Kapitel 38.2 - Ariadne Glacials Geschichte

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"Aber Ariadne ist kein Monster!", entgegnete ich und verschränkte meine Arme vor der Brust.

Nun explodierte Desdemona. "DU BIST KEIN MONSTER, MIKA! BEZEICHNE DICH NICHT SELBST SO! DAS DARF NUR ICH! HÖRST DU? NUR ICH!"

In ihren Augen funkelte die Wut. "Hörst du? Du bist kein Monster."

Ich mied ihren Blick. Natürlich war ich ein Monster. Konnte Desdemona das denn nicht verstehen? Sie hatte doch selber Angst vor mir gehabt. Genauso wie Damon und Ariadne. Konnte sie mir da noch sagen, dass ich kein Monster war?

Desdemona packte mich an den Schultern, sah mir fest in die Augen und begann mich fest durchzuschütteln.

"Du. Bist. Kein. Monster. Dumme. Kleine. Ghost." Sie schüttelte mich weiterhin. "Dumme. Kleine. Ghost." Sie ließ mich los. "Dumme, dumme, kleine Ghost." Desdemona schüttelte ihren Kopf, während sie mich betrachtete. "Damon ist ein Monster."

Ich wollte etwas erwidern, doch als ich bemerkte, dass ich ihn verteidigen wollte, ließ ich es sein. Er verdiente es nicht, dass ich ihn selbst jetzt noch verteidigen wollte.

"Lass uns was essen." Desdemona erhob sich und schnappte sich die Akte. "Kommst du?"

Ich nickte und folgte ihr aus dem Zimmer. Sie schloss die Tür noch ab und wir liefen den menschenleeren Flur entlang. Keiner von uns beiden redete. Wir waren beide viel zu sehr mit unseren eigenen Gedanken über Ariadne und ihrer Familie beschäftigt.

Wie konnten ihre Eltern ihr nur so etwas antun? Jetzt tat sie mir leid. Jeder hatte einen Grund, um so zu sein, wie er nun einmal war. Und das war wohl Ariadnes. Nun gut, der Teil, bei dem sie bei den Jägern war, war für Desdemona und ich noch hinter Schatten verborgen. Doch ich war zuversichtlich, dass wir auch diesen Teil noch finden würden. Irgendwann hätten wir Ariadne enträtselt.

Doch würde sie irgendwann aufhören, eine Jägerin zu sein? War es nicht bereits zu spät dafür? Ich wusste ja nicht einmal, welchen Status sie unter den Jägern hatte. Damon jedenfalls war ein hochrangiger Jäger. Er war immerhin der Sohn einer alten Jägerfamilie, dessen Vorfahre die Jäger ins Leben gerufen hatte.

Doch was war mit Ariadne? Ich bezweifelte, dass sie den Jägern ihre Geschichte erzählt hatte. Also musste sie unter ihnen ein Mysterium sein. Machte nicht gerade die Unwissenheit über ihre Vergangenheit sie so bedrohlich? Die Jäger konnten ihr nicht drohen, sie konnten ihr nichts nehmen, dass ihr am Herzen lag, da sie rein gar nichts über Ariadne wissen konnten. Hatte Ariadne Freunde unter den Jägern? Selbst das bezweifelte ich. Sie war eine Einzelgängerin. Und somit hatte sie keine Schwäche. Keine Person, von der man wusste, es würde sie verletzen, wenn sie nicht mehr wäre.

Doch ich wusste es. Ariadne konnte ihre Geschwister nicht hassen. Soweit ich gelesen hatte, hatten diese ihr helfen wollen. Vielleicht würde sie tatsächlich wieder zu Vernunft kommen, wenn sie ihre Geschwister wieder sah. Doch was, wenn ich mich irrte? Und Ariadne sich auch von ihnen abgewendet hatte und auch sie hasste? Doch das Risiko musste ich eingehen. Aber wie sollte ich hier wegkommen, ohne dass Lady Darkstone es bemerkte? Desdemona hatte recht. Lady Darkstone würde mein Leben nicht für jemanden riskieren, für den es vielleicht schon zu spät war, um wieder auf die richtige Seite zu wechseln.

"Wen haben wir denn da?" Erklang eine tiefe Stimme. Desdemona und ich blieben stehen. Eine große Gestalt trat aus den Schatten eines schmalen Ganges. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht stellte er sich uns in den Weg.

"Liam." Desdemonas Stimme triefte vor Kälte.

"Desdemona.", sagte Liam provozierend.

