Kapitel 35 - Team Mi...-Lune

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Etwas benommen stand ich schließlich in dem leeren, düsteren Korridor. Wieso, Will? Und es war meine Schuld. Natürlich war es meine Schuld. Wessen Schuld sonst?

Wütend schüttelte ich den Kopf. Im Trübsal versinken brachte mich auch nicht weiter. Außerdem war ich noch immer wütend auf Desdemona. Na gut, das brachte mich auch nicht weiter, aber ich war gerne wütend auf sie. Sozusagen. Desdemona machte es mir aber auch nicht gerade schwer, wütend auf sie zu sein.

Ich konnte Liam verstehen, der sie gerne provozierte, bis sie sich beide beinahe zerfleischten. Es hatte was, sie zu provozieren, doch es hatte mehr, einfach wütend auf sie zu sein. Liam war der, der sie provozierte und ich war die, die auf sie wütend war. Perfekt.

Ein Schauer fuhr meinen Rücken hinunter. Ich hoffte, Desdemona fand keinen Grund, mich zu verraten. Und dann war da noch Liam und Ariadne. Liam schöpfte Verdacht und Misstrauen, während Ariadne vollkommen verängstigt war.

Hinzu kamen noch die Jäger, die mich jagten und um jeden Preis meinen Tod wollten. Und wenn ich an die Jäger dachte, musste ich automatisch an Damon denken. Schnell schüttelte ich den Gedanken an ihn ab. Verrat. Einfach nur Verrat. Und so etwas hatte ich tatsächlich einen Freund genannt. Doch war ich denn so viel besser als er? Nein. Nicht wirklich.

Wieder in der Gegenwart angelangt bemerkte ich, dass ich immer noch keinen Schritt weiter gelaufen war. Ich sollte wirklich mit Ariadne reden. Außerdem passte diese ängstliche Art so überhaupt nicht zu ihr. Das musste ich ändern.

Fest entschlossen und wieder vollkommen gefasst schossen meine Gedanken durch das Gebäude und Korridore schossen an mir vorbei. Vor einer Tür blieben sie stehen. An der Tür war ein Schild angebracht worden. Ariadne Glacial. Sie hatte also ein Einzelzimmer. Umso besser für meine jetzige Situation.

Zielstrebig machte ich mich auf den Weg, schritt den langen Korridor entlang. Es gab hier große Bogenfenster, allesamt von schweren, bodenlangen samtroten Vorhängen verhangen. Der Boden war aus schwarzem Marmor, an manchen Korridoren lagen darauf auch lange Teppiche. Dieses Internat war schon etwas speziell.

Die Kälte des alten Gemäuers war überall zu spüren. Ich bog um die Ecke, auf eine der Treppen zu und stieß mit einer großen Gestalt zusammen.

"Pass doch auf!", hörte ich eine bekannte Stimme fluchen. Ich zog eine Augenbraue hoch und sah Liam an. Dieser sah mich wütend an, doch als er mich erkannte, verflog seine Wut. "Oh. Lune. Sorry." Er starrte mich an. Was sollte das denn jetzt?

Schnell fasste er sich wieder, als sei nichts geschehen. Liams Miene wurde wieder ernst. Wieder war dieses Misstrauen in seinen Augen. Ich machte einen Schritt zurück und hielt seinem Blick nicht weniger ernst stand.

"Du verheimlichst etwas." Es war eine knallharte Feststellung und verdammt noch mal, er hatte recht.

Gleichgültig sah ich ihn an. "Jeder hat seine Geheimnisse."

Seine Miene veränderte sich nicht. "Ja, aber du verheimlichst etwas verdammt Wichtiges! -Leugne es nicht!" Liam machte einen Schritt auf mich zu. Ich zwang mich, nicht zurück zu weichen. 

Liams Gesicht kam bedrohlich näher. Seine Augen ließ er nicht von Meinen, wütend sah ich in Seine.

"Also sag, was hast du mit Ariadne angestellt! So etwas passiert bei ihr nicht einfach so!" Liam verstummte kurz. "Genauer gesagt, passiert so etwas bei ihr nie."

Ein kleines Grinsen stahl sich auf meine Lippen. "Sag niemals nie."

Liam schnaubte und plötzlich stand er nicht mehr vor mir, sondern etwas entfernt und hatte seine hand gegen mich erhoben. Ich sah die Schatten, die langsam kamen und um seine Hand tanzten wie ein böses Omen.

