Kapitel 33.2 - Aufgeflogen?

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Sie wusste es. Dieser Satz hallte leise in meinem Kopf. Mein Herz pochte. Was sollte ich tun? Ich hatte überhaupt keine Ahnung. Langsam wich sie einen Schritt zurück. Desdemona zitterte. War ich wirklich das Monster, dass Damon in mir sah? War ich es überhaupt Wert, zu leben? Noch nie hatte mich diese Frage beschäftigt. Doch jetzt tat sie es. Und es war keine angenehme Frage.

Nun drehte sie sich um und rannte davon. Langsam kam wieder Leben in mich. "Hey!", rief ich, "Hey, warte! MacKenzie!" Sofort folgte ich ihr. "MacKenzie!" Doch Desdemona blieb nicht stehen. Natürlich nicht. Weshalb auch?

Sie stürmte gerade die knarzende Treppe hinunter. Ich tat es ihr gleich. Unten angekommen bemerkte sie, dass ich ihr immer noch nicht folgte und sie ließ ihre Schatten auf mich los. Doch dieses mal krochen diese nicht langsam, sondern schossen blitzschnell, stürzten über mir zusammen und ich war in ihnen gefangen.

Wieder brach der unfassbare Schmerz über mir herein. Weit riss ich meine Augen auf und konnte mir meinen schmerzerfüllten Schrei nun nicht ersticken. Es fühlte sich an wie tausende Messerstiche, die über mich hineinbrachen. Dazu brannte der Schmerz noch fürchterlich und ich kam nicht darum herum zu schreien.

"MacKenzie, hör auf!", brachte ich zwischen meinen Schreien hervor. Keuchend versuchte ich einen weiteren Schmerzensschrei zu unterdrücken.

Leicht hob ich meine Fingerspitzen und sofort stoben die Schatten auseinander. Keuchend und schwer atmend lag ich am Boden und versuchte mich wieder zu beruhigen, denn meine Augen waren wieder die Meinen geworden. Desdemona starrte mich an.

Ich musste mich zusammenreißen, mich nicht einfach wütend auf sie zu stürzen und sonst was zu tun. Langsam erhob ich mich, holte einmal tief Luft und ließ meine Augen wieder giftgrün werden.

Desdemona bewegte sich nicht. Sie machte keine Anstalten die Flucht zu ergreifen. Noch nicht. Ich sah ihr fest in die Augen, ließ sie nicht los, sie konnte nicht fliehen. Nicht, solange ich es nicht zuließ. Ich bemerkte, wie sie panisch wurde. Schweißperlen funkelten auf ihrer Stirn, als ich näher kam, während sie versuchte zu fliehen. Doch sie musste bemerken, dass es ihr unmöglich war. Sie konnte ja nicht einmal woanders hinsehen, da ich sie mit Hilfe meines Blickes gefangen hielt. Ich weiß, vielleicht hätte ich es anders angehen sollen, als sie gegen ihren Willen an der Stelle festzuhalten, unfähig auch nur irgendetwas zu tun.

Je näher ich ihr kam, desto panischer wurde sie, wollte rennen, Hauptsache weit genug weg von mir, dem Monster. Was würde nur meine Familie sagen, wenn sie das von mir wüssten? Mein Bruder. Meine Eltern. Meine Großeltern. Was würden sie sagen? Doch wenn ich ehrlich war ... Wollte ich es überhaupt wissen?

Vor ihr blieb ich stehen. Es war Unterricht. Eigentlich. Also sollten wir ungestört sein. In ihren Augen sah ich ihre Angst. Ihre vor Anspannung zitternden Fäuste (die sie auch nicht bewegen konnte) deuteten darauf hin, dass sie ihre Schatten loslassen und auf mich hetzen wollte. Doch ich ließ sie nicht.

"MacKenzie ...", begann ich und wusste schon nicht mehr, was ich tun sollte. Sie schien zu bemerken, dass ich vollkommen planlos war. Ich musste ihr wohl oder übel die komplette Geschichte erzählen müssen. Die Wahrheit. Auch wenn ich es nicht wollte. Aber die Wahrheit konnte sie vielleicht überzeugen. Doch konnte ich Desdemona vertrauen? Ich kannte sie noch nicht lange und ich kannte ihre launische Art. Ich konnte nicht vorhersehen, wie sie reagieren würde, nachdem ich ihr meine Geschichte erzählt hatte. Würde sie zu jemanden rennen und es ihm erzählen? Würde sie sich von mir fernhalten und einfach nichts sagen oder ... würde sie mir womöglich sogar helfen? Nun gut, das letzte war irgendwie für mich ein wenig unwahrscheinlich.

