Kapitel 37.2 - Familiengeheimnisse und bevorstehende Bedrohungen

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Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte sie sich um, ging an Desdemona vorbei und setzte sich hinter ihren Schreibtisch auf den schwarzen Schreibtischstuhl. Ihre dunklen Augen musterten mich weiterhin. Ihr Zeigefinger klopfte leise in seinem eigenen Takt auf den Schreibtisch.

"Was mache ich jetzt nur mit dir, Mika Lunar-Eclipse?" Nachdenklich ließ sie ihren Blick durch das Büro gleiten. Ihr Blick landete wieder bei mir. Ihre Augen musterten mich zusammengekniffen. "Du kannst doch keine normale Ghost Elementary sein, wenn die Jäger dich um jeden Preis töten wollen, dass sie sogar dazu bereit sind, hier her zu kommen. Hier leben Elementary, deren Kräfte den Jägern unbekannt sind. Sie würden nicht ihr eigenes Leben dem Unbekannten opfern, um eine normale Ghost zu töten." Na danke aber auch.

"Sie ist keine normale Elementary!", fuhr Desdemona Lady Darkstone an. Doch diese ignorierte Desdemonas Zwischenruf und widmete sich vollkommen mir.

Lady Darkstone stützte sich auf ihre Ellenbogen und sah mich aus ihren dunklen Augen an. "Sag mir, Mika, was ist dein Geheimnis? Da muss es doch etwas geben."

Oh ja, in der Tat. Da gab es was. Doch wie wollte ich das nun jetzt alles erzählen? Der Tagebucheintrag! Der würde reichen, aber ... "Könnte ich eventuell etwas ausprobieren?" Etwas verwirrt sah Lady Darkstone mich an, nickte aber. "Natürlich."

Ich nickte kurz und nahm ihren Blick gefangen. Lady Darkstone erschrak, konnte sich aber nicht bewegen. Sie versuchte sich zu wehren, doch hatte nicht die Macht dazu. Ich glaubte, ihre Angst war es, machtlos zu sein. Doch darauf konnte ich nun keine Rücksicht nehmen. Ich durchforstete mein Gehirn nach den Erinnerungen, wo ich das Tagebuch gelesen hatte. Kaum hatte ich genau diese gefunden, versuchte ich sie in den Geist von Lady Darkstone zu schieben. Ihr Geist wehrte sich, versuchte meinen abzublocken und aus ihrem Kopf zu bekommen. Ich jedoch schaffte es und Lady Darkstones Geist konnte mich nicht mehr fernhalten. Anders als Damon, der ein Jäger war, konnte sie sich nicht gegen meinen Geist wehren, der versuchte in ihren Geist einzudringen.

Damon damals hatte mich sofort bemerkt, jedoch nichts unternommen, obwohl mir nun bewusst war, dass er es gekonnt hätte. Er hätte mich einfach wieder rauswerfen können. Jäger waren wohl darauf trainiert, Ghosts aus ihre Köpfen zu verdrängen.

Lady Darkstones Augen wurden leer, sie bekam gerade einen Einblick in meine Erinnerungen. Ich bemerkte Desdemonas besorgten Blick auf ihrer Tante ruhen. Sie hatte also immer noch etwas für Lady Darkstone übrig, auch wenn sie es zu verdrängen suchte und tief in sich drinnen versteckte. Irgendetwas muss vorgefallen sein. Sonst wäre die Lage zwischen den beiden nicht so angespannt und kalt. Und ich wusste, dass Lady Darkstone bereute. Was auch immer es war. Sie bereute. Doch ob es Desdemona genügte, war eine andere Frage.

In die Augen der Direktorin kam wieder Leben. Sie schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an, atmete schwer. So eine Erfahrung hatte sie noch nie gemacht. "Du ..." Der Direktorin fehlten die Worte. "Unmöglich ...!"

Ich ging auf sie zu, war die Ruhe selbst. "Wie Sie sehen, ist es nicht unmöglich." Lady Darkstone konnte mich nur anstarren. "Aber ...!" Ich schüttelte den Kopf. "Kein aber." Die Besitzerin des Schlosses schwieg. Ich hatte sie sprachlos gemacht. Etwas, das wohl nicht allzu oft vorkam.

Sie wandte sich an Desdemona. "Du weißt es?"

"Noch nicht lange.", erwiderte Desdemona bloß knapp.