Ich lachte. "Du willst doch nicht wirklich versuchen, mir zu schaden?"

Doch Liam wirkte vollkommen ernst. Er würde es wirklich tun, mich verletzten. Wenn nötig. So sehr misstraute er mir also? Deprimierend.

"Weshalb bist du wirklich hier, Lune?" Liam spuckte die Worte beinahe so aus, als seinen sie Gift. Er war leider nicht dumm. In diesem Falle hätte es mir mehr geholfen, wenn Liam dumm wäre. Doch was sollte ich schon tun? Die Wahrheit würde ich ihm nicht sagen, wenn er sie nicht schon gesehen hätte, so wie Desdemona.

"Ist dir das so wichtig? Würde es dir nicht reichen, wenn ich dir sage, dass ich einfach am Leben bleiben wollte?"

Meine Antwort konnte man auf die Sache mit Ariadne beziehen oder auf die Frage, weshalb ich hier war. Das konnte er sich meinetwegen aussuchen oder einfach mit meiner Antwort zufrieden sein.

Doch Liam gab nicht nach. "Weshalb wäre es nötig, dein Leben zu schützen?" Er spielte nicht auf Ariadne an.

Langsam regte er mich wirklich auf. Ich holte einmal tief Luft. "Wegen Ariadne zum Beispiel."

Er lachte bitter auf. "Das ist nicht der einzige Grund." Immer mehr Schatten wirbelten um seine Hand. Noch hielt Liam sich zurück.

Plötzlich erklang eine wütende Stimme hinter uns. "Liam, lass sie einfach in Ruhe! Das geht dich überhaupt nichts an!" Sie war verdammt wütend. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet sie einmal meine Rettung sein würde? Ich jedenfalls nicht. Ein Grund, weshalb ich sie einfach nur anstarrte.

"Desdemona." Liam schien beinahe zu knurren. Ich konnte es schon kommen sehen. Gleich flogen hier Köpfe. Liam und Desdemona zusammen in einem Raum war eigentlich keine so gute Idee.

Desdemona kam näher, ihre Augen funkelten ihn zornig aus Schlitzen an. Sie konnte wirklich einschüchternd wirken, das musste ich wirklich zugeben.

"Ich sagte, nenn mich nicht so!" Zornfunkelnd durchbohrte ihr Blick Liam. Schatten tanzten um ihre Hände. "Und jetzt lass sie einfach in Ruhe!"

Liam sah von Desdemona zu mir und wieder zurück. "Heißt das, du weißt, was mit ihr ist?"

"Ja und es hat dich nicht zu interessieren! Es reicht, wenn ich es weiß." Setzte sie sich gerade für mich ein? Vielleicht würde ich doch besser mit ihr klar kommen, als ich anfangs dachte.

Liam zog eine Augenbraue hoch. "Du bist also auf ihrer Seite?" Skeptisch sah er sie an, auf der Suche nach etwas, das sie verriet.

"Ja, ich bin Team Mi...-Lune!", schnell hatte sie sich noch einmal korrigiert. Desdemonas Blick huschte noch einmal kurz zu mir. Beinahe hätte sie meinen Namen gesagt. Meinen richtigen Namen. Und Liam würde garantiert nicht so positiv darauf reagieren wie Desdemona.

Wir beide schielten lauernd zu Liam. Hatte er was bemerkt? Nachdenklich sah er uns an.

"Team Milune?" Idiot. Beinahe hätte ich erleichtert aufgelacht.

"Nein, du Idiot! Doch nicht Team Milune.", sagte Desdemona überzeugend beleidigt, "Team Lune! Ich habe nur gerade an Milchschaum gedacht!" Sie wandte sich an mich. "Soll ich dir jetzt dir Küche zeigen, oder nicht? Dort können wir uns dann Kakao mit Milchschaum machen!"

Schnell nickte ich. Jede Gelegenheit Liam zu entkommen war mir willkommen. "Natürlich."

Wir machten uns schnell auf den Weg, doch Liams skeptischer Blick bohrte sich in meinen Rücken wie ein Messer. Er würde nicht aufgeben, das war mir klar. Und auch er würde es irgendwann herausfinden, ganz egal, wie sehr ich mich gegen diesen Gedanken sträubte.

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