mir vorbei, während ich schweigend und nervös aus dem Fenster starrte. Bäume, Städte, Häuser. Alles zog vorbei. Allerdings bekam ich davon gar nicht so wirklich etwas mit. Viel zu sehr war ich mit mir selbst beschäftigt und versuchte, mich zu beruhigen. Es würde alles gut werden.
Schließlich lenkte Hanne den Wagen in einen Wald und es wurde ein bisschen holperig. Plötzlich bog sie in eine schmale Straße ein, die ich gar nicht bemerkt hatte, da sie von Bäumen und Büschen versteckt war. Sie folgte der Straße, die letztendlich breiter wurde und wir auf einem Parkplatz landeten. Geschmeidig parkte sie den Wagen und sie schaltete den Motor aus.

»Es ist so weit.«, sagte sie und ich bemerkte, dass ihre Stimme leicht belegt klang. Sie atmete einmal tief ein, schloss ihre Augen für einen Moment und öffnete sie wieder. Nun hatte auch sie mit ihren Emotionen zu kämpfen. Still nickte ich. Ich brachte kein Wort heraus. Zeitgleich öffneten wir beide unsere Türen und steigen aus. Die wenigen Schritte bis zum Kofferraum fielen mir unglaublich schwer. Meine Mutter hatte bereits meinen Koffer herausgeholt und ihn neben sich gestellt.

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