Ich schluckte. Vielleicht sollte ich sie doch erst einmal mit auf unser Zimmer nehmen. Das wäre glaube ich sicherer. Die Wahrheit war nicht für jede Ohren bestimmt. Andere wiederum konnten nicht mit der Wahrheit umgehen. Doch würde Desdemona das können?

Ich führte sie zu unserem Zimmer. Sie konnte weder schreien, noch sonst etwas tun. Mit einem mulmigen Gefühl schloss ich unsere Zimmertür auf, ließ Desdemona passieren und schloss hinter uns wieder ab. Sie lief zu ihrem Bett und setzte sich widerwillig. Ich jedoch konnte nicht still sitzen. Dazu war ich zu nervös. Ich musste mich schon dazu zwingen, ruhig dort zu stehen.

Ich fuhr mir nervös mit der Hand durch das Haar. "Verdammt, wie soll ich dir das denn jetzt erklären?"

Desdemona sagte nichts. Natürlich. Konnte sie schließlich nicht. Zumindest im Moment nicht. Doch ich war auf ihre Reaktion gespannt. Obwohl ich mir nicht all zu viel erhoffte, war sie immer noch da. Die klitzekleine Hoffnung, dieser klitze kleine Schimmer, der hoffte, Desdemona würde bleiben. Doch weshalb sollte Desdemona bleiben. Bisher hatte ich nicht wirklich das Gefühl, sie würde mich sonderlich mögen. Immerhin hatte sie Liam bereits gesagt, dass wir keine Freundinnen waren und bei Desdemona konnte ich es mir auch nur schwer vorstellen, sie als eine Freundin zu nennen. Es war immerhin Desdemona. Und es würde mir schon reichen, wenn sie nicht wieder davon rannte, sondern ruhig blieb.

Ich holte noch einmal tief Luft. Schließlich begann ich meine Erzählung.

Wie es anfing, als ich von überhaupt nichts wusste, der Angriff von Damon im Wald, wie Hanne mir ein wenig zu erklären anfing. Claire, als ich sie kennenlernte, das Elementary Internat und wie sehr es mich beeindruckt hatte, wie ich eine Außenseiterin war, als niemand mir sagen konnte, welches Element ich beherrschte. Kurz schwieg ich. Ich erwähnte kurz Will, dann diese Sache auf dem Kampfplatz, was dort geschehen ist. Heute wusste ich nun, dass es Schatten waren, die ich eingesetzt hatte, während die anderen vor Schmerzen schrien. Als ich erfahren hatte, was für eine Elementary ich war, als alle mich zu meiden begannen, wie Will auf einmal sagte, dass ich seine Schwester sei, Damon mit dem ich mich anfreundete, die Angriffe der Jäger und meine Reaktionen, wie ich Claire tötete.

Das alles erzählte ich der reglosen MacKenzie, deren Reaktionen ich erst später erfahren würde, wenn ich ihr ihren Willen wieder geben würde.

Es ging weiter damit, dass ich zu meiner leiblichen Familie gebracht wurde, das Training mit meinem Vater, Damons Verschwinden, mein Verschwinden von Zuhause. Und auch, dass ich gesehen habe, was Damon tat. Ich erzählte ihr, was ich durch das Tagebuch erfahren hatte. Wie ich wieder zu Hanne ging, was dort passierte, wie ich erneut floh und auch noch auf Damon traf. Seine Worte. Dass sie mich verletzt hatten. Wie ich schließlich mein Aussehen verändert hatte und das Darkstone Internat gefunden hatte.

Ich beendete meine Erzählung, die im Schweigen endete. Ich gab Desdemona wieder frei. Diese schwieg, schien ihre Gedanken ordnen zu müssen und das was ich ihr erzählt hatte erst einmal zu realisieren. Sie sagte lange Zeit nichts, war einfach still, mied meinen Blick. Doch schließlich hob auch sie ihren Kopf und sah mir in die Augen.

Konnte ich etwa Mitgefühl und Respekt sehen? Doch immer noch war da diese Angst, die sie vor mir hatte.

"Du hast viel durchgemacht.", sagte sie schließlich und brach diese unerträgliche Stille. Dennoch war dieses Misstrauen da. Kein Wunder. Immerhin hatte ich Jäger getötet und ein Mädchen.

Ich grinste abwesend, wobei meine Eckzähne zum Vorschein traten. "So kann man das auch nennen."

Desdemona beobachtete meine Eckzähne. Und das nicht gerade unauffällig. Aber konnte ich ihr das denn verübeln?

Meine Miene wurde wieder ernst, als ich mich ihr wieder zuwandte. "Vertraust du mir?"

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