Desdemona erdolchte ihn mit ihren Blicken und machte einen Schritt auf ihn zu, doch ich hielt sie zurück. "Lass das, Desdemona, er ist es nicht wert."

Leise fluchend begann sie, Liam zu ignorieren.

Erst jetzt bemerkte ich, das Liam und aus großen Augen betrachtete.

"Was?!", fuhr ich ihn an.

Liam war sprachlos. Was war denn mit dem los? "W-Wie hast du das gemacht?"

"Was?" Verwirrt sah ich ihn an. 

"Na, das!" Liam deutete auf Desdemona.

Nun verstand ich überhaupt nichts mehr. Was meinte er bitte?

Liam verdrehte nun genervt die Augen. "Du hast sie mit ihrem Vornamen angesprochen und sie versucht dir nicht die Augen auszukratzen!"

"Sie ist auch meine Freundin!", pampte Desdemona Liam an.

Liam weitete seine Augen. Ebenso ich. Desdemona hatte mich als ihre Freundin bezeichnet. Und nun fiel auch mir auf, dass sie mich nicht angemeckert hatte, weil ich sie aus Versehen "Desdemona" genannt hatte.

Nun fiel Liams Blick auf die Akte, die Desdemona noch immer in der Hand hatte. Er hatte sich nun wieder gefasst und ignorierte die Tatsache, dass ich Desdemona Desdemona nennen konnte, ohne dass sie mir an die Gurgel gehen wollte.

"Was hast du denn da?" Er wollte Desdemona die Akte aus der Hand ziehen, doch sie war schneller und zog ihre Hand weg, während sie ihn mit Todesblicken besah.

"Lass deine Hand bei dir, du elendiger Großkotz und lass uns in Ruhe! Das hier geht dich nichts an!" Einer ihrer Schatten fand unbemerkt seinen Blick zu Liam, der augenblicklich vor Schmerzen aufschrie.

"Du böse Hexe!", presste er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

"Das trifft mich aber nun wirklich!" Desdemona fasste sich gespielt verletzt ans Herz.

"Lass das!", zischte Liam.

"Weshalb sollte ich?", fragte Desdemona provozierend. Sie zog ihren Schatten zurück und Liam konnte erleichtert aufatmen.

"Du bist so eine böse Hexe! Wieso musst du immer nur so sein?!" Liam sah Desdemona böse an.

"Hey! Hexen sind nicht böse!", rief ich dazwischen. Desdemona brach in Gelächter aus, während Liam mich mit hochgezogenen Augenbrauen zweifelnd ansah.

"Doch! Desdemona ist böse!", erwiderte Liam.

"Nenn. Mich. Nicht. Desdemona.", presste Desdemona wütend hervor und wollte Liam wieder mit ihren Schatten verletzen, doch ich hielt sie auf.

"Aber Desdemona ist keine Hexe.", bemerkte ich.

"Oh doch!", meinte Liam, "Sieh sie dir doch mal an!"

"Sie ist keine Hexe.", beharrte ich und ich musste es ja wohl wissen.

"Ach komm, lass gut sein." Desdemona tätschelte mir die Schulter. Genau in diesem Moment war sie unaufmerksam und Liam entriss ihr die Akte.

"NEIN!", kam es zur gleichen Zeit von Desdemona und mir und wir beide versuchten noch Liam die Akte zu entziehen. Doch er war dieses mal schneller und drehte sich weg. Sein Blick veränderte sich, als er den Namen auf der Akte las.

"Ariadne Glacial?", las er fragend. Er warf uns einen Seitenblick zu. "Was soll das? Weshalb habt ihr Ariadnes Akte? Wie seid ihr überhaupt an die gekommen?"

"Gib das zurück!" Desdemona kreischte wie eine Furie los, als sie sich mit aller Kraft auf Liam warf, damit dieser bloß die Akte nicht las. Desdemonas Angriff traf Liam so überraschend, dass dieser mit Desdemona zu Boden fiel und die Akte aus seiner Hand, über den Boden schlitterte.

"Lune! Nimm die Akte! Ich halte ihn auf!" Sie drückte Liam zu Boden. Sein Gesicht hielt sie mit ihrer einen Hand am Boden. Stöhnend versuchte er, von ihr weg zu kommen.

"Du Verrückte, geh runter von mir!", nuschelte er in den Boden.

"Ich denke überhaupt nicht daran, du Großkotz!"

Ich riss meinen Blick von den beiden los und wollte zu der Akte gehen, als ich erstarrte und hielt angespannt die Luft an.

"Was ist hier los?" Ariadnes eiskalter Blick glitt über uns und blieb bei der Akte hängen.

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