Lady Darkstone massierte sich seufzend sie Schläfe und schloss kurz ihre Augen, als wollte sie sich für einen Moment lang ausruhen. Als sie schließlich wieder ihre Augen öffnete, wirkte sie entschlossen. Kurz darauf erhob sie sich. Sie wirkte ernst.  Vollkommen ernst und für einen Moment lang hatte ich die Sorge, dass sie mich für das Wohl ihrer Schüler und ihrer Nichte ausliefern oder vor die Tür setzen würde. Doch es geschah nichts dergleichen. "Niemandem, der unter meinem Dach lebt, wird etwas geschehen. Auch Ariadne nicht. Sie ist vom richtigen Weg abgekommen, doch ich denke, dass man sie wieder auf de richtigen Weg bringen kann, wenn sie es nur zulässt. Und auch dir, Mika, wird niemand etwas antun, solange du in meinem Schloss zu Hause bist."

Erleichterung überkam mich. Ich hatte mich in dieser Frau nicht geirrt. Auf meinen Lippen bildete sich ein Lächeln. Und ich bildete mir ein, für einen kurzen Augenblick auch eines auf Desdemonas Lippen gesehen zu haben.

"Nun geht.", sagte Lady Darkstone, "Ich werde mir etwas einfallen lassen, für den Augenblick, wenn die Zeit gekommen ist. Ihr kümmert euch um Ariadne Glacial. Sie ist kein schlechter Mensch, auch wenn sie viel schlechtes getan hat." Lady Darkstone lief zu einem Schrank voller Akten, suchte einige Sekunden lang und zog dann eine schmale Akte heraus. "Hier." Sie übergab sie an Desdemona. "Ich vertraue darauf, dass ihr das in den Griff bekommt." Desdemona nickte ihrer Tante kurz zu und verließ dann mit mir den Raum.

"Was hat sie dir gegeben?", fragte ich Desdemona. Wortlos reichte sie mir die Akte. Ich nahm sie und mir sprang ein Name ins Auge. Vorne auf der Akte stand Ariadnes Name geschrieben.

"Meinst du, wir können das schaffen?" Desdemona wirkte unsicher.

"Wir können es nicht wissen, wenn wir es nicht versuchen.", meinte ich.

"Aber Ariadne ist ein Arschloch!", kam es von Desdemona.

Ich musste lachen. "Ja, in der Tat, aber vielleicht wird sie ja bald keines mehr sein?"

Nun schlich sich auch ein Grinsen auf Desdemonas Lippen. "Vielleicht."

Sie sah sich um. "Also, wo fangen wir an? Wo könnte Ariadne sein?"

"Vielleicht in ihrem Zimmer?"

Desdemona zuckte mit ihren Schultern. "Ja, aber ich habe keine Ahnung, wo das ist. Außerdem hat sie sicher eine Mitbewohnerin. Wollen wir das nicht lieber mit ihr alleine besprechen?"

"Sie hat keine Mitbewohnerin.", sagte ich.

"Ach ja? Woher willst du das wissen?" Desdemona stemmte ihre Hände in ihre Hüfte.

"Weil sie keine hat. Auf dem Namensschild steht nur ihr Name."

Sie zog eine Augenbraue hoch. "Du weißt, wo ihr Zimmer ist?"

Ich nickte. Sollte ich ihr das jetzt erklären oder es einfach dabei belassen? Schließlich würde es kompliziert sein, ihr etwas zu erklären zu versuchen, was sie sich nicht vorstellen konnte. Oder konnte sie es sich vorstellen? Egal, das konnten wir später noch besprechen. Erst einmal mussten wir zu Ariadne. Doch wie sollten wir nur anfangen? Wir konnten ja schlecht bei Ariadne hineinplatzen und sagen, dass wir ihr helfen wollten.

"Wir müssen erst einmal ihr Vertrauen gewinnen.", sagte ich nachdenklich.

"Ja, aber wie machen wir das? Du weißt doch, wie Ariadne ist ... " Desdemona wirkte nicht sehr überzeugt. Ihr Gesicht erhellte sich. "Du kannst sie doch einfach dazu bringen, uns zu vertrauen!"

Doch ich schüttelte nur den Kopf. "Jäger sind darauf trainiert, Ghosts aus ihren Köpfen zu verbannen. Und dann würde sie uns erst recht misstrauen."

Desdemona seufzte und kickte ein Buch aus dem Weg, das wohl jemand hier verloren hatte. Mit einem dumpfen Geräusch schlug es gegen die Wand. "Wie machen wir es dann?"

"Ich weiß es nicht.", antwortete ich ehrlich. Ich wusste ja noch nicht einmal, ob Ariadne je mit uns reden würde.

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