Kapitel 11 - Schock ✅

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Ich. Ich hatte das getan. Ich hatte es wirklich getan. All mein Mut, all meine Gleichgültigkeit und Kälte schienen mit einem Mal von mir abzufallen. Erst jetzt begann ich zu realisieren, was gerade passiert war. Die dunkle Wolke, von der ich bis gerade eben nicht gewusst hatte, dass sie da war, verschwand wieder und ließ meinen Verstand klar werden.

Nicht mehr ganz so kalt und zufrieden starrte ich auf die den toten Mann zu meinen Füßen. Auf die Leiche. Meine Augen nahmen wieder ihre normale Farbe an. Schwarz wich sturmgrau. Augenblicklich erfasste mich die Panik, ließ mich zittern, wechselte zwischen heiß und kalt. Schien mich mit ihren langen, dürren Fingern fast zu zerquetschen. Ich bekam kaum Luft. Was hatte ich getan?

Langsam setzte sich das Geschehen in meinem Kopf wie ein Puzzle zusammen. Ich hatte jemanden getötet! Ermordet! Ich war eine Mörderin! Fassungslos starrte ich auf die Leiche des Feuerelementars. Ich hatte ihn wirklich getötet. Und dafür hatte ich ihn noch nicht einmal berühren müssen. Verdammt, was hatte ich getan?

Eine weitere Hitzewelle überkam meinen Körper. Meine Beine zitterten unkontrolliert. Auf einmal fühlte ich mich ganz schwach. Als hätte ich kaum Kraft, mein eigenes Gewicht zu tragen. Das Atmen fiel mir unglaublich schwer. Hektisch versuchte ich, nach Luft zu schnappen. Was herauf kam, war allerdings ein unkontrollierbares Schluchzen.

Ich hatte ihn getötet. Umgebracht. Ermordet!

Meine Beine wollten mich nicht mehr halten. Kraftlos sank ich auf die Knie und zitterte unkontrolliert. Die Hitze wich der Kälte. Ich atmete ungleichmäßig, es klang mehr nach einem Schnappen. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Dann liefen mir unkontrollierte Wasserfälle die Wangen hinunter. Wie sollte ich das nur jemals rechtfertigen? So war ich doch eigentlich nicht? Was war nur aus mir geworden? Noch vor wenigen Tagen war ich bloß Mika gewesen. Die gewöhnliche Mika Keaton, Einzelgängerin und Mathe-Versagerin. War ich doch das Monster, das meine Mitschüler in mir sahen?

»Nein«, wisperte ich verzweifelt und meine Fingernägel krallten sich Halt suchend in meine langen schwarzen Haare. »Nein!« So wollte ich nicht sein! Das war ich nicht! Die Macht regte sich in mir. Es war, als würde sie mich verhöhnen. Und auf einmal fühlte sie sich fremd an. Vollkommen fremd. Als wäre sie gar nicht meine. Ein fremdes Monster. Ein Parasit, der sich in mir festgesetzt hatte und der noch immer die Kontrolle über sich selbst hatte. Ein Parasit, der tat, was er wollte und am Ende konnte ich noch nicht einmal sagen, ob er es getan hatte oder ich.

Schwarze Flecken tanzten vor meinen Augen.

»Nein!«, weinte ich. Meine Stimme klang rau und brüchig. Sie war kaum mehr als ein einsamer Windhauch, der in der großen weiten Welt unterging. »Nein, das kann nicht sein!« Tränenüberströmt sank ich zu Boden, sodass meine Stirn den Erdboden berührt. So hockte ich nun allein in der finsteren Nacht und weinte.

»Nein, nein, nein.«, schluchzte ich. »Das war ich nicht!« Ich war keine schlechte Person. Ich tötete niemanden. Geschweige denn, dass ich es überhaupt konnte. Ich war Mika Keaton. Nicht mehr und nicht weniger. Panik machte sich in mir breit, wollte mich ertränken. Selbstgefällig brodelte meine Macht unter meiner Haut, die sich nicht mehr wie etwas anfühlte, das ich kontrollieren konnte. Nicht mehr anfühlte, als stammte sie von mir. Sie kam mir auf einmal wie etwas Böses vor. Es war zu viel.

Mein gequältes Wimmern klang mehr nach dem Jaulen eines Hundes. Raben kreischten auf, erschreckt durch mein Wimmern und flogen in den Himmel davon.
Ich krallte meine Finger stärker in mein Haar. Tränen liefen wie Sturzbäche aus meinen Augen. Ich wollte nicht das Monster sein, das andere seit dem Kampftraining in mir sahen.

Hatte ich wirklich geglaubt, auf dem Elementar Internat könnte alles besser werden? Dass ich Freunde finden könnte? Hätte ich doch niemals zugestimmt, mein altes Leben aufzugeben und hierher zu kommen! Lieber wäre ich weiter in meinem Einzelgänger-Leben versunken und hätte mich mit Josies Wut, weil ich ihre Klausur abgeschrieben hatte, auseinandergesetzt. Das erschien mir weniger katastrophal, als noch vor ein paar Tagen.

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